Mittelalter-Hospitäler in Geschichtsdarstellungen |
Johanniterregel und Heilig-Geist-Regel gelten seit der Herausbildung der Krankenpflege als aufopferungsvoller
und selbstloser
Frauenberuf im 19. Jh. als die mittelalterlichen Vorbilder für christliche Caritas bzw. Diakonie. Dabei sind ihr genaues Alter und ihre Entstehungszusammenhänge recht unklar. Regeln von Hospital-Bruderschaften in niederländischen Handelsstädten des späten 12. Jahrhunderts sind dagegen als Originalurkunden erhalten. Die den Kranken zu erweisende Unterstützung und Pflege steht darin nicht in dem liturgischen und asketischen Kontext wie in den Hospitalordensregeln, eher wie gegenseitige Hilfe, die ein reisender Kaufmann zum Beispiel dem andern leistete. Möglicherweise sind die einschlägigen Bestimmungen der bruderschaftlichen Hospitalregeln sogar ursprünglicher als die der Ordensregeln und diese von jenen abgeleitet.
Ausgangspunkt | Die Texte | Gruppierung der Texte nach Wortlautübereinstimmungen | Unterscheidung der verschiedenen Inhalts-Schichten in den Textgruppen | Entwicklungsgeschichte der Inhalte und der Texte | Resümee |
Brügge–Gent–Lübeck–Ypern–Kiel | Brüssel–Herentals–Antwerpen–Geel–Aalst–Enghien | Abbeville–Amiens–Noyon–Beauvais | Cambrai–Lessines–Ieper Lepr. | Paris–Troyes–Saint Pol–Angers–Vienne | Oudenaarde–Gent Lepr. | Jerusalem–Rom S. Spirito |
Aufbau | Inhalte |
Geistliche Werke | Gemeinsame Mahlzeiten | Eintritt und Arbeit | Verfehlungen und Strafen | Spezialmitgliedschaft | Erscheinung und Auftreten | Innere Ordnung | Krankenaufnahme |
Gehört zur ältesten Textschicht, 1188 zuerst bezeugt. Zählt tägliche Gebete auf, legt Fastenzeiten fest, regelt Ausnahmen und Dispensmöglichkeiten.
{Tagzeiten-Gebete:} In Brügge, Lübeck 1263, Lübeck 1294, Kiel werden zu den sieben Tagzeiten je sieben Vaterunser für die Wohltäter des Hauses gebetet, ohne Ausnahme wegen irgendeiner Beschäftigung, außer bei Krankheit.
In Gent betet man diese 49 Vaterunser für den Schutz des Hauses und weitere hundert pro Tag für die Wohltäter desselben. Bei den Tagzeiten-Gebeten wirkt der Genter Text besonders "aufgeräumt" im Vergleich mit dem Brügger, der irgendwie "angestückelt" wirkt: Gent nennt die Häufigkeit und Anzahl der Vaterunser an einer Stelle zwischen dem Subjekt und dem Verb: Subjekt—pro qualibet .uii. horarum quae celebrantur in ecclesia: septies—Verb—Objekte, wohingegen Brügge dieses praxisrelevanteste aller Satzglieder auf drei Stellen "verteilt": am Anfang, zwischen Subjekt und Objekt1 und zwischen den Objekten: Iuxta numerum septem horarum diuine laudis que celebrantur in ecclesia:—Verb—Subjekt—omni die—Objekt1—.pro qualibet uii horarum septies—Objekt2, wobei septem horarum sogar wiederholt wird.
In Ypern betet man je sechs Vaterunser plus sechs Avemaria.
Ab Gent und der Brügger Neufassung, sowie in Lübeck, Ypern und Kiel sollen auch die Kranken Gebete verrichten, und zwar dreißig Vaterunser (in Ypern dreißig Vaterunser und dreißig Avemaria). Ob das noch nur von den kranken Brüdern und Schwestern gilt oder auch von den Kranken, die man im Haus pflegt, geht aus den Texten nicht direkt hervor.
In Travemünde variiert die Menge je nach Tagzeit und man betet dreißig Vaterunser und Avemaria zur Matutin, fünfzehn zur Prim, je sieben zur Sext und Non, fünfzehn zur Vesper und sieben zur Komplet. Eigens über Krankheit wird nichts geregelt.
{Fastenzeiten}: In Brügge wie in Gent und auch in Ypern fastete man von St. Martin bis Weihnachten, in der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern, an den Quatember-Tagen, den Vigilien und allen Freitagen. In den ersten drei Wochen nach St. Martin aß man täglich außer freitags und in den anderen drei Wochen täglich außer montags, mittwochs und freitags, album, sonst strenge Fastenspeise.
In Lübeck und in Kiel fastete man an denselben Tagen wie in Brügge und Gent, aber vor Weihnachten nur im Advent, und zwar gab es in dieser Zeit sonntags zweimal, dienstags und donnerstags einmal lacticinia bzw molken mit der Begründung, ut eo forciores existant oracionibus et bonis operibus domino seruientes | dat se gode in bede vnde in arbeide deste bet gedenen. In Ypern ... blanc.
So sehr man sich also z.B. in Lübeck im allgemeinen an den Wortlaut einer anderen Regel (der Brügger) hielt, so spürbar konnte offenbar die tatsächliche Praxis abweichen. Immerhin gab man dafür dann auch einen Grund an.
{Spezial-Fasten}: In Brügge, Gent, Lübeck und Kiel galt, daß, wem früher eine härtere Buße auferlegt worden wäre, er ab wann er Bruder geworden ist, nur die gleichen Bußwerke tun soll wie seine Mitbrüder. In Travemünde ist direkt bestimmt, daß niemand, außer mit Erlaubnis des Bischofs, außer der Zeit an Freitagen, Mittwochen und Samstagen (???) fasten soll. Kann man sich als Hintergrund vorstellen, daß einzelne unter Verweis auf besondere Bußleistungen vielleicht zur Arbeit weniger zu gebrauchen waren oder einfach das einträchtige Zusammenleben störten?
{Fasten-Ausnahmen}: Im Genter Sint-Janshospitaal gab es zwar einen Geistlichen, der Messe las und Ehrenvorrechte genoß, aber er war offenbar nicht dessen zuständiger Pfarrer (was aus der Regelung der Beichte bei der Krankenaufnahme hervorgeht) und somit nicht berechtigt, Bußen aufzuerlegen oder davon zu dispensieren. Daher stimmt der Genter Text in diesem Punkt noch mit der Brügger Erstfassung überein. Gent ergänzt domus zu magistro: hoc magistro domus revelabit, BRGg trägt dieses domus üb.d.Z. nach, es unterscheidet wohl den magister domus von einem magister spiritualis. Später, bereits zur Zeit der Neufassung BRG2 und in LÜB1 LÜB2 IEP KIE kann man direkt zum eigenen Hospitalpfarrer gehen, um eine Fasten-Dispens zu bekommen, und der Umweg über den magister (domus) ist überflüssig und fällt weg.
{Totengebete}Siehe dazu jetzt, über hauptsächlich spätmittelalterliche Verhältnisse, Frank, Seelenheil mit zahlreichen Verweisen auf weitere Literatur.
© Bernhard Höpfner 2002-2022.