Mittelalter-Hospitäler in Geschichtsdarstellungen |
Johanniterregel und Heilig-Geist-Regel gelten seit der Herausbildung der Krankenpflege als aufopferungsvoller
und selbstloser
Frauenberuf im 19. Jh. als die mittelalterlichen Vorbilder für christliche Caritas bzw. Diakonie. Dabei sind ihr genaues Alter und ihre Entstehungszusammenhänge recht unklar. Regeln von Hospital-Bruderschaften in niederländischen Handelsstädten des späten 12. Jahrhunderts sind dagegen als Originalurkunden erhalten. Die den Kranken zu erweisende Unterstützung und Pflege steht darin nicht in dem liturgischen und asketischen Kontext wie in den Hospitalordensregeln, eher wie gegenseitige Hilfe, die ein reisender Kaufmann zum Beispiel dem andern leistete. Möglicherweise sind die einschlägigen Bestimmungen der bruderschaftlichen Hospitalregeln sogar ursprünglicher als die der Ordensregeln und diese von jenen abgeleitet.
Ausgangspunkt | Die Texte | Gruppierung der Texte nach Wortlautübereinstimmungen | Unterscheidung der verschiedenen Inhalts-Schichten in den Textgruppen | Entwicklungsgeschichte der Inhalte und der Texte | Resümee |
Strategie | Technik | Ergebnisse |
Die einzelnen Ketten | Beziehungen zwischen ihnen | Traditionsstränge |
Die meisten Texte (37 von 55) haben sich als Glieder von Ketten erwiesen, die jedenfalls im jeweiligen Zentrum sehr stark zusammenhängen. Querverbindungen zwischen Ketten gibt es erst unterhalb einer Verwandtschaftswahrscheinlichkeits-Schwelle von ca. 3. Die beiden Ausnahmen von dieser Regel sind Brüssel 1211—Herentals und Brügge B'—Kiel mit Verwandtschaftswahrscheinlichkeiten von 68 bzw. 43.
Die Auffassung, daß alle Hospitalregeln auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, kann nach dieser Erkenntnis nicht mehr bestehen bleiben. Stattdessen scheinen gewisse Gruppen von Hospitaregeln je für sich einen gemeinsamen Ursprung haben.
Einige Texte hängen nur lose mit den übrigen zusammen. Ihre nächsten Verwandten sind vielleicht nur nicht mehr vorhanden oder noch nicht aufgefunden. Ich habe sie vorläufig als "Pseudo-Kette" zusammengestellt.
Die Zahlen zwischen den Regelnamen in den folgenden Schaubildern und die in Klammern im Text geben die Verwandtschaftswahrscheinlichkeit an.
In dieser Gruppe befindet sich zwar mit einem Wert von 96 die größte Verwandtschaftswahrscheinlichkeit, die überhaupt gefunden werden konnte; das überrascht allerdings nicht, denn daß Roma S. Spirito 1316 die Vorlage für Roma S. Spirito 1564 gewesen ist, stand nie in Frage. Wirklich bemerkenswert ist hingegen, daß die beiden anderen Texte in dieser Gruppe, die Johanniterregel und Aubrac, weit schwächer mit den übrigen Kettengliedern verwandt sind. LE GRANDs Auffassung, daß die Johanniterregel die Vorlage aller europäischen Hospitalregeln gewesen sei, ist nach diesem Befund darauf zu reduzieren, daß sie es in gewissem Maß für die Regel des römischen Heilig-Geist-Hospitals gewesen ist, und für sonst keine.
Die zweitengste Verwandtschaft nach der zwischen den beiden römischen Texten ist die zwischen den beiden Versionen der Regel des Brüsseler St.-Johannes-Hospitals. Auch das überrascht nicht; es bestätigt höchstens, daß die angewendete Meßtechnik zuverlässig arbeitet.
Fast genauso eng ist die Verwandtschaft zwischen den Regeln von Antwerpen O.L.V. und Herentals. Herentals ist der nächste Verwandte von Enghien und von Geel. Geel wiederum ist der engste Verwandte von s' Hertogenbosch. Antwerpen dagegen der engste des Hospitals St. Gertrud in Brüssel, das seinerseits der engste Verwandte von Aalst O.L.V. ist. Alle diese Regeln sind auch mit den beiden Versionen von Brüssel St. Johannes verwandt, aber für keinen von ihnen ist einer dieser Brüsseler Texte der nächste Verwandte. Am ehesten für Herentals: es ist an den älteren Brüsseler Text mit 68 Punkten gebunden, nur 10 Punkte schwächer als die Bindung an Antwerpen. Auf die "starken Querverbindungen" komme ich später noch zurück.
Auch hier liegen wieder zwei Teilketten mit einer ziemlich starken Querverbindung vor.
Kernbereich der älteren Teilkette sind Brugge 1188 und die Bearbeitungen dieses Textes durch mehrere Hände bis hin zu Brugge Bg., zwei Textstufen, deren Verwandtschaft meine Untersuchungstechnik mit 73 beziffert., Brugge B' (64) und schließlich Gent 1196 (28) hinzu. der jüngeren Lübeck 1263—Kiel (74)., Später stoßen Lübeck 1294 (69)Die Querverbindung Brugge B'—Kiel (43) ist sogar stärker als die ketteninterne Verbindung von Brugge B' zu Gent; nur ist nur für keine der beiden stärkste Verwandtschaftswahrscheinlichkeit, Gents nächster Verwandter ist eben Brugge B'. Bis herunter zum Wahrscheinlichkeitswert 3 liegen alle Verwandtschaftsbeziehungen dieser Texte innerhalb der beiden Ketten, darunter kommen dann auch Verbindungen zu Kette 6 (Gautier de Marvis, s.u.) vor.
Unter diesen Texte aus einigen Bischofsstädten in Nordfrankreich besteht die stärkste Verwandtschaftswahrscheinlichkeit zwischen Beauvais und Noyon. Es folgt der Text aus Amiens und dann als Brückenglied zu anderen Ketten der von Abbeville. Praeceptum ist ein Teil der Augustinerregel, ich habe ihn in den Vergleich einbezogen, weil die Vorbildfunktion dieser Regel für die Hospitäler so oft betont worden ist. Er hat seine meisten Übereinstimmungen mit Abbeville.
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