Mittelalter-Hospitäler in Geschichtsdarstellungen

Beim Überarbeiten meines 35 Jahre alten Textes finde ich im Dezember 2020 viel seither neu Erschienenes, das ich noch berücksichtigen muß, besonders das in der Rezension zu Drossbach auf HSOZUKULT Genannte.

Die Einteilung nach Fächern gibt die Situation vor allem der deutschen Hospitalgeschichts-Literatur wieder, wie sie sich mir damals darstellte. In den lateinischen Ländern ist die Aufspaltung viel geringer, wie DROSSBACH in der Einleitung zeigt, vgl. auch bei mir unten.

Andererseits finde ich jetzt, in der Krise des Gesundheitswesens durch die Corona-Pandemie, erstaunlich viel Erhellendes in meinen damaligen Charakterisierungen der Denkweise verschiedener Berufsgruppen wieder: die Unselbständigkeit, Ausbeutung, Geringschätzung der Pflege, die ärztliche Neigung, die ganze Welt nach ihren Kriterien zu definieren — daran hat sich erstaunlich wenig geändert, nur der Impuls der christlichen Nächstenliebe ist ersetzt durch die Rendite-Erwartung der Krankenhaus-Konzerne, von ihm übriggeblieben bloß die Erwartung an Pflegende, es irgendwie für Gotteslohn zu tun und jedenfalls auf ordentliche Bezahlung und Arbeitsbedingungen wenig Wert zu legen. Aus solchen Gründen finde ich dieses umfangreiche Kapitel, obwohl es nicht auf dem neuesten Stand für die nachfolgenden ja auch nicht unbedingt als Voraussetzung nötig ist, schon noch immer ein bißchen lesenswert.

Pflegegeschichte Darstellungen aus der Perspektive der 'Geschichte der Krankenpflege als Beruf'

Entwicklung 

Der jüngste der verschiedenen mit der Geschichte des Hospitalwesens beschäftigten Forschungszweige ist derjenige der Geschichte der Krankenpflege.

Ich will hier zunächst nur die Literatur heranziehen, die die Krankenpflege als eine spezielle Berufstätigkeit historisch behandelt. Mit "Geschichte der Krankenpflege", sind jedoch auch noch andere Darstellungen betitelt, die ganz in die im nächsten Kapitel zu behandelnde medizinhistorische Forschungstradition hineingehören.

In dem engeren Sinn, als Berufsgeschichte verstanden, wurde eine Geschichte der Krankenpflege nicht geschrieben, bevor diese selbst an eine Epochengrenze gelangte: seit etwa 1900 erhoben verschiedene Länder die Abschlußprüfungen von Krankenpflegeschulen zu Staatsexamina -1907-1912 erschien das Pionierwerk der Geschichte der Krankenpflege, von Lavinia L. DOCK und Mary Adelaide NUTTING 1910-1913 bereits dessen Übersetzung ins Deutsche. Diese staatliche Anerkennung der Berufsausbildung war das Resultat organisierter Bestrebungen von selten der "Pflegerinnen", die dabei ein fest umrissenes Berufsselbstbewußtsein, sich von ihren Vorgängerinnen, den "Wärterinnen", scharf abhebend, ausgebildet hatten. "Beruf" gebrauchten sie dabei im emphatischen Sinne und verachteten ihre Vorgängerinnen gerade deswegen, weil diese Krankenpflege "nur" als Brotarbeit betrieben hätten. Andererseits waren es gerade die "Freien Schwestern, also die, die ihren Beruf unmittelbar in der Krankenpflegetätigkeit sahen, von denen die ersten "Geschichte(n) der Krankenpflege" geschrieben worden sind, und nicht diejenigen, welche zuvor in einen religiösen Orden, ein Diakonissen- oder Rotkreuzmutterhaus eingetreten sein mußten, um dann Krankenpflegerinnen werden zu können. Die "Berufsorganisation", die diese "Freien Schwestern" in Deutschland 1903 gegründet hatten, hatte Agnes KARLL (1868-1927) zu ihrer ersten Vorsitzenden - die Übersetzerin der ersten "Geschichte der Krankenpflege" ins Deutsche; und die Verfasserinnen dieses Werks waren Präsidentin bzw. Sekretärin in der entsprechenden Organisation in den Vereinigten Staaten, dem "Amerikanischen Pflegerinnenbund"4:

M Adelaide NUTTING, Lavinia L. DOCK
A History of Nursing. The Evolution of Nursing Systems from the Earliest Times to the Foundation of the First English and American Training Schools for Nurses (geänderter Titel bei Bd. 3.4), Bd. 1-4,
New York, London: Putnam's, 1907-1912

Dieselben; Agnes KARLL (Übers.)
Geschichte der Krankenpflege. Die Entwickelung der Krankenpflege von Urzeiten bis zur Gründung der ersten englischen und amerikanischen Pflegerinnenschulen, Bd. 1-3,
Berlin: Reimer, 1910-1913

Die deutsche Übersetzung ist um einige zusätzliche Anmerkungen von Agnes Karll vermehrt, z.B. Bd. 1, S. 287f. Nach der Titelseite steht in der deutschen Fassung des Werkes die Widmung: "Allen Mitgliedern des Pflegeberufs". Die Übereinstimmung des Personenkreises, der die historischen Forschungen betreibt, mit dem, der sie lesen soll, wie sie in dieser Widmung besonders augenfällig wird, kennzeichnet auch andere, später noch vorzustellende Forschungstraditionen auf dem Gebiet Hospitalgeschichte, nicht zum wenigsten die medizinhistorische Tradition.

Trotzdem ist die Unmittelbarkeit, mit der Nutting und Dock die Geschichte anhand der Gegenwartsfragen ihres Berufs abhandeln, noch einmal von ganz eigenem Grade. Und ebensowenig konnte die Ausführlichkeit, geradezu Monumentalität dieses Pionierwerks der krankenpflegegeschichtlichen Darstellungen später je wieder erreicht werden.

Knapp eine Generation nachdem der letzte Band aus der Feder von NUTTING und DOCK erschienen war, war die Entwicklung in den Berufsverhältnissen und -Organisationen für Krankenpflegerinnen (denn um einen ausgesprochenen Frauenberuf handelte es sich) wiederum so weit verändert, daß vom Bedürfnis nach einer neuen "Geschichte der Krankenpflege" gesprochen werden konnte. Die Verfasserin, die nun diesem Bedürfnis nachkommen wollte, Lucy Ridgeley SEYMER, examinierte Krankenpflegerin mit dem Titel eines "M.A.(Oxon.)" in Geschichte und Archäologie, ließ es allerdings nicht mit einer Darstellung dieser neuesten Entwicklung genug sein, auch wenn sie dafür ungefähr die Hälfte ihres Buches verwendete, sondern sie faßte zugleich die antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte der Krankenpflege ganz neu:

Lucy Ridgeley SEYMER M.A.(Oxon.), S.R.N.
A General History of Nursing
London: Faber & Faber, 1932. 1949(2). 1954(3) (307 S.; (2:)332 S.)

Dass.. Revised for American edition by Niny D. Gage
New York: Macmillan, 1933. 1936(2). 1942(3)

Dies.; W. ALTER, Maria SCHILLER (Übers.)
Geschichte der Krankenpflege
Stuttgart: Kohlhammer, 1937

Nachdem Nutting und Dock den Stoff einfach als ein Monument zur Stärkung ihres beruflichen Selbstbewußtseins aufgestellt hatten, geht bereits aus dem Vorwort, einer österreichischen Oberin zur deutschen Fassung von Seymers "Geschichte der Krankenpflege" hervor, daß man diesen Stoff nun als einen wichtigen Teil des Unterrichts für die Krankenpflege-Schülerinnen auffaßte Seither sind "Geschichte(n) der Krankenpflege" nicht mehr, wie von NUTTING und Dock als Arsenal für Vorkämpferinnen eines noch umstrittenen Frauenberufs verfaßt worden, sondern als Lehrbücher für Schülerinnen, denen man durch geschichtliche Belehrung Begeisterung und rechte Einstellung für ihren zukünftigen Beruf beizubringen hoffte., Mit dem dafür erforderlichen handlicheren Format gingen selbstverständlich die Möglichkeiten, Einzelheiten näher zu untersuchen, verloren. Trotzdem blieb die Krankenpflege-Geschichtsschreibung in Bewegung: durch Änderung der Zielsetzungen, der Konzeptionen, In den Vereinigten Staaten scheint sie sich freilich zum wenigsten umorientiert zu haben - wenn man es als kennzeichnend nehmen darf, daß noch bis 1966 ein ganz im heroischen Stil von Nutting-Dock geschriebenes "textbook" wieder und wieder neu aufgelegt wurde. Grob gesehen, sind da nur die extensiven Quellenzitate des großen Vorbilds weggekürzt worden; vielleicht ist das auch ein Anzeichen von Etablierung: man findet es überflüssig, sich ständig ausführlich abzusichern; selbstverständlich ist es vor allem eine Folge des Lehrbuchcharakters. Und zum anderen wurden gegenüber dem großen Vorbild eine Menge pädagogisch wohlgemeinter Simplifizierungen durchgeführt, beispielsweise Kurven, die das "Auf" und "Ab" der "guten Krankenpflege" für die verschiedenen Epochen der Weltgeschichte unumwunden abzubilden beanspruchen. Zuverlässigkeit und Informationswert sinken mit diesem Buch auf ihren Tiefstand innerhalb der Krankenpflege-Geschichts-Darstellungen:

Elizabeth M. JAMIESON, R.N.B.A.; Mary F[ranklin] SEWALL, R.N.ß.S.; Eleanor B[rady] SUHRIE, R. N.,B.S.,M.Litt.
Trends in Nursing History. Their social, international and ethical relationships
Philadelphia,London: Saunders, 1940. 1944(2). 1949(3).1954(4). 1959(5). 1966(6).

In der Bundesrepublik Deutschland ist durch das Krankenpflegegesetz von 1957 das Fach Berufskunde, dem die Berufsgeschichte gewöhnlich zugerechnet wird, Prüfungsfach geworden, weshalb auch die Lehrbücher für Krankenpflegeschüler(innen) öfters ein Kapitel über "Geschichte der Krankenpflege" enthalten. Es ist aber klar, daß solche knappen Exkurse, ungeachtet ihres Gewichts als Vermittler der historischen Erkenntnisse, zu knapp sind, um einen bestimmten Platz in einer Forschungsgeschichte erhalten zu können. Daneben wurden jedoch auch selbständige Lehrbücher in Geschichte der Krankenpflege herausgegeben.

Deren erstes hat ein Lehr-Oberpfleqer verfaßt. Es begnügt sich freilich damit, zufällige Notizen, nach Jahrhunderten sortiert, zu referieren, ohne sie zu gewichten oder Theorien über Ursachen und Wirkungen im großen aufzustellen. Darin geht er einen anderen Weg als alle übrigen "Geschichte(n) der Krankenpflege", die gerade der roten Faden "von Urzeiten bis" jetzt am meisten beschäftigt. Die Fülle der Detailnotizen ist in diesem Buch enorm. Es bemüht sich vor allem, jeder der Ordens- u.a. Gemeinschaften in der neueren Krankenpflege-Geschichte durch gleiche Ausführlichkeit gerecht zu werden.

Franz BAUER
Geschichte der Krankenpflege. Handbuch der Entstehung und Entwicklung der Krankenpflege von der Frühzeit bis zur Gegenwart
(Schriftenreihe zur Theorie und Praxis der Krankenpflege. Hg.v. Deutschen Zentralblatt für Krankenpflege, l)
Kulmbach 1965

Mit dem anderen der beiden neueren deutschen Lehrbücher in Krankenpflege-Geschichte tritt zum ersten Mal ein Professor der Medizingeschichte an die Stelle der Freien Schwestern bzw. Pfleger als Verfasser von "Geschichte(n) der Krankenpflege". An die Stelle des bisherigen erklärten Ziels, durch Geschichtsbetrachtung ein eigenständiges Berufs-Selbstbewußtsein zu erzeugen, tritt nun dasjenige, die heute vorkommenden Spannungen zwischen den beiden Gruppen von Krankenhauspersonal, Medizinern und Pfleger(inne)n, durch Aufhellung der entsprechenden Zusammenhänge in früheren Epochen zu entschärfen. Im übrigen bleibt die Fachgeschichte auch mit dieser Zwecksetzung "Propädeutik". Berufseinführung für die Schüler.

Eduard SEIDLER
Geschichte der Pflege des kranken Menschen
Stuttgart: Kohlhammer, 1966.Zweite, durchgesehene Aufl. ebda. 1970

[2022-07-31: Gerade als ich diese Magisterarbeit fertigstellte, erschien erstmals

Claudia BISCHOFF
Frauen in der Krankenpflege. Zur Entwicklung von Frauenrolle und Frauenberufstätigkeit im 19. und 20. Jahrhundert
[Frankfurt (Main): Campus, 1984.] Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe ebda. 1992². [3., durchges. Aufl. ebda 1997. 4., aktualis. Neuaufl. ebda. 2008]

mit einer radikal anderen Perspektive auf sowohl die Pflege- als auch die Medizin-Geschichte. Letztere mit ihrer Fokussierung auf den Fortschritt vom Hospital zum Krankenhaus des 19.-20. Jahrhunderts betrachtet nämlich, genau besehen, nicht irgendeinen anderen Aspekt sondern genau die entgegengesetzte Seite derselben Medaille: Nur weil es gelang, die Pflege als professionelle, aber kaum entlohnte Hilfs-Arbeit für Ärzte zu organisieren, konnten diese medizinisch-technische Erfolge vorweisen, ohne daß Staat und Gesellschaft für die Wiederherstellung der Arbeitskraft bzw Wehrfähigkeit allzu große Kosten entstanden wären. Und nur weil vor allem Frauen sich trotz desaströser Arbeitsbedingungen selbst dabei aufopferten, kranken Menschen wenigstens ein Minimum an Zuwendung zu geben, während die Ärzte von Fall zu Fall eilten, konnte das Mißtrauen der Bevölkerung gegen Behandlung im Krankenhaus (da wird man ja erst recht krank) bis Ende des 20. Jahrhunderts langsam abgebaut werden, bevor es im 21. durch den Pflegenotstand, multiresistente Keime und Corona wieder anschwillt. Damit wird die Zersplitterung der Disziplinen in der Hospitalgeschichte nicht nur äußerlich sondern von innen her überwunden, indem die Widersprüche im gegenwärtigen System, die den Blick der Disziplinen in gegensätzliche Richtungen lenken, thematisiert werden.]

Den Begriff "Krankenpflege" für "Krankenpflege-Institutionen" oder "Krankenhauswesen" verwenden Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften (1857), Küster, Krankenpflege (1895), Bloch, Krankenpflege (1899), Dietrich, Krankenpflege(1899), Schön, Krankenhauswesen Württemberg( 1901-1902), Baas, Krankenpflege (1922); dazu mehr unten.[x]

Zwar hat auch schon Florence NIGHTINGALE (1820-1910), die 1860, nach ihrem Einsatz im Krimkrieg, die erste unabhängige Krankenpflegeschule gründete (vgl. Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege 2, S. 109-219) Studien über die Geschichte der Krankenpflege getrieben (ebda. S. 121), als sie 1835-1855 allerlei Hospitäler in England, Schottland, Irland, Frankreich, Belgien und Deutschland aufsuchte, um sich, auf eigene Faust, für den verspürten "Beruf" auszubilden, doch äußert sie sich in ihren sehr wirksam gewordenen Schriften (z.B. "Notes on Hospitals'", London 1863, dt.Übers.u.d.T.: "Bemerkungen über Hospitäler. Nach dem Englischen bearb. und mit Zusätzen versehen in besonderer Rücksicht auf Feld- und Nothhospitäler von R..Senftleben, Memel 1866"; "Notes on Nursing for the Labouring Classes", London 1861, dt. Übers.u.d.T.: "Pflege bei Kranken und Gesunden. Kurze Winke, den Frauen aller Stände gewidmet .". nach der 2. Auflage...". Lpz.: Brockhaus, 1861) ausschließlich über praktische Konsequenzen für die Zukunft, nicht über Ergebnisse ihrer geschichtlichen Studien direkt.[x]

Die einzelnen Bundesstaaten der USA seit 1903 (Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege 3, S. 172-230); im Deutschen Reich in Kraft getreten am 1.6.1907 (ebda. S. 449); für die entsprechenden Daten zu weiteren Ländern vgl. die Übersicht bei Seymer, Geschichte der Krankenpflege S. 283f. 320f.[x]

Zu den Biographien der Verf. finde ich nur bei JAMIESON (lt. Reg,) einige Daten, nichts dagegen im "Dictionary of American Biography" etc.[x]

Die beiden Begriffe werden in der einschlägigen Literatur streng unterschieden (vgl. Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, pass.). mit einer zeitlichen Grenze zwischen ihren Anwendungsbereichen um 1830 (vgl. Sticker, Krankenpflege Quellenstücke, S. 372); ex negativo zeigt den Zusammenhang von "Pflegerin" mit dem neuen "Berufs"-Bewu8tsein die Tatsache, daß Männer (die noch lange kein ähnliches Berufsbewußtsein als Krankenpfleger entwickeln konnten) bis in die jüngste Vergangenheit gewöhnlich "Wärter" genannt worden sind (vgl. Seidler, Geschichte der Pflege S. 9; Ostner/Krutwa-Schott, Entstehung Krankenpfl.-Beruf, S. 132-160).[x]

Die sparsamen sachlichen Auskünfte, die die ihren eigenen Portschritt verherrlichenden frühen Geschichtsschreiberinnen der Krankenpflege (wozu bereits kritisch SCHAPER, Hans-Peter, Aspekte der Kritik traditioneller Krankenpflege-Geschichtsschreibung, in: Historia Hospitalium 14, 1981-1982, S. 321-335; Ostner/Krutwa-Schott, Entstehung Krankenpfl.-Beruf, S. 5-63) über die "Wärterinnen", ihre Antagonistinnen, geben, lassen eine nähere und sachliche Erforschung der offenbar ausnehmend miserablen Lebensverhältnisse dieser vormodernen Berufsgruppe als wichtige Aufgabe der Gesellschaftsgeschichte erscheinen, die offenbar noch nirgends angegangen worden ist. Eine von Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege als "oberflächlich" bezeichnete englische Dame um 1855 zeigte Verständnis: … die armen Menschen, es muß so langweilig sein, die ganze Nacht aufzubleiben, und wenn sie dann ein bißchen trinken, schickt man sie fort und nimmt andere" (zit.n.Dens. 2, S. 188) - für die "Reformer der Krankenpflege" ist es ständig charakteristisch, daß sie moralische Erklärungen der Übelstände ökonomischen vorziehen: "... Jeder Alte, Versoffene, Triefäugige, Blinde, Taube, Lahme, Krumme, Abgelebte, Jeder der zu nichts in der Welt mehr taugt, ist dennoch nach der Meinung der Leute zum Wärter gut genug. Menschen, die ein unehrliches Gewerbe getrieben haben. Faullenzer, Taugenichse, ... So ist denn dieser schöne, edle Beruf in Verruf gekommen! Man suche Krankenwärter und welcher Auswurf der Menschheit sammelt sich da! und wie wenig ehrbare, brave, tüchtige Menschen sind darunter! schreibt der Dirigierende Arzt der chirurgischen Abteilung der Charite, Dieffenbach, Krankenwartung, Berlin 1832, S.6, und er hat folgende Ansicht von den als Patienten ins Hospital kommenden Armen, Schmutzigen, Unglücklichen ... bettelnden Taugenichtssen und Vagabunden": "Der Mensch, der so gesunken ist, ist es immer durch seine Schuld, und doch muß auch das menschliche Herz sich seiner erbarmen (ebda. S. 49-61).[x]

Goerke, Personal und Arbeitstechnik S. 61.[x]

Vergleiche unten über die «Berliner Schule» und über GOLDHAHN[x]

"unübertrefflich" (Seymer, Geschichte der Krankenpflege, Vorwort, S. V.); "Standard text on the history of nursing" (Jamieson/Sewall/Suhrie, Trends (1940) S.230); "nach Tendenz und Forschungsstand in vielen Teilen veraltet, aber immer noch unentbehrlich" (Seidler, Geschichte der Pflege, , S. 168, Nr. 37 - mit Tendenz veraltet meint er NUTTINGS und DOCKS Glorifizierung des Pflegepersonals zum Nachteil der Ärzte).[x]

Seymer, Geschichte der Krankenpflege, Vorwort (dat. 1934), S. V.[x]

Denn nichts begeistert junge Menschen mehr und erweckt in ihnen so sehr den Wunsch nach ähnlichen Leistungen, als das Beispiel jener Großen, die unter unsäglichen Mühen und Opfern den Weg gebahnt haben, auf welchem die jetzige Generation so selbstsicher schreitet. Das Studium der Entwicklung der Krankenpflege durch Jahrtausende, von ihren ersten tastenden Anfängen bis zum großartigen Aufschwung der letzten Zeiten, ist das sicherste Mittel, Liebe für den Beruf und soziales Empfinden in jungen Menschenherzen wachzurufen. (Dominika Pietzker, Oberin des Rudolfinerhauses, Wien, Vorwort, in: Seymer, Geschichte der Krankenpflege S. XI).[x]

Vgl. Anmerkungen 9.17; Bauer, Geschichte der Krankenpflege, stellt sich eine etwas mehr forschungsgerichtete Aufgabe: er sammelt Daten, besonders über die sonst vernachlässigte Geschichte der männlichen Krankenpflege, um zu einer künftigen "Allgemeinen Geschichte der Krankenpflege" Vorarbeit beizutragen (Seidler, Geschichte der Pflege S. 9).[x]

JAMIESON-SEWALL-SUHRIE S. 71 (für das Altertum). 123 (Mittelalter), 243 (Neuzeit); demselben Zweck dienen noch Wiederholungsfragen am Schluß jedes Abschnitts und ein beigefügtes "Teacher's Manual" mit Vorschlägen für Repetitionsübungen.[x]

Prüfungsordnung zum "Gesetz über die Ausübung des Berufs der Krankenschwester, des Krankenpflegers und der Kinderkrankenschwester" (BGBl I, Nr. 31 v. 18.7.1957); vgl. Seidler, Geschichte der Pflege S. 9.[x]

Vorhanden aus meiner eigenen Ausbildung: Haaf/Engelmann/Heyn, Krankenpflegehilfe -wobei es sich allerdings nicht um ein Lehrbuch für die volle dreijährige, sondern für die einjährige Ausbildung handelt - mit einem Kapitel "Kurze geschichtliche Einführung", S. 421-427.[x]

Vgl. Anmerkung 11.[x]

Andererseits beklagt gerade Bauer, Geschichte der Krankenpflege selbst, offenbar bezugnehmend auf mir unzugängliche, ad hoc in kleiner Auflage vervielfältigte Unterrichtsmaterialien, es sei das Manko der Krankenpflege-Geschichtsschreibung, daß jeder hauptsächlich nur über die Gruppe bzw. den Orden schreibe, dem er selbst angehört (S.9).[x]

Seidler, Geschichte der Pflege, S. 11.[x]

Seidler, Geschichte der Pflege, S. 12, vgl. S. 11: … ergibt sich für die Geschichte … zweitens die Möglichkeit, sie die Krankenschwester von der Sache her zu begeistern, sie an ihrer ureigensten Tätigkeit zu fassen und damit ihr Berufsbild auch von dieser Seite her zu untermauern und zu beleben.[x]

Das Mittelalter als Epoche der Pflegegeschichte Erträge der Pflegegeschichte zu Mittelalter-Hospitälern

Bei ihrer starken Zweckgerichtetheit sind die Darstellungen der Krankenpflege, ohne daß es überrascht, grob gesehen Geschichten eines Fortschritts "von Urzeiten bis" auf den jeweils gegenwärtigen Standpunkt. Der Fortschritt wird, je nach Hauptinteresse, auf dem Gebiet der beruflichen Selbständigkeit der Frauen oder auf dem der Heilkunde, als dem Zusammenwirken von Medizin und Krankenpflege, gesehen.

Von einer so gegenwartsbezogenen Geschichtsbetrachtung kann auf den ersten Blick wenig Interesse an der mittelalterlichen Epoche erwartet werden - wenn sich nicht, vielleicht als Fernwirkung des romantisch-katholisierenden Mittelalterbildes der Zeit, in der die Diakonissengemeinschaften entstanden, eine Periodisierungsgepflogenheit verfestigt hätte, wonach die Frühe Neuzeit vom 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts als "die Dunkle Periode der Krankenpflege" heißt. Die mittelalterliche Epoche, in der Krankenpflege-Geschichte gewöhnlich von den Anfängen des Christentums bis zur Aufhebung vieler Klöster in der Reformationszeit gerechnet, hebt sich von der dunklen Neuzeit vorteilhaft ab. Ebenso übrigens von der Antike, weil sie die für die (jetzige) Krankenpflege verpflichtenden ethischen Maximen noch nicht gehabt habe.

Mit einem recht starken, von dem Mediziner und Krankenpflege-Historiker Paul JACOBSOHN entlehnten Bild kennzeichnen Nutting und Dock das Mittelalter in der Geschichte der Krankenkpflege als die Zeit der luftigen Hallen, der kühlen Quellen und Springbrunnen und der lieblichen grünen Gärten … - dagegen die Frühe Neuzeit als Periode der engen, dunklen Räume der städtischen und staatlichen Anstalten. Anstalten, die zudem die Pfleger und Pflegerinnen, auch zum Schaden der auf sie angewiesenen Kranken, auf jede Weise deklassiert und ausgebeutet hätten.

[2022-08-04:Mehr in Übereinstimmung mit den Gliederungsprinzipien denen die Geschichtsschreibung der Krankenpflege bisher de facto gefolgt ist, wird eine Charakterisierung der mittelalterlichen Epoche als Blütezeit der Orden sein. Gerade weil Bischoff, Frauen in der Krankenpflege gezeigt hat, daß Krankenpflege unter bestimmten Bedingungen und aus bestimmten Interessen als Frauenarbeit organisiert worden ist, stellt sich die Frage, wie das vorher, und damit wieder einmal im Mittelalter (das nun einmal immer als Gegenbild zu Gegenwärtigem herhalten muß), war, neu. Ich denke die ältesten Hospitalregeln werden dazu ein wenig beitragen können.]

Am wenigsten folgt dem Fortschritts-Modell Seidler, Geschichte der Pflege, der es als pädagogisch ungeeignet, für Schüler(innen) wenig überzeugend betrachtet, und zwar, notabene, zumal es meist mit einer Geringachtung des Historischen zum bloßen "Ornament zum sachlichen Unterricht" verbunden werde (S. 10-11); vgl. noch Anm. 26a.[x]

Die erste Diakonissengemeinschaft gründete 1836 der evangelische Pfarrer Theodor FLIEDNER (vgl. auch unten S. ) in Kaiserswerth bei Düsseldorf; für seine "Hausordnung" benutzte er die "Verhaltensregeln", in Clemens Droste von VISCHERINGs "Über die Genossenschaften der Barmherzigen Schwestern, insbesondere über die Einrichtung einer derselben und deren Leistungen zu Münster" (1833), die katholischen Barmherzigen Schwestern, in der Frühen Neuzeit als Erneuerung der mittelalterlichen Hospitalorden emporgekommen, waren sicher nicht ganz ohne Vorbildfunktion bei der Gründung FLIEDNERs (vgl. Bauer, Geschichte der Krankenpflege S. 201f.); andererseits empfing Florence NIGHTINGALE, auf die sich die Freien Schwestern vorzugsweise zurückführen, Impulse sowohl in Kaiserswerth (vgl. Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, Bd. 2 über die Diakonissenbewegung als Vorläuferin der "modernen Krankenpflege") als auch direkt von Barmherzigen Schwestern, mit denen sie bei ihrem berühmten Krimkrieg-Einsatz zusammengearbeitet hatte.[x]

Tl. l: "Vorchristliche Zeit", Tl. 2, Kap. 1-13: Mittelalter, und Tl 2, Kap. 14: "Dunkle Periode" machen bei den ersten Band von Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege aus, worauf im zweiten die Entwicklung zur modernen Krankenpflege hin mit "Kaiserswerth und die Diakonissenbewegung" eingeleitet wird. - Seymer, Geschichte der Krankenpflege, behält "Anfänge des Christentums" und "Reformation" als Periodengrenzen bei, hebt jedoch die Kontinuität vom Mittelalter zu den "Barmherzigen Schwestern" des 16.-17. Jahrhunderts so stark hervor, daß der Verfall erst im 18. Jahrhundert einsetzen kann. – Jamieson/Sewall/Suhrie, Trends (1940) geben ein Schreckbild der "protestantischen Revolte", durch welche "revolutionist Martin Luther ... leader of a Separatist group called Protestants" die Klöster teils zerstört,teils ihnen den Nachwuchs abspenstig gemacht und,wegen der Gleichsetzung von Ordenskrankenpflege mit guter Krankenpflege, auch die letztere ruiniert habe (S. 133. 147-149 u.ö.).[x]

Jacobsohn, Entwicklung, S. 142. 144. Mehr zu seiner Darstellung unten[x]

Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, l, S. 266, offenbar ein Anklang an das Zitat nach SCHMIDT, Maximilian, Allgemeine Umrisse der culturgeschichtlichen Entwicklung des Hospitalwesens und der Krankenpflege (Gotha 1870) S. 15-17, das sich bei Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, ebda. S. 252-254 findet. - bei den "kühlen Quellen und Springbrunnen" kann es sich kaum um andere als islamische Krankenhäuser handeln, wie v.a. das Mansurische Hospital zu Kairo, berühmt durch al-Maqrizis 1846 von Ferdinand WÜSTENPELD den Medizinhistorikern bekannt gemachte Beschreibung (Janus l, 1846, S. 28-39) - vgl. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften S. 33-34, Jacobsohn, Krankencomfort, S. 143 und JETTER, Grundzüge, S. 22-23; über die "luftigen Hallen vgl. Näheres unten.[x]

Vgl. oben Anmerkung 6.[x]

Vgl. oben Anmerkung 24.[x]

«Verklösterlichung» im 13. Jahrhundert Erträge der Pflegegeschichte zu Mittelalter-Hospitälern

Die Orientierung an der Gegenwart führt überhaupt bei Nutting und DOCK noch nicht dahin, daß das Mittelalter in seiner Entlegenheit von der Gegenwart verblaßte und nur noch die Kontrastfolie für die neueren Fortschritte abzugeben hätte. Das Interesse an den beruflichen Gegenwartsfragen ist vielmehr so unhistorisch-vital, daß es sich auch noch in der fernsten Vergangenheit ohne weiteres geltend macht. Das läßt wenig Aufnahmebereitschaft für das etwaige ganz Fremde der fernen Epoche zu, glücklicherweise aber ebensowenig für Harmonisierungen der inneren Verhältnisse von Krankenhäusern. Für Konflikte, wie sie sie selbst mit Bürokraten, Medizinern und einer vorurteilsbelasteten Öffentlichkeit austrugen, besaßen die frühen Geschichtsschreiberinnen der Krankenpflege auch bei der Durchleuchtung der mittelalterlichen Hospitalgeschichte einen ganz besonders geschärften Blick, etwa wenn sie folgende Verhältnisse herausstellten:

Die Pflegerinnen und Pfleger in den sehr alten Hospitälern (Hotels-Dieu) von Paris (seit ca. 660?) und von Lyon (seit 542), wie auch sonst in vielen Stadtspitälern, seien anfänglich einfach sich frei zusammenfindende, diensteifrige Gemeinschaften gewesen. Daß sie durch Ablegung von "ewigen" Gelübden und Auferlegung von Regeln, die die Persönlichkeit des einzelnen unterdrückt hätten, zu Klosterinsassen gemacht worden seien, sei ein Schicksal gewesen, daß sie später von außen, "oben", getroffen habe. Besonders schicksalsschwer in dieser Richtung sei das Provinzialkonzil zu Paris von 1212 gewesen, auf dem die Bischöfe versuchten, alle Hospitäler in ihren Diözesen einer Regel, und ihrer Oberaufsicht, zu unterwerfen. Letzten Endes hätten die Bischöfe das Niveau der Krankenpflege selbst untergraben, als sie die Hospitalgemeinschaften in enge Lebensformen gezwängt hätten, denn von der nunmehr an den Universitäten voranschreitenden Medizin sei der Betrieb in den Hospitälern damit gänzlich abgeschnitten worden. Die Unterdrückung des Pflegepersonals in den Hospitälern sei wirklich so krass gewesen, daß es 1497 im Pariser Hôtel-Dieu einen regelrechten Aufstand gegen die es ausbeutende Hospitalverwaltung unternommen habe.

Allein die Beginen hätten sich solch aufgenötigter Regulierung entziehen können. Sie stehen damit für NUTTING und DOCK als ein Vorbild in ferner Zeit, wie sie da in Freiheit und Unabhängigkeit, sich selbst erhaltend, eine makellose Würde und ruhige, einfache Nützlichkeit ihres Lebens gewonnen hätten.

Diesen Punkt, der mir der interessanteste zu sein scheint, den die "Geschichte(n) der Krankenpflege" zum Thema "mittelalterliches Hospitalwesen" aufweisen, die Zwangsregulierung der Hospitalkonvente, haben freilich schon JAMIESON, SEWALL und SUHRIE (1940-1966) wieder übersehen. Mit ihrer Darstellung setzt sich die harmonisierende Auffassung vollständig durch. Sie sprechen nämlioh überhaupt nur von "großen Namen", die zu kennen will add dignity and meaning to the nurse's work, wie sie es ausdrücken: Kreuzritter, Franz von Assisi, Klara, Elisabeth von Ungarn usw. Daß es neben einer kleinen Zahl von Heiligen auch einen mit gewöhnlichen Konflikten angefüllten Alltag gegeben hat, wird einfach unterschlagen; die Beginen nennt man immerhin noch, doch nicht mehr als ihren Namen.

SEYMER (1932-1954) folgt zwar in vielem der Auffassung NUTTINGs und DOCKs von den Lebensbedingungen des mittelalterlichen Krankenpflegepersonals, hält sich jedoch entsprechend dem mehr wissenschaftlichen Charakter ihrer Abhandlung, mit Urteilen mehr zurück, und indem sie die mittelalterlichen Orden mehr in ihrer Großartigkeit darstellt, erscheint die Verklösterlichung nicht mehr als ein Unglück für die mittelalterlichen Hospitalkonvente. Die Orden aber bilden die Vorgeschichte der Barmherzigen Schwestern und - Brüder der Frühen Neuzeit, die den Fortschritt in die Moderne durch die Dunkle Periode hindurch gesichert hatten, und deswegen fallen die inneren Probleme der vorklösterlichen Konvente infolge Seymers strenger linearer Geschichtsdarstellung zum Opfer: für die Weiterentwicklung der Berufsgeschichte waren sie nicht so direkt wichtig.

BAUER bringt (1965) freilich eine Anzahl neuer Details (aus anderer Literatur) über die Beginen und die "Unterwerfung" von Krankenpflegekonventen unter Klosterregeln in die Krankenpflegegeschichte herein, führt die Diskussion der Frage aber nicht wirklich weiter.

Erst SEIDLER löst (1966-1970) die Geschichte der Krankenpflege wieder von ihrer Unterordnung unter die der Klosterorden. Aber auch nicht mehr auf die Selbständigkeit der ersten Pflegergemeinschaften fällt das Hauptaugenmerk jetzt. Es soll den Wurzeln der Spannungen zwischen Pflegepersonal und Ärzten nachgegraben werden. Der Punkt freilich hatte auch für NUTTING und DOCK eine wichtige Rolle gespielt; sie hatten die Entfremdung der Hospitalpfleger von der Medizin aus der klösterlichen Isolation ersterer erklärt und als objektiven Beweis für das Unzuträgliche solcher Einschließung herausgestellt. SEIDLER ergänzt das von seiten der Geschichte der Ärzte: Sie waren im Frühen Mittelalter noch zumeist Mönche gewesen und hatten mit den damaligen Krankenherbergen innerhalb derselben Mauern gelebt; seit dem Hohen Mittelalter hingegen betätigten sich Kleriker nicht mehr in der Medizin, und die Mediziner waren Gelehrte an Universitäten; sie mögen mit,den Hospitäler jener Zeit in denselben Städten ansässig gewesen sein, machten dort aber kaum einen Besuch.

SEIDLERs Hauptinteresse ist aber immer, die Spannungen zwischen den beiden Berufsgruppen als auflösbar zu erweisen. So legt er großen Wert darauf, daß in der Praxis die Kluft zwischen Medizin und Hospitalpflege doch nicht sehr tief gewesen sei. Beide hätten immer noch auf einem gemeinsamen Fundament gestanden. Das sei die Diätetik gewesen, jenes altüberlieferte System von Regeln für die Förderung gesundmachender und die Zurückdrängung krankmachender Lebensfaktoren, an das auch heute wieder von Medizintheoretikern angeknüpft wird, die nach Alternativen zur "Heiltechnik" suchen. Die Frage nach den wirklichen therapeutischen Leistungen der mittelalterlichen Hospitalkonvente liegt aber noch sehr im Dunkeln, zunächst mangels reicherer Quellen, dann aber auch, weil SEIDLERs Vorstoß in dieses Niemandsland zwischen den Interessengebieten der Krankenpflege-Historiker (die sich meist mit Personen und Organisationen, kaum mit deren Arbeit beschäftigt haben) und der Medizinhistoriker (die sich kaum den medizinischen Leistungen von Nichtmedizinern haben zuwenden wollen) so einzig dasteht. Im folgenden Kapitel, über die medizinhistorische Beschäftigung mit der Hospitalgeschichte, wird auch noch deutlich werden, daß die Medizinhistoriker ihr Interesse an den alten Hospitälern aus bestimmten Gründen ganz auf die Baugeschichte gelenkt haben.

Vgl. unten S. 34 über die entsprechenden Gegebenheiten in der medizinhistorischen Forschungstradition.[x]

Was Schaper, Kritik Krankenpflege-Geschichtsschreibung die "Heroengeschichtsschreibung" von NUTTING und DOCK genannt hat, beruht eigentlich auf nichts anderem als dem konsequent durchgeführten Grundsatz, zu Fragen der Berufsarbeit in der Vergangenheit, ungeachtet des historischen Abstands, direkt wie zu aktuellen Tagesfragen Stellung zu nehmen (vgl. z.B. betreffend die Arbeit der Krankenpfleger im Mittelalter Bd. l, S. 318-327: Tagdienst-Einteilung, Essenausteilung, kleine Wäsche, große Wäsche (600 Leintücher, 6-wöchentlich) im Fluß - alles am Beispiel des Hotel-Dieu zu Paris) - so entsteht neben dem "roten Faden" der auf die Gegenwart hinzielenden Entwicklung noch eine zweite, radiale Verknüpfung jedes Ereignisses direkt mit der Gegenwart im Zentrum, und letztere tritt umso deutlicher hervor, je ärger die lineare in Sprüngen bald vor-, bald rückwärts verlassen wird.[x]

Würde man zum Vergleich die geisteswissenschaftliche Darstellungstradition studieren, wäre gerade eine solche Tendenz zur Harmonisierung der inneren Verhältnisse in den mittelalterlichen Hospitälern zu entdecken.[x]

Diese beiden alten Hospitäler behandeln NUTTING und DOCK stets exemplarisch für alle mittelalterlichen, da von ihnen "die vollständigsten Berichte über die Pflegeeinrichtungen" vorlägen (Bd. l, S. 299).[x]

Einem alten Irrtum folgend, dachten sich NUTTING und DOCK alle Hospitäler, die nach dem Heiligen Geist hießen, als Häuser des Heilig-Geist-Ordens; dieser Irrtum auch schon bei Virchow, Heilig-Geist-Orden (1879), S. 363f.; korrigiert bereits von Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 7, und von Uhlhorn, Liebesthätigkeit 2, 1884, S. 192 u.a.; vgl. dazu Reicke, Spital, l, S. 168, Anm. 3; trotzdem findet sich die irrige Auffassung wieder bei Seymer, Geschichte der Krankenpflege, S. 51 - hier zeigt sich an einem klaren Beispiel, wie die Erforschung der Hospitalgeschichte in den verschiedenen Disziplinen zeitversetzt voranschreitet, weil auf die Ergebnisse der jeweils anderen Fachbereiche kaum aufgebaut wird.[x]

Nach Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, l, S. 314-316 u.ö. - den Kommentar zu der Vorschrift des Konzils von 1212 über die Begrenzung der Zahl der Brüder und Schwestern in den Hospitälern, "cum autem pauci sani possint multis infirmis competentius ministrare, möchte ich zur Illustration der unübertrefflichen Gegenwartsbezogenheit in der Geschichtsauffassung von NUTTING und DOCK zitieren: Das bedeutete natürlich, daß die höchstmögliche Last von schwerer Arbeit auf die Schultern der Pflegerinnen gelegt wurde. Von so alter und vornehmer Herkunft ist die Kunst, in öffentlichen Anstalten dadurch zu sparen, daß man die Zahl der Hülfskräfte einschränkt und die Hauptarbeit den Frauen aufpackt - ein naiver und einfacher Ausweg, der noch nicht ganz aus unseren modernen Anstalten verschwunden ist. (Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, l, S. 316).[x]

Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, l, S. 370.[x]

Dock/Nutting/Karll, Gesch. d. Krankenpflege, l, S. 272-290, das Zitat ebda. S. 288, die ausdrückliche Überlegung, daß sich irgend etwas im eigentlichsten Wesen der Krankenpflege naturgemäß der strengen klösterlichen Form entzieht … und inwieweit wohl dieser ausgeprägte Charakterzug des Pflegeberufs - nämlich die Weigerung, sich von anderen Anforderungen als denen der Pflege binden zu lassen letzten Endes an der wirtschaftlichen Selbständigkeitsbewegung der Frau beteiligt gewesen ist ebda. S. 274.[x]

Jamieson/Sewall/Suhrie, Trends (1940), S. vi.[x]

S. 103f., erheiternder weise "Clarissa" geschrieben.[x]

Freilich ganz verkehrt: als im 6. Jh. gegründeter Orden (S.105-107)[x]

Auch Seymer, Geschichte der Krankenpflege bevorzugt die Darstellung des Mittelalters am Beispiel des Pariser Hotel-Dieu (S. 53-57, bsd. S. 53f., Anm. 37).[x]

Bauer, Geschichte der Krankenpflege S. 93.[x]

In dieser Art ist Krankenpflege-Geschichte auch bei einem Medizinhistoriker wie Eduard Dietrich, Krankenpflege aufgefaßt.[x]

Kein Wunder, daß sie mit der Zeit geistig verkümmerten und zum Portschritt unfähig wurden, daß die Wissenschaft sie weit dahinten ließ … (Dock/Nutting/KarllGesch. d. Krankenpflege, l, S. 315); nur abgeschwächt noch bei SEYMER-ALTER-SCHILLER S. 54.[x]

Seidler, Geschichte der Pflege, S. 80. 84-86.[x]

Vgl. zum Beispiel die programmatische Schrift von Heinrich Schipperges, Der Arzt von morgen (1982), auf die mich mein Kommilitone stud.med. Josef ZIERL hingewiesen hat.[x]

Zusammenfassung und Weiterführung 

Die Geschichte der Krankenpflege kann demnach noch nicht als besonders ausgebautes Forschungsfeld betrachtet werden; Einem ständigen Bedarf an Unterrichtsmaterialien und lehrbuchhaften Gesamtdarstellungen steht der völlige Mangel an Primäruntersuchungen gegenüber. Die Besonderheit der verschiedenen Darstellungen kann darum nur auf der Ebene der Fragestellungen, der Auswahl und Verbindung aus anderweitiger Literatur bereits bekannter Einzeltatsachen liegen – und gerade damit werden diese "textbooks" für die Erforschung des mittelalterlichen Hospitalwesens wertvoll: Wenn und insofern sie nämlich Fragen formulieren, die direkt in den inneren Betrieb und die inneren sozialen Verhältnisse der Hospitäler zielen. Darin kann höchstens eine "Histoire des pauvres" ihnen gleichkommen, von der anderen Bewohnergruppe her in die Hospitäler hineinleuchtend, aber auch diese Forschungsrichtung ist noch nicht allzu weit ausgebaut. Wie wenig solcherart direkt eindringende Fragen von anderen mit mittelalterlichem Hospitalwesen beschäftigten Forschungsrichtungen gestellt worden sind, zeigen die weiteren Kapitel.

Auf der Suche nach Ansatzpunkten für die weitere Erforschung des mittelalterlichen Hospitalwesens, die möglichst wenig, wie die bisherige Forschung es allzusehr getan hat, aufspalten und zerstückeln sollte, empfiehlt sich die Perspektive der Krankenpflege-Geschichte als besonders vielversprechend, nämlich die Konzentration des Interesses auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Hospitalbewohner selbst.

[2022-08-04: Dies gilt nach dem neuen pflegegeschichtlichen Ansatz von Bischoff, Frauen in der Krankenpflege nur umso mehr. Man beginnt endlich, die Perspektiven der Mediziner, Theologen, Juristen nicht mehr für bare Münze zu nehmen sondern Interessen bis hin zu Ideologie darin zu erkennen, und nach den wirklichen Arbeits- und Lebensumständen zu suchen. Ähnlich wie es auch heute wieder das eine und das andere gibt: Die "fortschrittliche" "Debatte" in den Talkshows und den Leitmedien und den immer schwierigeren Alltag der Handwerker, Paketboten und Erntehelfer.]

Von den beiden Aspekten dieses Themas, die ich aus der krankenpflegegeschichtlichen Literatur als besonders charakteristisch herausgestellt habe, zwangsweise Regulierung der Konvente und Prägung der Pflegearbeit durch die sogenannte Diätetik, ist -n den letzteren nicht so leicht anzuknüpfen. Wenig Quellen scheinen dazu vorzuliegen, schon gar, wenn es direkte Zeugnisse aus oder über Hospitäler sein sollten. Entsprechend weit sind die wenigen Primäruntersuchungen verstreut. So wichtig es wäre, über die Fragen der krankenpflegerisch-medizinischen Leistungen in mittelalterlichen Hospitälern Bestimmteres zu erforschen, so wenig aussichtsreich müßte ein derartiges Unternehmen fürs erste wirken.

Anders bei dem ersteren Punkt, der Verklösterlichung ursprünglich unabhängig gewesener Hospitalkonvente durch die kirchliche Obrigkeit im 12./13. Jahrhundert. Die Vorkämpferinnen der "Freien Schwestern" haben den Vorgang am stärksten herausgestellt, konnten dabei aber auf älteres zurückgreifen Und dieses Phänomen ist auch neuerdings außerhalb der Krankenpflege-Geschichtsschreibung in die Diskussion geraten: Die Sozialhistorikerin Griet MARECHAL hat nämlich 1978 aufgrund eingehender Studien des mittelalterlichen Hospitalwesens von Brügge die lange akzeptierte Theorie des Rechtshistorikers Siegfried REICKE in Frage gestellt und umzukehren versucht: daß die Spitalgeschichte des Hohen und Späten Mittelalters die Geschichte einer Kommunalisierung kirchlicher Institute gewesen sei Nach MARECHAL handelte es sich stattdessen um eine Offensive der Kirche gegen Einrichtungen, die ursprünglich aus Stadtkommunen heraus frei gegründet worden waren. Auch wenn die Verallgemeinerung des Brügger Befunds durch MARECHAL vielleicht wenig begründet ist - der Ursprung der städtischen Hospitalkonvente um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert, ob und inwiefern sie "frei" waren, aus welchen Gesellschaftsgruppen und mit welchen Motiven sie sich zusammenschlössen, ist als Forschungsaufgabe nun neu gestellt. Und ein Schritt zu ihrer Lösung ist auch bereits getan, indem eine zentrale Quelle zu den "freien" Hospitalkonventen kurz nach 1200 eingehend untersucht worden ist: das Kapitel 29 "De hospitalibus pauperum et domibus leprosorum" in der "Historia occidentalis" (1222/1225) von Jacques de Vitry Mme. A.-M. BONENFANT-FEYTMANS hat 1981 eine Studie darüber veröffentlicht, die auch bewies, wie notwendig fundamentale Quellenuntersuchungen an einzelnen Stellen noch sind, um die Entstehungsphase der kommunalen Spitäler zu begreifen.

Es deutet sich jetzt an, daß es die Regeln der Hospitäler aus dieser Zeit sind, die in allen Argumentationen und Forschungen eine zentrale Rolle spielen: NUTTING und DOCK nannten ja das Jahr 1212 wegen des Pariser Provinzialkonzils, das viele nordfranzösische Hospitäler von oben her reguliert hat, "schicksalsschwer" für die Pflegenden, weil "unsachgemäße" Auflagen in diesen Regeln dem Niveau der Berufsarbeit auf die Dauer geschadet hätten Für MARECHAL ist die Regel des Brügger Sint-Janshospitaal von 1188 das Hauptargument für frei-kommunalen, nichtkirchlichen Ursprung des Hospitalwesens Und BONENFANT-FEYTMANS klärt den Realitätsgehalt der Sätze Jacobus de Vitriacos gerade durch Zusammenhalten mit der Entwicklung der Hospitalregeln an den einzelnen, von Jacobus de Vitriaco mit Namen genannten Orten. Von daher scheint mir schon jetzt eine nähere Erforschung der Hospitalregeln besonders viel zum Problemkomplex "freie" Hospitäler und "Verklösterlichung" beitragen zu können

Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften S. 37.[x]

Maréchal, Brugge bsd. S. 1-33. 155-176. 277-306.[x]

Reicke, Spital §13, S. 196-277; auch S. 51.[x]

So zum Beispiel Uta Lindgren, Rez. Maréchal: Brugge S. 704f.[x]

Jacques de Vitry, Historia occidentalis ed. Hinnebusch S. 146-151.[x]

Bonenfant-Feytmans, J. de Vitry, S. 19-45.[x]

Wie oben Anm. 31[x]

Text und Diskussion hier nicht publiziert, in der Originalfassung als Teil 2.[x]

Maréchal, Brugge S. 95-104 und zusammenfassend S. 304: De teorie van de "Kommunalisierung" hebben we als vals van de hand moeten wijzen. De burgerij stichtte se armen- en ziekensorg in de steden, und S. 29: Wanneer we vaststellen dat de broederschappen aan de basis lagen van de oudste hospitaalen en dat het Brugse Sint-Janshospitaal in het reglement van 1188 als 'collegium' en 'fraternitas' vermeld staat, dan denken wij an banden met die koopluiorganisaties.[x]

Vorläufig noch nicht zugänglich waren folgende, im neuesten "Verzeichnis lieferbarer Bücher" angezeigte Werke: WYSS, H.R.; MURKEN, A.H., Geschichte der Krankenpflege. Ein Hilfsmittel für den berufskundlichen Unterricht, o.O. 1982; STROBL, M.; RETTIG, A. (Mitarbb.), Geschichte der Krankenpflege. Hg.v. Österreichischen Krankenpflegeverband, Wien: Facultas, 19833.[x]

Medizin- und Architektur-Geschichte Darstellungen aus der Perspektive der Geschichte der Medizin, die es mehrheitlich als eine Vorgeschichte des ärztlich geleiteten Krankenhauses betrachtete

Abgrenzung Außer der Haupt-Strömung gab es noch eine alternative Sichtweise

Als zweite Gruppe von Beiträgen zur Erforschung des mittelalterlichen Hospitalwesens stehen diejenigen untereinander in Entwicklungszusammenhang, die von Medizinern geleistet worden sind. Auch wenn sie im einzelnen nicht ständig die gleichen Auffassungen, Erkenntnisziele oder Methoden teilen, ist doch allen professionellen Medizinern, die sich mit dem Hospitalwesen früherer Zeiten beschäftigt haben eine Grundlage dieser Studien gemeinsam: das moderne Krankenhaus, Stätte der Fortschritte der modernen medizinischen Wissenschaft, steht immer als Vergleichsmaßstab mit auf der Bildfläche. Damit unterscheiden sich diese Arbeiten von vornherein von allen kirchen- oder rechtshistorischen, in der Akzentuierung der Medizin im Krankenhaus heben sie sich andererseits auch von den zuvor registrierten "Geschichte(n) der Krankenpflege" ab. Daran, daß die medizinhistorischen Arbeiten auch tatsächlich viel mehr auf einander Bezug nehmen als auf Arbeiten anderer Forschungsrichtungen über denselben Gegenstand, kann man erkennen, daß die Fixierung auf das moderne Krankenhaus als Vergleichsmaßstab in der Tat eine eigene Forschungstradition mit sich gebracht hat.

Eine Einschränkung ist für die kleine Gruppe von Medizinhistorikern zu machen, die zugleich durch Ausbildung oder Neigung Historiker der gewöhnlichen geisteswissenschaftlichen Prägung waren bzw. sind. Nachdem schon im vergangenen Jahrhundert einige Ärzte nicht als solche sondern dezidiert als "Kulturhistoriker" über Hospitalgeschichte geschrieben hatten, stehen jetzt die Namen der Medizinhistoriker Johannes STEUDEL (Bonn), seines Schülers Heinrich SCHIPPERGES (Heidelberg), von Eduard SEIDLER (Freiburg i. Brsg.) und Christian PROBST für eine Medizingeschichtsforschung, die dieselben Schriftquellenvorräte wie die Kirchen- oder Geistesgeschichte ausnützt und von streng linearer Fortschrittsschilderung zu warmem Interesse am Mittelalter übergeht, als einer Zeit, in der man die inzwischen als Übel empfundene Fortschrittsentwicklung zur modernen "Heiltechnik" noch nicht wiedertrifft. Schipperges hat die Medizin der Mönche im Frühen Mittelalter untersucht, bedeutsam für die Geschichte des Hospitalwesens, weil die Hospitäler damals zuallermeist in Klöstern lagen, aber auch zum Beispiel naturmystische Schriften wie die von Hildegard von Bingen unter medizintheoretischer Fragestellung. Probst hat einem wichtigen Werk zur Geschichte der Hospitäler des Deutschen Ordens in Preußen eine auch anderweitig gedruckte allgemeine Übersicht über das mittelalterliche Hospitalwesen in geistesgeschichtlicher Perspektive vorangestellt. Eine umfassende Darstellung der Forschungsgeschichte über mittelalterliche Hospitäler müßte selbstverständlich dieser medizinisch-geistesgeschichtlichen Richtung ein Kapitel für sich widmen; ihr innerer Zusammenhang würde sich dann leicht aufweisen lassen.

Vgl. oben Anmerkung 31.[x]

Schmidt, Hospitalwesen (vgl. oben S. 10 mit Anm. 22); dann die Werke des kgl. Bezirksarztes in Stadtamhof, Gottfried Lammert, Bürgerliches Leben und Gesundheitspflege, bsd. S. 124-130 über allgemeine und S. 130-251 über lokale Hospitalgeschichte Süddeutschlands, reich an überraschenden Ideen; vor allem aber ist hier auf die Einleitung zum Vortrag von Rudolf Virchow, Ueber Hospitäler und Lazarette (1879) hinzuweisen, wo er die Geschichte der Krankenfürsorge leidenschaftlich als Inbegriff der Geschichte der Humanität vor Augen stellt und die letztere als Kern der Culturgeschichte, die im geraden Gegensatz zu der der große[n] und prunkende[n] Kriegsthaten vom einfache[n] Mann und der stille[n] Hausfrau gemacht werde (ebda. S. 4f.).[x]

Er gab die Reihe "Heilkunde und Geisteswelt. Eine medizinhistorische Schriftenreihe hg.v. Prof. Dr.med.et phil. -" heraus, in der zum Beispiel als 2. Band Wolf von Siebenthal, Krankheit als Folge der Sünde erschienen ist[x]

Steudel als seinen Lehrer bezeichnet übrigens auch Dieter Jetter, Gesch. d. Hosp., l, S. VI.[x]

Über ihn ausführlich oben: Seidler, Geschichte der Pflege.[x]

Daß das keine banale Selbstverständlichkeit ist, zeigt unter vielen anderen das Beispiel des großen Gelehrten VIRCHOW, der der philologisch-historischen Arbeit nun keineswegs abhold gewesen ist und dessen Arbeiten zeigen, daß ihm ein immenser Apparat entsprechender Werke und Textausgaben zur Verfügung stand - doch muß er einräumen, daß ihm Mignes "Patrologia Latina" oder die durch SCHIPPERGES nachmals berühmt gewordenen Werke der Hildegard von Bingen unerreichbar seien.[x]

Bei dieser, wie bei jeder historischen Besinnung, fühlen wir uns nicht nur an das erinnert, was wir errungen ... sondern auch an das, was wir verloren und vergessen und vergeudet haben. Aus der historischen Distanzierung heraus sind wir ... in der Lage, neue Beziehungen zu dieser alten Heilkunde aufzunehmen, die sich dann in der lebendigen Auseinandersetzung als ein Korrektiv erweisen könnten für die ... Heilkunde von morgen! (Schipperges, Benediktiner in der Medizin, S. 60); vgl. auch hier, oben S. 14 mit Anmerkung 41.[x]

Schipperges, Benediktiner in der Medizin (eine Gastvorlesung im Philos.-Theol. Studium Erfurt); eine Aufzählung seiner weiteren wichtigen Arbeiten würde hier zu weit führen.[x]

Probst, Hospitalwesen (1966) und Probst, Hospitalwesen (1982). Hospital, Firmarie und Arzt bis 1525, Diss.phil. Göttingen (H. Heimpel) 1967 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 29) Bad-Godesberg 1969 (vgl. unten S. 80), zuletzt in: BAADER, Gerhard; KEIL, Gundolf (Hgg.), Medizin im mittelalterlichen Abendland (Wege der Forschung, Darmstadt 1982.[x]

Er manifestiert sich z.B. auch in einem unter den Veröffentlichungen des Instituts für historische Anthropologie hg. Sammelband Schipperges/Seidler/Unschuld/Sprandel, Krankheit Heilkunst Heilung (1978), wo für Urgeschichte bis Moderne versucht wird, die Medizin oder "Heilkunst" in einen umfassenden kulturgeschichtlichen Rahmen zu bringen (rez. in der HZ 235 von Dirk Blasius.[x]

Entwicklung 

Vorläufer 

| Haeser | Lücke | Virchow | Küster | Dietrich |

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die medizinhistorische Erforschung der alten Hospitäler einige Vorläufer, die noch von durchaus verschiedenen,und, von später her gesehen, "untypischen" Ansätzen ausgingen. Trotzdem fügen sich diese Arbeiten in die dann entstandene Forschungstradition ein, nicht nur weil sie von Medizinern stammen, sondern noch mehr weil sie nirgendwoanders so sehr beachtet worden sind, wie in der späteren medizinhistorischen Hospitalforschung.

Heinrich Haeser

Der Neubau von Krankenhäusern im ganz großen Stil mit seinen Impulsen zu hospitalgeschichtlichen Studien, war noch nicht in Gang gekommen, aber es war doch bereits die Gründung einer neuen Universitätsklinik, verbunden mit Universitätsjubiläum und Besuch des Königs, die den Anlaß zu einer ersten Untersuchung eines Mediziners über "Geschichte christlicher Kranken-Pflege und Pflegerschaften" gab. Das war zu Greifswald im Jahre 1857, nur 7 Jahre später als der Anfang kirchengeschichtlichen Studiums über denselben Gegenstand zu datieren zu sein scheint. Der Autor besaß bereits einen Namen als Verfasser einer noch lange nachher zitierten Geschichte der Medizin. Als Professor "der theoretischen Medizin" und Dekan der medizinischen Fakultät hielt er eine lateinische Rede über Hospitalgeschichte, die zuerst in der Einladung zu den Ehrenpromotionen der Fakultät anläßlich des Jubiläums gedruckt wurde:

Viros doctrina arte scribendo docendo claros quibus summos in medicina honores inter sacra saecularia universitatis Gryphiswaldensis quartum celebranda conferendos decrevit medicorum Gryphiswaldensium ordo solenniter die XIX mensis Octobris anni MDCCCLVI hora XI in aede sancti Nicolai renuntiandos indicunt Decanus et Professores ordinis medici. Inest Henrici Haeseri, ord. h. a. decani, dissertatio de cura aegrotorum publica a Christianis oriunda (34 S. in 4°),

dann aber auf geäußertes Interesse hin mit erweiterten Belegen etc. deutsch herauskam:

Heinrich HAESER
Geschichte christlicher Kranken-Pflege und Pflegerschaften
Berlin: Hertz (Besser),
1857 (126 S. 8°)
ND Bad Reichenhall 1966

Albert Lücke

Ein anderes Beispiel dafür, wie hospitalgeschichtliche Betrachtungen aus Anlaß von Klinikeinweihungen vorgetragen wurden - dieses jedoch viel ärmer an originalen Forschungsbeiträgen als das vorgenannte - haben wir in:

Albert LÜCKE
Rede über die Entwickelung des Hospitalwesens und die Verwendung der Hospitäler zu Lehrzwecken, gehalten von -, o, Professor der Chirurgie
in: Der Rectoratswechsel an der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg am l. Mai 1879. Jahresbericht erstattet von dem Prorector Dr. J.H. Holtzmann ... Bericht über die Preisbewerbung für das Jahr 1878-1879. Rede über die Entwickelung (usw. wie oben)
(Strassburg: Schuitz, 1879) S. 21-46

Hier zog die Universitätsklinik aus dem alten "Bürgerspital" mit mittelalterlicher Vergangenheit aus und etablierte sich in eigenen, dem neuesten Stand der Wissenschaft genügenden Bauten vor der Stadt - die Situation ist als Musterbeispiel für das, was die Beschäftigung der Medizinhistoriker mit den alten Spitälern angeregt hat, nicht besser auszudenken.

Rudolf Virchow

Doch die erste wirklich großangelegte Unternehmung zur Sammlung und Sichtung der Quellen und der älteren Literatur zum Hospitalwesen im Mittelalter ist eigentlich noch etwas älter als die bei LÜCKE sich andeutende, an der Architektur orientierte Krankenhausgeschichtsforschung der Mediziner, die später "typisch" für diese Disziplin wurde. Jene gewaltige Materialsammlung verdankt man dem Pathologen Rudolf VIRCHOW (1821-1902), Entdecker der Zellularpathologie, der auch Sozialmediziner war. Er forderte "Kenner der mittelalterlichen Geschichte" und "namentlich Ärzte" des In- und Auslands in den Jahren 1860-1861 durch eine Artikelreihe in seinem eigenen "Archiv für pathologische Anatomie" auf, Beiträge, "das, was ihre Heimath an erhaltenen Thatsachen aufweist" einzusenden, zunächst: zu einer "urkundlichen Geschichte des Aussatzes", später: zu der "stark vernachlässigten Krankenhausgeschichte" überhaupt.

Zu Anfang ging es VIRCHOW bei diesem Unternehmen um die Lösung eines rein pathologischen Problems, und sein Vorgehen zeigt, wie sehr einer der "Väter" der streng naturwissenschaftlichen Medizin selbst noch methodisch universal dachte: Eine möglichst vollständige Registrierung der vor dem Rückgang der Lepra in Europa vorhandenen Leprosorien sollte die Schwerpunkte der Krankheit lokalisieren helfen, so daß dann die eventuellen klimatischen, kulturellen u.a. Faktoren identifiziert werden könnten. Schon bald zeigte es sich ihm freilich, daß die historischen Daten über Leprosorien mehr das Zivilisations-, wo nicht gar bloß das Überlieferungsniveau der Quellen, als das tatsächliche Auftreten der Krankheit zu messen erlauben. Daraufhin setzte VIRCHOW das begonnene Unternehmen einfach zur Förderung der Hospital-Geschichtsforschung fort.

Sicher hatte das Gewicht von VIRCHOWs Namen seinen Anteil am Erfolg seines Aufrufs. Philipp JAFFEs Antwort an .VIRCHOW ist übrigens der einzige Beitrag zu unserem Thema von einem der bekannteren deutschen Historiker geblieben. Die einlaufenden Beiträge druckte VIRCHOW, mehr oder weniger redigiert, in seinem eigenen "Archiv";

Rudolf VIRCHOW
Zur Geschichte des Aussatzes ([ab Art. 2:] und-der Spitäler), besonders in Deutschland [nur Art. l :] , nebst einer Aufforderung an Aerzte und Geschichtsforscher, l.-5. Artikel
in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin. Hg.v. R. VIRCHOW 18 (1860) S. 138-162. 273-329. 19 (1860) S. 43-93. 20 (1861) S. 166-198. 459-512.

Zu einer kritischen und synthetischen Bearbeitung des Stoffes, die er damals vorhatte, scheint sich ihm später - leider - keine Gelegenheit mehr geboten zu haben. Doch liegt auch in der bloßen Sammlung schon ein erheblicher Nutzen für die Hospitalgeschichtsforschung, wenn diese Sammlung in dem Umfange wie von VIRCHOW vorgenommen wird.

Eine nach demselben Muster angelegte Artikelserie mit eigenen "archivalischen und literarischen Lesefrüchten" über die Geschichte des Hospitalwesens in Alt- und Neu-Württemberg hat später ein Stuttgarter Arzt herausgebracht, sie soll nur am Rande zu VIRCHOWs Sammelunternehmen erwähnt werden:

Theodor SCHÖN
Die Entwicklung des Krankenhauswesens und der Krankenpflege in Württemberg
[1. Teil:] Die Krankenpflege und die Krankenhäuser bis 1866
in: Medizinisches Correspondenz-Blatt des wuerttembergischen aerztlichen Landesvereins 71 (1901) S. 542-546. 553-558. 671-675. 72 (1902) S. 81-83. 185-189. 347-350. 553-560. 701-708. 721-723. 734-741. 835-838. 881-883.

Einige Jahre nach Abschluß der Materialsammlung hat VIRCHOW das Thema Hospitalgeschichte immerhin doch noch einmal übersichtsartig behandelt, als er im "Berliner Handwerker-Verein" einen Vortrag hielt, der schließlich sowohl durch eine von ihm mitherausgegebene Reihe populärwissenschaftlicher Schriften als auch durch seine zehn Jahre darauf erschienenen und ziemlich verbreiteten "Gesammelten Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medicin" bekannt wurde:

Rudolf VIRCHOW
Ueber Hospitäler und Lazarette. Vortrag, gehalten im December 1866 im Saale des Berliner Handwerker=Vereins
1) (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge. Hg.v. R. VIRCHOW und Fr. v.HOLTZENDORFF, 72) Berlin: Lüderitz-Charisius, 1869 (32 S.)
2) in: Ders., Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medicin und der Seuchenlehre 2 (Berlin 1879) S. 6-22

In diesem Vortrag äußerte VIRCHOW eine hohe Meinung von dem "sittlichen Wert" der Geschichte der Sorge für Kranke. Sie zeige wie kaum ein anderes Gebiet, daß nicht nur die Geschichte der Politik, ja der "brutale(n) Gewalt", voranschreitet, sondern auch die der Humanität, der Freiheit und der "Veredelung der Menschen" habe ihren eigenen Fortschritt. Auch die Kirchenhistoriker haben ja vielfach die Hospitalgeschichte als eine Serie von Manifestationen des Guten im Menschen aufgefaßt, aber diese Wertung mit einem Fortschrittsmodell zu verbinden, ist dem Naturwissenschaftler vorbehalten geblieben, der sich den Konfessionen gegenüber als neutral, allein der Humanität verpflichtet bekannte. Immerhin mußte er konstatieren ("Sonderbare Gegensätze!"), daß die Fortschritte in der Krankenversorgung jeweils von Kriegen veranlaßt wurden, der Fortschritt der Humanität also nicht ohne den "Fortschritt" der Brutalität habe vonstatten gehen können. Dabei dachte er vor allem an die Verbesserungen in der Versorgung Verwundeter seit Nightin- gales Einsatz beim Krimkrieg und insbesondere an die überraschenden Erfolge, die man mit Zelt- und Baracken-Lazaretten gemacht hatte; woraus er im letzten Teil dieses Vor-trags ein für den Krankenhausbau des letzten Jahrhundertviertels entscheidend werdendes Programm entwickelt, die großen Krankenhausbauten in kleine, gut durchlüftete Pavillons zu zerlegen.

Einen weiteren Ansatz zur Bearbeitung des hospitalgeschichtlichen Stoffes unternahm VIRCHOW 1877, indem er in der preußischen Akademie der Wissenschaften über den Heilig-Geist-Orden las:

Rudolf VIRCHOW
Der Hospitaliter-Orden vom heiligen Geiste, zumal in Deutschland (14. Juni. Gesammtsitzung der Akademie)
in: l) Monatsberichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1877 (Berlin 1878) S. 339-371
2) Ders., Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medicin und der Seuchenlehre 2 (Berlin 1879) S. 23-47. Nachträge: S. 108f.

Hier kann er sich auch auf eigene Nachforschungen in Rom, im Archiv des Arcispedale di Santo Spirito stützen. Er verbindet in dieser Abhandlung die Einzeldaten über mitteleuropäische Heilig-Geist-Hospitäler (161 sind ihm bekannt) mit einer Theorie über die politischen Ziele des Papstes, der 1204 den Heilig-Geist-Orden gründete: Innozenz III., "der gewaltige Papst, der den Kaiser demüthigte und Könige entsetzte, der unerbittliche Verfolger der Albigenser". Obwohl VIRCHOW die Bedeutung des Heilig-Geist-Ordens überschätzte, indem er annahm, alle Heilig-Geist-Spitäler hätten zu ihm gehört, ist seine These, daß die gehäuften Neugründungen des frühen 13. Jahrhunderts auf eine zielstrebige Politik der Kirche (wenn auch vielleicht nicht gerade nur der Kurie) zurückgehen, geradezu vorbildlich für heutige Ansätze in der mittelalterlichen Hospitalgeschichtsforschung.

Ernst Küster

Ganz im Anschluß an VIRCHOW hat noch 1895 der Marburger Chirurg Ernst KÜSTER die Geschichte der Krankenversorgung und des Hospitalwesens resümmiert, als er bei Antritt des Rektorats an der Universität eine Rede zu halten hatte:

Ernst KÜSTER
Die Krankenpflege in Vergangenheit und Gegenwart. Rede, gehalten bei Uebernahme des Rektorats an der Universität Marburg am 13. Oktober 1895 von Dr. -, Professor der Chirurgie
Marburg: N.G. Eiwert, 1895.

Auf S. 4-8 faßt er VIRCHOWs Vortrag "Ueber Hospitäler und Lazarette" von 1869 zusammen, das Folgende über die mittelalterlichen Stadtspitäler ist eine Kurzfassung von VIRCHOWs Akademieabhandlung über den Heilig-Geist-Orden von 1877, und im letzten, den Gegenwartsfragen gewidmeten Teil vertritt Küster eine Auffassung von den religiösen Kranken-pflegeorden, die der VIRCHOWschen nahekommt. Nur in Nuancen gibt er Originales zu erkennen: Er unterstreicht etwas die These vom christlichen Ursprung der Hospitäler, vielleicht im Bewußtsein der Debatte, in die VIRCHOW ihretwegen geraten war (mit Vertretern der jüdischen Konfession); er schlägt etwas die nationalen Saiten an, wo er vom Deutschen Orden zu reden hat z.B.; er schließt den geschichtlichen Überblick mit einer Apotheose auf die Kaiserin Augusta, "die Verkörperung aller humanen Bestrebungen unseres Jahrhunderts"; er empfiehlt die Ausweitung der berufsmäßigen Krankenpflege zur Lösung "der Frauenfrage, die man unpassender Weise als die Frage der Frauenemancipation bezeichnet", und zwar ein angemesseneres Mittel als die Öffnung der Universitäten etwa für Frauen, denn "der veibliche Körper" sei doch "für zahlreiche Anforderungen des bürgerlichen Lebens absolut ungeeignet" - nicht aber für die Krankenpflege darf man wohl ergänzen; diese "getreue Schwester der praktischen Medizin, welche still und geräuschlos ihr Werk thut, welche demuthsvoll bei Seite steht, wenn ihre Schwester Triumphe feiert." Das hat VIRCHOW, soweit ich gesehen habe, nicht gesagt, es ist in der Generation Küsters etwas Neues, und es wird das Thema des nächsten Kapitels.sein. Bemerkenswert erscheint dem Leser heute auch Küsters Einschätzung der Krankenpflege als eines "mächtigen Hebels" gegen die "Lehren des Umsturzes", die seiner Ansicht nach eigentlich immer nur in "Schmutzstarrenden, verkommenen Wohnungen gewisser Bevölkerungsklassen" gedeihen können. Wo dagegen "gebildete Frauen und Jungfrauen" Reinlichkeit, Ordnung und frische Luft hereinbringen, da empfindet "selbst der ungebildete und selbst der verkommene Mensch ... eine heilige Scheu", die Mutter des von der Schwester gepflegten Kindes befällt "ein Schamgefühl", und es treten "versöhnlichere Stimmungen auf". Als schlagendes Argument gibt.Küster zu bedenken, daß "selbst in solchen Hospitälern, welche vorwiegend mit kranken Arbeitern belegt sind" noch nie jemand sich gegen die Disziplin aufgelehnt habe. Das erinnert an die These (M. FOUCAULTs), die Disziplin im Sinne der modernen Gesellschaften sei geradezu in Gefängnis und Hospital "geboren" worden, wo zum erstenmal Menschen einzeln und hilflos einer Ordnungsmacht zur Verfügung standen, und würde bekräftigen, daß eine solche Auffassung tatsächlich noch vor 90 Jahren lebendig war.

Die absolutistische Auffassung die der Mediziner Küster vom Verhältnis seines Berufsstandes zu dem der Krankenpfleger aussprach, signalisiert bereits, daß zwischen beiden Gruppen ein neuer Konflikt aufkam, der dann auch die Hospitalgeschichtsdarstellung der Mediziner veränderte. Deren älteste, vor allem Haesers und VIRCHOWs,. Arbeiten beschäftigten sich doch durchaus noch mit Personen und Gruppen: Haeser sprach: von den "Pflegerschaften". Und sie arbeitete auch noch mit Urkunden und erzählenden Quellen, die man selbständig kritisierte und interpretierte. Beides muß deswegen hervorgehoben werden, weil es für die spätere medizinhistorische Forschungstradition über diesen Gegenstand nicht mehr zutrifft. Gegen die Jahrhundertwende engte die Medizin ihren Begriff von "Krankenpflege" auf die wissenschaftlich begründete Technik ein, so daß die Personen und sonstigen Umstände aus ihrem Blickwinkel herausfielen (s. Abschnitt 1.3.1.2). Etwa gleichzeitig führte eine enorme Neubautätigkeit im Krankenhauswesen dazu, daß die Geschichte der Hospitäler in der Praxis ganz von der krankenhausarchitektonischen Literatur aufgesogen wurde (s. Abschnitt 1.3.1.3).

Eduard Dietrich

Einen späten Vertreter hatte die ältere, weiträumigere Auffassung der Medizinhistoriker von "Krankenpflege" freilich noch 1899 in Eduard DIETRICH, Kreisphysikus zu Merseburg. Er schrieb die beeindruckend ausführliche historische Einleitung zu einem im Hochgefühl errungenen Fortschritts herausgegebenen Sammelwerk über alle Sparten der "Krankenversorgung und Krankenpflege":

Eduard DIETRICH
Geschichtliche Entwicklung der Krankenpflege
in: LIEBE, Georg; JACOBSOHN, Paul; MEYER, George (Hgg.), Handbuch der Krankenversorgung und Krankenpflege l (Berlin: Hirschwald, 1899) Abteilung l = S. 1-182.

DIETRICH zählt die "Pflegerschaften" der Reihe nach auf und achtet peinlich darauf, daß keine Gemeinschaft zu wenig Aufmerksamkeit bekommt; in der Geschichte der Krankenpfleger und -Pflegerinnen bzw. ihrer Verbände erschöpft sich für ihn augenscheinlich die Geschichte der Krankenpflege. Doch verwahrte man sich bereits im selben Jahre 1899 medizinischerseits dagegen, daß so etwas überhaupt unter "Krankenpflege", wie man sie nun definierte, fallen könne. Der Titel des Handbuches, in dem DIETRICHs Beitrag steht, folgt auch bereits der neuen Sprachregelung:

Vgl. unten S. 82.[x]

Zitiert nach HERTZ, M.; BAIER, A.H., Bericht über die vierte Säcular-feier der Universität Greifswald vom 16. bis 20. October 1856 in amtlichem Auftrage verfasst ... (Berlin: Reimer, 1857) S. 112,vgl.S.219. S. 219 über Haesers amtliche Stellung; vgl. seine Verleihungsrede dat.) ebda. S. 120-123; S. 115 wird im übrigen berichtet, daß beim selben Anlaß Gerhard UHLHORN (vgl. unten S. 97) mit der theologischen Ehrendoktorwürde geehrt worden sei.[x]

Den Nachdruck zit. ich nach JETTER, Geschichte des Hospitals 4 (1980) S. 28ff., Nr. 25.[x]

LÜCKE S. 21-22.[x]

VIRCHOW, in: Archiv für pathologische Anatomie 18 (1860) S. 329.[x]

Ebda. 20 (1861) S. 166.[x]

Ebda. 18 (1860) S. 273f.[x]

VIRCHOW war vom norwegischen Innen-Departement um Rat zur Bekämpfung einer damals zum allgemeinen Schrecken grassierenden Lepra-Epidemie in den Küstenprovinzen Norwegens gefragt worden, woraufhin er zuerst eine Studienreise in das betroffene Gebiet und dann die erwähnte historische Untersuchung vornahm (die Lepra grassierte zu gleicher Zeit auch in den baltischen Küstenländern) (VIRCHOW, in: Archiv für pathologische Anatomie 18, 1860, S. 138f.); der Leprabazillus wurde wenige Jahre später in Norwegen von Armauer Hansen entdeckt (1871).[x]

Das hebt unifassend hervor Wolfgang JACOB, Der Naturbegriff bei Rudolf VIRCHOW und seine Folgen, in: SUDHOFF s Archiv 51 (1967) S. 145-164, der auch zeigt, wie bei den Schülern VIRCHOWs, so vorbehaltlos sie sich ständig auf ihn beriefen, doch die Einengung auf die naturwissenschaftliche Methodik, die Aufgabe der "historischen Dimension" von VIRCHOWs Medizin anfing; ein weiteres Beispiel für VIRCHOWs historische Methode in der Pathologie: "Die Hunger-Epidemie von 1771-1772 in Unterfranken" (1852), ND in: Ders., Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medizin ... l (1878) S. 416-418.[x]

VIRCHOW, in: Archiv für pathologische Anatomie 18 (1860) S. 139-141.[x]

Beispielsweise fand er, daß die quellenmäßig belegten Leprosorien sich im Takt mit der deutschen Kolonisation nach Ostmitteleuropa ausbreiteten (vgl. ebda. S. 273-274. 287; ebda. 19, 1860, S. 43).[x]

Vgl. ebda. 18 (1860) S. 273, und 19 (1860) S. 43.[x]

Vql. VIRCHOW, in: Archiv für pathologische Anatomie 18 (1860) S. 329.[x]

Rudolf SEIGEL, der neuerdings die Hospitalgeschichte desselben Raumes aus städtegeschichtlicher Perspektive sehr eingehend bearbeitet hat (Spital und Stadt in Altwürttemberg. Ein Beitrag zur Typologie der landstädtischen Spitäler Südwestdeutschlands {Veröffentlichungen des Stadtarchivs Tübingen, 3) Tübingen 1966) bemerkt S. 3 mit Rechte daß Sch$n gar keine "Entwicklung", wie im Titel versprochen, sondern bloß zusammenhanglose Nachrichten aneinanderreihe, erkennt freilich nicht, wie diese Darstellungsweise in der medizinhistorischen Hospitalforschung ein Vorbild (und manche Nachfolger) hatte.[x]

VIRCHOW, Hospitäler, S. 3.[x]

Vgl. unten S.[x]

U.a. in der Abwehr des Vorwurfs, er sei gegen Juden voreingenommen (vgl. unten S. ); in der Frage, ob Krankenschwestern Ordens- u.a. Gemeinschaften angehören müßten oder ohne dies genausogut qualifiziert sein könnten ("Hospitäler", S. 23f.; und bsd. "Die berufsmässi-ge Ausbildung zur Krankenpflege, auch ausserhalb der kirchlichen Organisationen. "Rede, gehalten am 6. Nov. 1869 in der Conferenz der Frauen-Vereine zu Berlin. o), in: Gesamm. Abhh. aus d. Geb. d. öffentl. Medicin ... 2, Berlin 1879, S. 47-56. 110-123).[x]

VIRCHOW, Hospitäler, S. 5.[x]

VIRCHOW, Hospitäler, S. 24-28; kennzeichnend ist, wie sich für VIRCHOW von da der Blick "unwillkürlich zurück" lenkt "auf jene Krankenstädte oder Krankendörfer, wofür die Stiftung des h. Basilius das ehrwürdigste Beispiel ist" (ebda. S. 27).[x]

Axel-Hinrich MURKEN, Das deutsche Baracken und Pavillonkrankenhaus von 1866 bis 1906, in: SCHADEWALDT, Hans (Red.), Studien zur Krankenhausgeschichte im 19. Jahrhundert ... (Studien zur Medizingeschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 7; Göttingen 1976) S. 72, nennt diesen Vortrag einen "für das damalige Krankenhauswesen höchst bedeutsamen" .[x]

VIRCHOW, Hospitaliter-Orden vom heiligen Geiste, S. 345.[x]

Ebda. S. 340.[x]

Vgl. oben S. 11, Anm. 31.[x]

Vgl. Näheres oben S. 16f.[x]

KÜSTER S. 4-6[x]

KÜSTER S. 9: "Ausbreitung deutschen Wesens" war u.a. sein Werk.[x]

KÜSTER S. 13f.; die Kaiserin Augusta habe sich "ein dauerndes Recht auf die Dankbarkeit aller Leidenden erworben".[x]

Das übernimmt KÜSTER, S. 20, von einem WALDEMEYER, aus dessen Vortrag "auf der diesjährigen Anthropologenversammlung in Cassel".[x]

KÜSTER S. 3-4 - betont auch, daß die Triumphe nicht ohne der demutsvollen Schwester Dienste errungen werden könnten.[x]

KÜSTER S. 20-22.[x]

Vgl. etwa Michel FOUCAULT, Die Geburt des Gefängnisses.[x]

So beurteilt VIRCHOW die ihm vorliegende Sekundärliteratur danach, ob sie ordentliche Quellenbelege hat oder nicht (z.B. in: Archiv für pathologische Anatomie 18, 1860, S. 295), und vertritt durchaus abweichende Ergebnisse seiner eigenen Quellenkritik gegen frühere Bearbeiter (z.B, ebda. 18, 1860, S. 304).[x]

Es war bereits im Zusammenhang mit LÜCKES und HAESERS Abhandlungen oben S. 23 bzw. S. 22 auf diese Art Veranlassung zu hospitalgeschichtlichem Interesse bei Medizinern hinzuweisen.[x]

Das von den drei Herausgebern unterzeichnete "Vorwort" läßt hinsichtlich Fortschrittsbewußtsein an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig (Bd. l, s. III-VIII).[x]

DIETRICH geht S. 19 zu diesem Gegenstandsbereich über und verläßt ihn dann nicht mehr, d.h. widmet ihm 163 von 182 Seiten.[x]

Iwan BLOCH (wie unten S. 33) S. 22 urteilt über DIETRICHS Darstellung: "mehr eine Geschichte der Krankenversorgung und Krankenwartung".[x]

Präzisierung und Einengung 

| Iwan Bloch | Jacobsohn |

Iwan Bloch

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts fand die Medizin verstärktes Interesse an der Krankenpflege. Aus keinem anderen Zeitabschnitt scheint es eine so dichtgedrängte Folge medizinhistorischer Abhandlungen mit "Krankenpflege" als Bestandteil des Titels zu geben wie aus den Jahren 1895-1902. Solche Arbeiten konzentrieren sich im Umkreis der "Berliner Schule". Man befand sich im Vollgefühl der Erfolge, die die wissenschaftliche Medizin in den letzten paar Jahrzehnten auf den Gebieten der Anatomie, Physiologie, Pathologie, Klinik, Aetiologie, Hygiene errungen hattei, und man sah nun als nächstes das "Zeitalter der Therapie" bevorstehen. Das verstand man so, daß künftig die Aufgabe gestellt wäre, die Maßnahmen am Kranken der gleichen naturwissenschaftlichen Erforschung zu unterziehen, wie bisher dessen Körperbau, Körperfunktionen, krankhafte Veränderungen usw. Es war Martin MENDELSOHN, der solche Forschungen unter dem Namen "wissenschaftliche Krankenpflege" oder, auf Hippokrates zurückgreifend, "Hypurgie" als ausdrücklich naturwissenschaftliche Disziplin etabliert hat; und der mit der "Zeitschrift für Krankenpflege" ein Spezialorgan für die neue Wissenschaft herausgab. Darin legte bereits 1898 Dr. Julian MARCUSE eine dieser Schule gemäße "Geschichte der Krankenhäuser" vor: der Krankenhäuser", weil die Geschichte "der Krankenpflege" im eigentlichen Sinne jetzt nur mehr die ärztliche Therapie hätte betrachten dürfen. Wie eine Geschichte dieses Gebietes nach seiner Neudefinition begriffen wurde, zeigt:

Iwan BLOCH
Die geschichtliche Entwickelung der wissenschaftlichen Krankenpflege
(= Berliner Klinik. Sammlung klinischer Vortrage. Doppelheft 136 = Jg. 1899, Heft 10)
Berlin: FISCHERs Medicinische Buchhandlung, 1899 October .

BLOCH, der Geschichte und theoretische Grundlegung des Faches vollkommen miteinander vereint, grenzt vom Gegenstand der Geschichte der Krankenpflege vorbehaltlos aus:

  • die Geschichte der Pflegenden ("Pflegerschaften" HAESERs) wie der Gepflegten,
  • die Geschichte der Anstalten, die die Krankenpflege organisierten: sie gehörten unter den Titel "soziales Werk der ... Allgemeinheit" zur "Krankenversorgung",
  • die nicht wissenschaftlich sondern nur mitmenschlich zu begründenden Leistungen "eines besonderen Hilfspersonals", der Pfleger(innen), wie Säubern, Ankleiden, Füttern u.dgl.

das soll nun wieder "Krankenwartung" heißen. In diesem letzten Punkt bedient sich BLOCH also einer bereits mit starken Wertungen besetzten Begriffsunterscheidung. Die idealistischen Damen aus den Schulen von Th. FLIEDNER in Kaiserswerth wie von Fl. NIGHTINGALE in London hatten sich mit Betonung als "Pflegerinnen" im Gegensatz zu "Wärterinnen" bezeichnet, mit idealer Gesinnung vs. Erwerbsstreben als Kriterium. BLOCH verlegt gerade die am leichtesten idealistisch auffaßbaren, weil am weitesten unter Mitmensch-lichkeit, Diakonie oder Caritas zu subsummierenden, Tätigkeiten der Krankenpflege wieder zur "Krankenwartung". Den Ansatzpunkt freilich boten die Pioniere der Krankenpflegebewegung selbst, wenn sie, wie Florence NIGHTINGALE, zwar um ihre Unabhängigkeit, Neutralität zu sichern, erklärten, über ihnen solle künftig nur die Wissenschaft als Autorität stehen. Diese Wissenschaft (die medizinische war sicher gemeint) hatte aber bis zum Jahrhundertende, als BLOCH sich äußerte, umwälzende Fortschritte gemacht und das Standesbewußtsein ihrer berufsmäßigen Anwender offensichtlich auf eine höhere Ebene gehoben, und zwar so, daß sie sich zutrauten, den Anfang der Geschichte äines ihnen bisher nicht unterstehenden Gebietes wie der Krankenpflege sich selbst zuzuschreiben, und damit die Verfügung über den rechten Begriff davon:

Die eigentliche Geschichte der Krankenpflege beginnt in BLOCHs Abhandlung mit der Berliner Schule; was er auf den vorhergehenden Seiten sammelt, versteht er als gewisse "hypurgische Reliquien aus früherer Zeit", die auch noch von Interesse sein könnten. Von dem Standpunkt aus ist es nur am -zweckmäßigsten, solche Antiquitäten systematisch und nicht historisch zu katalogisieren. Man merkt BLOCHs Geschichtsschreibung an, daß ihm sein wissenschaftlicher Standpunkt selbst die Erfüllung der Allgemeinbildungsforderung, einen solchen Standpunkt historisch zu verstehen, auf jede Weise schwer macht. Mit dieser Art zwiespältiger Motivation zu geschichtlichen Studien (einerseits darauf nicht verzichten wollen, obwohl man andererseits gewiß ist, mit dem Vergangenen nichts mehr zu tun zu haben) ist BLOCHs Abhandlung eine Art Vorbild für spätere medizinhistorische Literatur geworden; ebenso wie mit seiner Behandlung der historischen Fakten, als wären sie Einzelstücke, frei katalogisierbar nach systematischen Gedanken. Freilicht läßt sich nicht zeigen, daß ihn diese spätere medizinhistorische Literatur mit Namensnennung zitieren würde - die Abhängigkeit ist also nur als indirekte zu verstehen, derart daß BLOCH besonders klar eine Forschungsmentalität vertreten hat, die allgemein gängig war und noch heute für so selbstverständlich gelten kann, daß man deswegen nicht eigens einen Theoretiker zu zitieren braucht.

Paul Jacobsohn

Auf einem Spezialgebiet zeigte der Arzt und Krankenpflegelehrer Paul JACOBSOHN um dieselbe Zeit eine Möglichkeit der praktischen Durchführung jener Geschichtsauffassung, die BLOCH propagierte:

Paul JACOBSOHN
Beiträge zur Geschichte des Krankencomforts. Von Dr. -, Lehrer a. d. Pflegerinnenschule des jüd. Krankenhauses in Berlin, 1-
in: Deutsche Krankenpflege=Zeitung. Fach-Zeitung für die Gesamtinteressen des Krankenpflegeberufes l (1898) S. 141-146. 153-159. 170-175. 255.
gekürzt auch u.d.T.: Ders., Fürsorge auf dem Gebiet des Krankenkomforts, 2: Geschichtliche Entwicklung des Krankencomforts, in: Liebe, Georg; JACOBSOHN, Paul; Meyer, George (Hgg.), Handbuch der Krankenversorgung und Krankenpflege 2,1 (Berlin 1902) S. 7-30 .

"Der Comfort des Kranken" als terminus technicus der medizinischen Therapie wurde von Ernst von LEYDEN , dem Lehrer Martin MENDELSSOHNs, 1891 aufgebracht und sollte diejenige Anwendung der Krankenpflege-Hilfsmittel bedeuten, die dem Kranken seinen Zustand bequemer machen, so daß er seine Kräfte auf das Gesundwerden konzentrieren kann, also Techniken der Lagerung, Ernährung, Lüftung usw. Wie die "Berliner Schule" den Fortschritt vom Zeitalter der Pathologie zu demjenigen der Therapie gekommen sah, so auch die Zeit dafür, die Aufmerksamkeit von den Krankheiten auf die kranken Menschen selbst hinzuwenden - eine modern klingende Formulierung, die ebenfalls E. v. Leyden prägte. Möglicherweise sollte man eine andere Ursache dieser programmatischen Neuerungen am Ende des 19. Jahrhunderts darin suchen, daß, grob gesehen, seit dieser Zeit auch "gebildete" Menschen mit "peinlichem" Gefühl für Comfort im Krankheitsfall in die Hospitäler gelegt wurden und für deren Ausbau reichlichere Mittel erhältlich waren.

Die wirkliche Geschichte dieses Krankenkomforts sieht auch JACOBSOHN demzufolge erst mit seiner eigenen Zeit anfangen, in der"Wissenschaft und Technik weit fortgeschritten' seien und "verfeinerte Leistungen" hervorbrächten, die den mit der allgemeinen Kultur "weitvorgeschrittenen" Ansprüchen der kranken (und gesunden) Menschen entsprächen. Den Inhalt eines geschichtlichen Rückblicks betreffend den Krankenkomfort können demnach nur "erste Uranfänge" ausmachen, die er von den altorientalischen Kulturen an verfolgt - ohne daß sie eigentlich eine zusammenhängende Entwicklung ergäben, so verstreut seien sie. Schon auf der dritten Seite geht er deshalb über zu Ansätzen des eigentlichen, modernen Krankenkomforts in Lehrbüchern des 19. Jahrhunderts usw. Übrigens fallen jene "Uranfänge" des Krankenkomforts nach JACOBSOHN sehr weitgehend mit dem zusammen was andere Autoren als die ältesten Daten der Geschichte der Krankenpflege behandelt haben, erst bei der jüngsten Vergangenheit engt er den Stoff mehr themagemäß ein; von den "Reliquien" der wissenschaftlichen Krankenpflege, die BLOCH vorstellte, unterscheiden sich die von JACOBSOHN genannten Daten so, daß er (jedenfalls aus der älteren Zeit) Geräte für Krankenpflege bespricht, jener literarische Abhandlungen über sie.

Neben dieser ersten Wurzel einer nachmaligen typisch medizinhistorischen Behandlung der Hospitalgeschichte, also der Einengung der Perspektive auf das Wissenschaftlich-medizinische, von Ärzten erdachte, und dies katalogisiert nach heutigen sachlichen Kriterien, scheint mir die andere Wurzel für diese entstehende Forschungstradition fast noch wichtiger :

Vgl. außer der nachfolgenden Aufzählung oben S. l, Anm. l.[x]

BLOCH (wie unten S.33) S. 3.[x]

Den Ausdruck des Direktors der I. Medizinischen Universitätsklinik, Berlin, E. v. Leyden, gibt BLOCH (wie unten S. 33) S. 3 wieder; selber stellt BLOCH, ebda. S. 26, den Zusammenhang mit den errungenen Erfolgen her: "Erst nachdem die äu s s,sere Krankenpflege '-(Krankenversorgung und Krankenwartung) durch die Fortschritte der Technik eine geradezu ideale Vollkommenheit erreicht hatte, nachdem sodann die naturwissenschaftliche Medizin in den übrigen therapeutischen Disziplinen die grössten Triumphe gefeiert hatte, trat auch die i'n n e r e Krankenpflege (...) in die Reihe der naturwissenschaftlichen Disziplinen ein."[x]

Leider geben Nachschlagewerke wie ADB u.a. keine Auskunft über seine Stellung, Lebenszeit, übrigen Werke etc.[x]

Die grundlegenden Arbeiten Mendelsohns - alle 1898-1899 erschienen - nennt BLOCH (wie unten S. 33) s. 3,Anm.l. S. 4,Anm.l. S.26,Anm.3. S.27,Anm.l.2. S.29,Anm.l.[x]

Vgl. dazu Zeitschrift für Krankenpflege 20 (1S. 276.[x]

Jg. 16,1894 - 44,1922; zuvor unter dem Titel "Fortschritte der Krankenpflege" 1,1878-15,1893 und beide seit 189] mit einer Beilage "Ärztliche Polytechnik", d.i. die'ehemals selbständige "Illustrierte Monatsschrift für Ärztliche Polytechnik", ein Blatt mit Beschreibungen der neuesten Erfindungen medizinischer Apparate aller Art: der Titel dieser BeiJage und daß ein solches Blatt als Beilage zu einer Zeitschrift für Krankenpflege aufgefaßt werden konnte, scheinen mir zu bestätigen, daß damals die Ärzte unter "Krankenpflege" einfach die Anwendung ihrer, der ärztlichen, Errungenschaften verstanden - auch wenn BLOCHS Definition (oben Anm. 102) noch manches aus der "ärztlichen Polytechnik" nur als "äußere Krankenpflege": "Krankenwartung und -Versorgung" gelten lassen würde.[x]

S. unten S. 42.[x]

Von HAESER und DIETRICH distanziert sich BLOCH, .S. 5. 22, gerade, weil sie zu viel auf die Geschichte der Pfleger eingegangen seien.[x]

BLOCH S. 4.[x]

Vgl. oben S. 31,'-wie der Titel des von LIEBE, JACOBSOHN und MEYER 1899(-1hg. Handbuches die Unterscheidung BLOCHS wiedergibt.[x]

BLOCH S. 4f.[x]

Vgl. oben S. 2 mit Anmerkung 5.[x]

Vgl. NUTTING-DOCK-KARLL 2, S. 192f"; vgl. auch KÜSTER,-S. 15, der ausgerechnet aus dem Grund modern ausgebildete Krankenpflegerinnen den Dilettantinnen vorzieht, weil "erst damit" der Arzt die Sicher- heit erlialte, "daß seine Anordnungen unweigerlich durchgeführt werden.[x]

Vgl. als Beispiel das Urteil des Direktors der Essener Städtischen Krankenanstalten, Prof. GROBER, über das oben S. 3f. erwähnte Werk von NUTTING-DOCK-KARLL: "Als Arzt und Leiter einer Krankenpflegeschule habe ich gegen das Buch einzuwenden, ... daß die Fortschritte der Krankenpflege wie der Geburtshilfe von den Ärzten ausgegangen sind, und daß diejenigen des Krankenhauswesens von der Hygiene, nicht von Fräulein NIGHTINGALE herrühren." Das Buch "darf also nur reifen und auf dem betreffenden Gebiet erfahrenen Personen empfohlen werden" (in: Ergebnisse und Fortschritte des Krankenhauswesens 2, 1919, S. 525).[x]

BLOCH S. 26ff.[x]

BLOCH S. 5; zum Bildgebrauch, der in diesem Punkt bei den hier erwähnten Medizinhistorikern tatsächlich eigenartig ist, vgl. etwa noch FISCHER (wie unten S. 47) Bd. l, S. l: Geschichtsschreibung über das Gesundheitswesen, die nicht anwendungsorientiert ist, würde zu einem "unermeßlich großen und zumeist doch zwecklosen Steinhaufen statt zu einer Reihe von zielbewußt gestalteten Wohlfahrtstempeln führen" (vgl. auch JETTER, Grundzüge, S. VIH: "Findlinge der Eiszeit ... archaische Konglomerate" über alte Hospitäler).[x]

Vgl. unten S.[x]

Vgl. unten S.[x]

Ernst von Leyden war Direktor der I. medizinischen Universitätsklinik Berlin; Monographien über "Krankencomfort" legte Martin Mendelsohn (1890.) 1892 und öfter vor - über ihn vgl. oben S. 32.[x]

Nach Ernst von LEYDEN, Der Comfort des Kranken als Heilfactor, in: FS Bernhard Spinola = Zeitschrift für Krankenpflege 20,4 (1S. 82-87, wo die zuvor erschienene Literatur erwähnt ist; ebenda S. 85 die Formulierungen betreffend "gebildete" Kranke; über das Motto "Zeitalter der Therapie", dessen Urheber derselbe Ernst von LEYDEN war, vgl. oben S. 32.[x]

JACOBSOHN, Krankencomfort, S. 141 (zum Teil nach E.v.LEYDEN zitiert)[x]

Ebda. S. 141-143.[x]

Durchsetzung der Krankenhausbau-Perspektive 

| Einweihungsfestschriften | Tollet | Boethke | Dunaj |

Einweihungsfestschriften

Zwischen 1876 und 1898 wurden im Deutschen Reich 3300 Krankenhäuser neu gebaut, das entspricht 110 v.H. der bis 1876 überhaupt vorhanden gewesenen. Mißt man das Tempo des Krankenhausbaus in Betten, die neu zur Verfügung gestellt wurden, überstieg er in dieser Zeit das Tempo des Bevölkerungswachstums.

Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Mediziner an der Planung der neu zu errichtenden Krankenhäuser maßgeblich beteiligt worden. Dadurch konnten Umwälzungen der Kenntnisse über die Bedingungen der Ansteckung unmittelbar Umwälzungen der Baugrundsätze auslösen, ob es um Grundrißlösungen oder Materialfragen ging, um Lüftungsvorrichtungen oder die Ausrichtung nach den Himmelsrichtungen. War ein Krankenhaus früher ein Ort gewesen, an dem auch den Gesündesten nach nicht allzulanger Zeit irgendeine Krankheit ansteckte und umbrachte, so sollte es nun zu einem Vorbild für hygienische Lebensführung und Einrichtung umgeschaffen werden.

Die enorme Aktivität im Krankenhausneubau wurde von einer ebenso bemerkenswerten Flut von grundsätzlichen Schriften über Krankenhausarchitektur begleitet, die sich bereits um die Jahrhundertmitte angekündigt hatte. Zu einer or- dentlichen Schrift über den Krankenhausbau in der Zukunft gehörte aber damals selbstverständlich auch eine Betrachtung der "Krankenhäuser" der Antike und des Mittelalters -außer der Allgemeinbildung, die nach historischem Hintergrund für alles und jedes verlangte, befand sich ja auch die Baukunst selbst damals in einer historisierenden Epoche. Wie im folgenden Beispiel aus (Wuppertal-)Barmen, so wurden noch viele Schriften über Krankenhaus-Neubauprojekte mit einer Einleitung "Zur Geschichte der Krankenhäuser" verziert (selbst wenn der Titel die Beigabe zur Hauptsache erhebt)

Friedrich SANDER
Zur Geschichte der Krankenhäuser
in: Ders., Ueber Geschichte, Statistik, Bau und Einrichtung der Krankenhäuser. Nebst einem Bericht über das Krankenhaus der Stadt Barmen. ... Von -, Ober-Arzt des Barmer Krankenhauses (Köln: DuMont-Schauberg, 1875) S. 1-7.

Auch die bereits vorhin unter die akademischen Reden eingeordneten hospitalgeschichtlichen Darlegungen des Straßburger Chirurgieprofessors Albert LÜCKE waren ja ein Beispiel für die Verbindung von geschichtlichem Rückblick und Neubauproj ekt.

Casimir Tollet

Der Verfasser einer großen, bis heute nicht überholten Geschichte der Hospital-Architektur war zu seiner Zeit einer der bekanntesten Krankenhausarchitekten; ganz wie in der kleinen Schrift von Sander folgt auch hier eine aktuelle Projektbeschreibung dem historischen Rückblick, dazwischen geschoben ist ein generelles Programm für modernen Krankenhausbau:

C[asimir] TOLLET
Les edifices hospitaliers depuis leur origine jusqu'a nos jours
[T1.1 = S.1-199:] De l'assistance publique et des hospitaux jusqu'au XIXme siecle
[T1.2:] Les hospitaux au XIX1"6 siede, etudes, projets, discussions et programmes relatifs ä leur construction
Tl.3: Description de l'hospital civil et militaire suburbain de Montpellier
par -, Ingenieur - Laureat de l'Institut [...]
Paris 1892 2

Für TOLLET spielte der historische Rückblick eine bedeutsamere Rolle als nur die des gebildeten Beiwerks: er wollte (1873) die gewölbte Decke der mittelalterlichen Hospitalhallen wieder in Anwendung bringen, und zwar aus medizinisch-hygienischen Überlegungen heraus. Die Wölbung der Decke leite die Luftzirkulation so, daß keine "toten" Winkel entstünden, in denen sich Keime ablagern könnten. In Deutschland konnten sich diese Ideen jedoch nicht durchsetzen, hier bekam die Baugeschichte nicht diese materielle Bedeutung für die modernen Bauprogramme. Immerhin kennzeichnet TOLLETs Vorschlag "ausschnittsweise und in punktu-eller Schärfe"die Bewußtseinslage der Krankenhauserbauer des späten 19. Jahrhunderts.

J. Boethke

Ein vielfach im Krankenhausbau tätiger Architekt zu Anfang unseres Jahrhunderts war der Kaiserliche Baurat J. BOETHKE in Berlin. Im 2. Band des "Krankenhausjahrbuches" stehen seine Arbeiten sowohl unter der Rubrik, der die erste Stelle eingeräumt war, "Geschichte" - hier referiert er "im Lichte des modernen Krankenhausbaues" aus einem älteren Handbuch der Architekturgeschichte über mittelalterl. Hospitalbauten - als auch unter der Rubrik "Bau" - dort mit grundsätzlichen Darlegungen zu aktuellen Problemen, auch das nicht ohne Nachzeichnung der Vorgeschichte dieser Probleme von den ältesten Zeiten herauf:

[J.] BOETHKE
Französische Krankenhäuser des Mittelalters. Nach Viollet le Duc

[J.] BOETHKE
Die Architektur der Krankenhausbauten
in: Ergebnisse und Fortschritte des Krankenhauswesens. Jahrbuch für Bau, Einrichtung und Betrieb von Krankenanstalten (Krankenhausjahrbuch) 2 (1913) S. 31-42 bzw. S. 219-238

Leon Dunaj

Allen Bemühungen um Zusammenhang mit der älteren Hospi-tal-Baugeschichte, auch gar um Wiederbelebung von Vorbildern aus ihr, zum Trotz ließ sich in dem Rahmen, den die moderne Medizin vorgab, nicht viel von dem anwenden, was die geschichtlichen Studien ans Licht bringen mochten. So endet die Verbindung von Geschichtsforschungen dieser Art mit Bauplanungen für die Zukunft um die Wende zum 20. Jahrhundert, und die Geschichte der mittelalterlichen Hospitalarchitektur wird ein Gegenstand für sich. Als solchen behandelt ihn zuerst eine Dissertation, erarbeitet freilich nicht von einem Studenten als fachliches . Debüt, sondern von einem bereits beamteten Regierungsbaumeister:

Leon DUNAJ
Der Hospitalgedanke im Mittelalter. Von Dipl.-Ing. -, Reg.baumeister
1) Diss. ing. Hannover 1911

Leon DUNAJ
(Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen. Hg.v. Vorstande des Ingenieur- und Architekten-Vereins zu Hannover 57,4-5 = N.F. 16,4-5 (1911)
3) Sonderdruck aus der Zeitschrift des Hannov. Ingenieur- und Architekten-Vereins, Jahrgang 1911, Heft 4 und 5 Hannover: Jänecke, 1911 (74 S. 3 Taf.)

Das Besondere, wodurch sich diese Darstellung der mittelalterlichen Hospital-Architekturgeschichte von derjenigen TOLLETs etwa abhebt, ist die Art, wie DUNAJ die Einzelbauten, die er gewöhnlich durch je eine Grundrißzeichnung vorstellt, in einen geschichtlichen Zusammenhang fügt: Er nimmt einen "Baugedanken", eben den "Hospitalgedanken" als Realität hinter dem Sichtbaren an, und dessen Schicksal im Laufe der Zeiten ist es, was DUNAJ mittels der Einzelbauten illustriert. Die Ausprägung eines solchen "Gedankens" erklärt er sich, indem er auf Religion, einmal auch indem er auf materielle Bedürfnisse rekurriert. DUNAJ kann geradezu davon sprechen, daß dieser Gedanke selbst (dessen Träger im Verlauf der Geschichte wechseln) Gründungen von Hospitälern "zeitigt". Vergleichbar mit dieser Konstruktion eines "Gedankens", der die Einzelphänomene verbinden soll, sind die Versuche der neueren krankenhausgeschichtlichen Arbeiten, "Bautypen" zu definieren, um sodann allein deren Geschichte zu untersuchen.

Die Jahre kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren an Untersuchungen über Krankenhausgeschichte außerordentlich reich. Bei den damals erschienen Arbeiten zeigen sich aber sowohl die Einengung des Gegenstands auf das Ärztliche als auch die innige Verbindung mit der Baugeschichte schon voll ausgeprägt, so daß mit dieser Zeit die seither typisch gebliebene Forschungsrichtung wirklich begonnen hat:

GOERKE, Heinz, Personelle und arbeitstechnische Gegebenheiten im Krankenhaus des 19. Jahrhunderts, in: SCHADEWALDT, Hans (Red.), Studien zur Krankenhausgeschichte im 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Entwicklung in Deutschland (Studien zur Medizingeschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 7; Göttingen 1S. 63.[x]

Ebda. S. 65, zwar für die erste Jahrhunderthälfte angegeben, vermutlich aber auch für die zweite nicht anders.[x]

LEISTIKOW, Dankwart, Das deutsche Krankenhaus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: SCHADEWALDT, Hans (Red.), (wie Anm. 123), S. 17.[x]

Zuerst lenkte "die Entdeckung der Keimtheorie ... das Interesse der Mediziner auf das Innere der Hospitäler" (NUTTING-DOCK-KARLL l, S. 27): sie wurden vor allem so eingerichtet, daß die Asepsis sich wahren ließe; 1866-1900 gilt als die Epoche, in der man zu diesem Zweck größere Gebäude möglichst weitgehend in Baracken und Pavillons auflöste (vgl. oben Anm. 81); unter dem Einfluß der "Krankencomfort-"Programmatik zu Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. oben S. 35f.) konzipierte man die Krankenhäuser wieder mehr in Rücksicht auf Behaglichkeitseffekte (JACOBSOHN, Krankencomfort, S. 235 und danach NUTTING-DOCK-KARLL l, S. 272).[x]

In Wien mußte, wer in ein Krankenhaus kam, noch 1912 damit rechnen, im Durchschnitt nach 2 Jahren eine Pneumonieinfektion zu bekommen; berühmt wurde die Untersuchung der Pariser Akademie im Jahre 1777 über die Sterblichkeitsrate im ehrwürdigen Hotel-Dieu der Hauptstadt, eine Dokumentation, die Schock und Umdenken auslöste; vgl. noch Fl. NIGHTINGALE, die in "Notes on Hospitals" (1863, vgl. oben Anm. 2) einräumt: "Es mag sonderbar klingen, wenn man es für das erste Erfordernis hinstellt, daß ein Krankenhaus dem Kranken keinen Schaden zufügt. Dennoch ist es notwendig, dies als Prinzip festzusetzen, weil die faktisch bestehende Sterblichkeit in den Krankenhäusern, besonders in denen der stark bevölkerten Städte, bedeutend höher ist, als sich durch irgendeine Berechnung für diese Krankheitsfälle außerhalb des Hospitals feststellen läßt"; VIRCHOW, in: Archiv für pathologische Anatomie 18 (1S. 305f., konnte übrigens bereits in einer Regensburger Urkunde von 1250 Bewußtsein von der Gefahr der Anstaltsinfekticn bei zu enger Belegung eines Krankenhauses finden, vgl. Ders., Ueber Hospitäler, S. 24-26.[x]

Vgl. die Beschreibungen neu erbauter Krankenanstalten u.a. in der Zeitschrift "Ergebnisse und Fortschritte des Krankenhauswesens. Jahrbuch für Bau, Einrichtung und Betrieb von Krankenanstalten (Krankenhaus Jahrbuch)" 1,1912-3,1920, insbesondere über die Lungenheilstätten, bei denen besonderer Wert auf die Erziehung der aus der Arbeiterschaft kommenden Patienten zu allgemeiner Hygiene gelegt wurde.[x]

LEISTIKOW, wie Anm. 123, S. 35.[x]

Siehe oben S. 23.[x]

LEISTIKOW, wie Anm. 123, S. 36f., kehrt die Reihenfolge um: "So führte eine Zeit, die einerseits den Beginn einer systematischen Beschäftigung mit der Hospitalgeschichte ... einleitete, gleichzeitig zu einem außerordentlichen Höhepunkt in der Entwicklung des Krankenhausbaues unter dem Einfluß einer selbstbewußten, humanitären Denkweise, die auch die zweifellos vorhandenen Schattenseiten dieser historischen Epoche weithin sichtbar überstrahlt;" man beachte, wie LEISTIKOW die Architekturqeschichte TOLLETs einfach als Hospitalgeschichte überhaupt auffaßt.[x]

Jörn Henning WOLF, Ausstattung und Einrichtung des Krankenhauses in Deutschland 1870-1900, in: SCHADEWALDT, Hans (Red.), (wie Anm. 121), S. 48.[x]

Er sah z.B. ein Problem in einer Überbetonung der hygienischen zum Nachteil der künstlerischen Gesichtspunkte beim Krankenhausbau.[x]

Gemeint ist: Eugene VIOLLET-LE-DUC, Dictionnaire raisonnee de l'Architecture Franyaise du XI6' au XVI6' siede, Paris 1868. 1874-1876; auf dieses Werk stützt sich auch DUNAJ (s. unten S. 41) sehr häufig.[x]

Ablesbar sei er aus Bauplänen, Texten wie z.B. der Benediktinerregel, aus Begriffen wie dem des "Xenodochiums" (DUNAJ S. 9 bzw. 15 bzw. 7).[x]

Vgl. DUNAJ S. 3.5.[x]

Vgl. über die Auswirkungen der "Dezentralisations-Idee" DUNAJ S. 7.[x]

Vgl. DUNAJ S. 10 u.ö.[x]

Vgl. DUNAJ S. 3 u.ö.[x]

Vgl. unten S.[x]

«Krankenhausgeschichte» als ausgeprägte Tradition 

Vor 1945: Julian Marcuse | Theodor Meyer-Steineg | Karl Baas | Richard Goldhahn |

Nach 1945: Ulrich Craemer | Dankwart Leistikow | Krankenhausgeschichts-Gesellschaften | Dieter Jetter |

Julian Marcuse

Die erste Abhandlung, die dieser Tradition zuzuordnen ist, war bereits im Zusammenhang mit der bemerkenswerten Zeitschrift zu erwähnen, in welcher sie erschienen ist, nämlich:

Julian MARCUSE
Zur Geschichte der Krankenhäuser. Von Dr. - in Mannheim, 1-2
in: Zeitschrift für Krankenpflege 21 (1899) S. 235-243. 251-263.

Der Begriff, der das Thema angibt, ist bei dieser knappen Darstellung, entsprechend der durch die "Berliner Schule" und die "Zeitschrift für Krankenpflege" eingeführten Sprachregelung, präzise; "Krankenpflegegeschichte" wird nicht mehr mit "Hospitalgeschichte" vermengt, die Geschichten der "Pflegerschaften" fallen aus dem Gesichtskreis heraus. Was MARCUSE klären will, ist die Frage, inwieweit es in früheren Epochen der Geschichte "Krankenhäuser" gegeben habe; diese Frage stellt er an alle älteren "Kulturen", Religionen oder Völker, denn seine These geht darauf hinaus, daß das Krankenhauswesen nicht wesentlich vom Liebesgebot des Christentums hervorgebracht worden sei. Dem entsprechend widmet er dem europäischen Mittelalter nur unbedeutenden Platz in seiner Abhandlung, verglichen mit dem der orientalischen und klassisch-antiken Kulturen. Krankenanstalten, deren Betrieb von Ärzten geleitet wurde, hebt er besonders hervor, selbst wenn seine Einleitungssätze das Krankenhauswesen noch weniger spezifisch auf die Medizin hin definieren, eben weil es ihm ja darum geht, es als eine Errungenschaft und einen "Besitz" fortgeschrittener Kulturen, ob christlich geprägt oder nicht, zu erweisen. Das Interesse an dieser These ergibt sich für ihn aus dem Punkt, den die Geschichte des sozialen Bewußtseins zu seiner Zeit erreicht habe: daßwas bisher religiöse Tugenden gewesen waren, jetzt "in der Kraftfülle der modernen Staatengebilde zum ethischen Bewußtsein des Menschen geworden" sei, welches danach strebe, die "socialen Gegensätze" auszugleichen, in diesem Zusammenhang sei die Geschichte der Krankenhäuser "von hohem Interesse". Auch die Orientierung auf die Baugeschichte hin ist bei MARCUSE zwar zu bemerken (er illustriert seine Abhandlung mit Grundrißzeichnungen und Ausgrabungs-Fotografien), aber noch nicht ausschließliche Richtlinie; gewissermaßen ergibt sich auch eine solche baugeschichtliche Orientierung aus MARCUSES besonderem Interesse von selbst, das ihm die archäologischen Quellen besonders nahelegte und ihn mehr auf "Gründungsnachrichten" (wie es die Forschungstradition später nennt) achten ließals etwa auf Beschreibungen der innergesellschaftlichen Funktion eines Hospitals.

Theodor Meyer-Steineg

Daß gerade die Griechen und Römer, deren Kultur in aller sonstigen Hinsicht für die "klassische" galt, dieses Kennzeichen hoher Kultur, als welches man die Krankenhäuser nun betrachtete, nicht besessen haben sollten, mußte alle, die sich nicht mit der christlichen Genese des Krankenhauswesens abfinden wollten, zu besonderen Forschungsanstrengungen anspornen. Eine Spezialabhandlung über dieses Problem ist denn auch mit das erste, was die krankenhausgeschichtliche Forschung der Mediziner vorgelegt hat:

Theodor MEYER-STEINEG
Kranken-Anstalten im griechisch-römischen Altertum
1) (Jenaer medizin-historische Beiträge hg.v. Prof.Dr. Theod. MEYER-STEINEG, 3) Jena: FISCHER, 1912
2) in: Ergebnisse und Fortschritte des Krankenhauswesens. Jahrbuch für Bau, Einrichtung und Betrieb von Krankenanstalten (Krankenhaus Jahrbuch) l (1912) S. 1-27 (wenig abweichend von der Separatausgabe)

In dieser Arbeit des Jenenser Medizinhistorikers, die bis heute das Maßgebende über den speziellen Gegenstand geblieben ist, tritt die Baugeschichte noch mehr gegenüber den anderen möglichen Aspekten hervor als bei MARCUSE.

Dieselbe Zeitschrift die MEYER-STEINEGs Abhandlung abdruckte, behielt auch in ihrem nächsten Jahrgang eine Abteilung "Geschichte" auf den vordersten Seiten bei. Dort behandelte der berühmte Leipziger Medizinhistoriker Karl SUDHOFF den Zeitraum der Krankenhausgeschichte, der sich an den im 1. Jahrgang dargestellten anschließt, bis etwa 1200:

Karl SUDHOFF
Aus der Geschichte des Krankenhauswesens im früheren Mittelalter in Morgenland und Abendland. Skizzen, nach den Quellen gezeichnetin: Ergebnisse und Fortschritte [usw. wie oben] 2 (1913) S. 1-30

SUDHOFF schließt diese Untersuchung ungefähr beim Jahre 1200 ab. Er ist skeptischer als seine Vorgänger bezüglich wirklicher "Krankenhäuser", mit ärztlich geleiteter Therapie, vor diesem Datum. Indem er gegen summarische Aussagen über ganze Kulturen, wie sie MARCUSE versucht hatte, mancherlei Einwendungen vorbringen muß, wendet er sich zugleich als erster einer längeren Reihe medizinhistorischer Forscher einzelnen "großen" Beispielen von Hospitälern zu, um sie als "typisch" und repräsentativ für viele darzustellen. Das Spital beim Pantokrator-Kloster in Byzanz , der Idealplan eines karolingischen Reformklosters aus der St. Galler Stiftsbibliothek stehen jetzt zum erstenmal ganz im Vordergrund.

Karl Baas

Die Zeitschrift, die MEYER-STEINEGs und SUDHOFFs Beiträge zur Krankenhausgeschichte jeweils am Anfang ihrer beiden Vorkriegsjahrgänge plaziert hatte und den "Fortschritt des Krankenhauswesens" nicht nur als leeres Wort in ihrem Namen führte, erschien nach dem Ersten Weltkrieg nur noch mit einem einzigen Band (3,1919). Die Beschreibungen mustergültiger Neubauten, die stets einen wesentlichen Teil der Bände ausmachten, signalisieren den Umschwung, den der Krieg mit sich brachte: keine warmen Worte mehr über die Hebung des "Krankenkomforts" oder über die künstlerische Gestaltung der Krankenhäuser nach 1918, dafür gründliche Untersuchungen über Möglichkeiten zur "Kostendämpfung im Gesundheitswesen", um es anachronistisch (?) zu bezeichnen. Der Fortschrittsoptimismus, der die Worte der Autoren in den Vorkriegsjahrgängen, sowie der Förderer des Krankenkomforts, der Programmatiker eines "Zeitalters der Therapie", beflügelt hatte, mußte sich anderweitig Bewegungsfreiheit suchen. Man trifft ihn vornehmlich in genau jener Zeitschrift wieder, die nach 1918 zuerst wieder einen Beitrag über Krankenhausgeschichte brachte. Dieses Organ wollte Wortführer für die "Hebung der Volksgesundheit" sein, widmete sich Gegenständen wie den "Volksheilstätten" für Tuberkulöse und deren gesundheitserzieherischer Breitenwirkung oder dem Verbot der Alkoholumsetzung und immer wieder der medizinischen Statistik. Die damit nur ganz grob angedeutete Interessenumschichtung findet sich tatsächlich in der krankenhausgeschichtlichen Literatur wieder, sogar zwischen zwei Beiträgen desselben Autors, deren erster vor und deren anderer nach dem Ersten Weltkrieg erschien:

Karl BAAS
[1:] Uranfänge und Frühgeschichte der Krankenpflege
in: [SUDHOFFs] Archiv für Geschichte der Medizin 8 (1913/1914. ND 1964) S. 146-164
2: Zur Geschichte der Krankenpflege und des Krankenhauswesens vom vom Ausgang der Antike bis zum Aufkommen der Städtefreiheit in Deutschland
in: Sozialhygienische Mitteilungen. Zeitschrift für Gesundheitspolitik und -gesetzgebung. Begr.v.d.Bad.Ges.f.soz.Hygiene 6 (1922) S. 4-13. 42-52.

In dem ersten Beitrag hatte sich BAAS, Professor der Medizin in Karlsruhe, ganz in den Bahnen MARCUSEs und BLOCHs bewegt, die alten Kulturen nach etwaigen Vorkommen von Krankenanstalten, möglichst mit ärztlich geleiteter Therapie, abgesucht und solche als Ausdruck der Vervollkommnung einer Kultur, wie eben gerade in der eigenen erlebt, verstanden. Nur daß er vielleicht etwas großzügiger gedacht und auch die "Naturvölker", ja selbst die Tiere in seine Betrachtung einbezogen hatte, um die Linie wenn schon nicht der Krankenhausgeschichte so zumindest die der Nächstenhilfe noch weiter zurück zu erstrecken als MARCUSE es getan hatte. In seinem anderen Beitrag wechselt BAAS in die Bahnen der kirchlichen Darstellungstradition, wie er gleich durch Angabe seiner Sekundärliteratur ("Quellen") zu erkennen gibt. Was den Inhalt angeht, gibt er die Fixierung auf ärztliche Tätigkeit auf und zeichnet wieder ein großes Bild von den "Pflegerschaften" HAESERS und DIETRICHS. Er verwendet wieder mehr Raum auf das soziale Funktionsfeld der Hospitäler, statt nur auf Gründungen und auf medizinischen Standard zu achten.

BAAS hat übrigens auch eine Menge von Beiträgen zur Geschichte des Gesundheitswesens einzelner südwestdeutscher Städte und Landschaften in den verschiedensten Zeitschriften oder als Monographien veröffentlicht.

Die Grundgedanken der BAAS'schen Darstellung werden deutlicher, wenn man ein etwas später erschienenes Geschichtswerk von dem Karlsruher Arzt Alfons FISCHER, dem Herausgeber der "Sozialhygienischen Mitteilungen", hinzuzieht, bei dem BAAS als Konsulent mitgewirkt hat - auch wenn der Gegenstand dieses Werks die Krankenhausgeschichte nur neben anderem miteinschließt, scheint es für die Methodengeschichte der medizinhistorischen Krankenhausforschung eine erhebliche Rolle gespielt zu haben; gemeint ist:

Alfons FISCHER
Geschichte des deutschen Gesundheitswesens. Von Dr. med. -, Karlsruhe i. B. Bearbeitet im Auftrage und mit Förderung des Reichsgesundheitsamtes. Hg. v. der Arbeitsgemeinschaft sozialhygienischer Reichsfachverbände
1: Vom Gesundheitswesen der alten Deutschen zur Zeit ihres Anschlusses an die Weltkultur bis zum Preußischen Medicinaledikt (Die ersten 17 Jahrhunderte unserer Zeitrechnung)
2: Von den Anfängen der hygienischen Ortsbeschreibungen bis zur Gründung des Reichsgesundheitsamtes (Das 18. und 19. Jahrhundert
Berlin:Herbis/Reichsdruckerei, 1933

Auch diese Geschichtsdarstellung entstand ursprünglich als Nebenprodukt eines systematischen Handbuches, vergleichbar den ersten Krankenhausgeschichten, die Bauprogrammen beigegeben waren. Dann wurde sie als Auftragsarbeit für die zuständige oberste Reichsbehörde zuendegeführt - diesem Auftrag sowie der Anwendungsorientiertheit der Disziplin Sozialhygiene überhaupt entstammt FISCHERs erklärte Absicht, die Geschichtsforschung als Hilfswissenschaft zu betreiben, die "wie Bakteriologie, Vererbungsbiologie etc." der Sozialhygiene nützen soll. Da er es für möglich hält, aus der Untersuchung der Geschichte (vor allem aus dem Vergleich von Kulturen) Voraussagen über die Zukunft abzuleiten, scheint ihm Geschichte als Hilfswissenschaft tatsächlich möglich und vernünftig. Mit dieser kühnen Zielsetzung erscheint FISCHER als das Vorbild der späteren Krankenhausgeschichtsdarsteller in Deutschland. Übrigens auch mit einer entsprechend geringen Familiarität gegenüber der Quellengrundlage seiner Arbeit

Im Hinblick auf BAAS' vorhin erwähnte Krankenhausge-schichtsdarstellungen, die mit ihrer Berücksichtigung der Pflegergemeinschaften von dem medizinhistorischen Muster zum Teil abwichen, wird FISCHERs Verhältnis zur Medizinge- schichtsschreibung interessant. -Es ist ein distanziertes Verhältnis: Er distanziert sich von den Medizinhistorikern, wenn er seiner Forschung als Ziel außer "Sichtung und Deutung" auch "Fruchtbarmachung" setzt. Er distanziert seinen Gegenstandsbereich von dem der Medizinhistorie, indem er seinem die Gesamtheit der Gesundheitsfaktoren, jenem bloß die technischen Methoden der Therapie zuordnet. Und wo er das mittelalterliche Mönchtum behandelt, distanziert er sich von dem skeptischen Urteil der Medizingeschichtsschreibung über deren nicht-ärztlichen Kurbetrieb: "Darauf kommt es nicht an;" FISCHER kommt es dagegen auf die hygienische Erziehung der breiten Volksmasse an, und da schätzt er die Mönche wegen ihrer in vielen Punkten vernünftig geregelten Lebensweise, besonders noch wegen ihrer Sorge um die Kranken, als vorbildlich ein. Von daher kommt vermutlich auch die bei Medizinern sonst ungewöhnliche Aufmerksamkeit für die Hospitalbrüder und -Schwestern des Mittelalters, die BAAS in seinem zweiten Aufsatz gezeigt hat.

Von heute aus gesehen, blieb diese Modifizierung des krankenhausgeschichichtlichen Paradigmas aber schließlich nur eine kurze Episode in den Zwanziger Jahren.

Richard Goldhahn

In der Zeit von 1933 bis 1945 erschienen einige bewußt unterhaltsame kulturgeschichtliche "Skizzen" über das frühere Krankenhauswesen, die im wesentlichen auf FISCHER, SUDHOFF und BOETHKE fußen, ohne eigene Forschungen zu unternehmen

Auch wenn neben dem Artikel über "Mittelalterliche Krankenhäuser" in derselben Nummer der "Medizinischen Welt" 1935 z.B. eine bei Ferd. Enke in Stuttgart neu herauskommende "Zeitschrift für Rassenkunde" empfohlen wird, oder et- wa ein Artikel über Krebsfragen mit dem Bekenntnis meint anheben zu müssen: "Die Grundlage erfolgreicher ärztlicher Tätigkeit ist das naturgemäße biologische Denken", ist dieser Artikel über die mittelalterliche Krankenhausgeschichte selbst eine so unauffällige Fortsetzung des um die Jahrhundertwende aus Baugeschichte und "wissenschaftlicher Krankenpflege" herausgewachsenen Darstellungsmusters, wie nur möglich:

Richard GOLDHAHN
[Geschichte der Medizin.] Mittelalterliche Krankenhäuser. Dr. -, Leipzig
in: Die medizinische Welt 9 [,1l] ( [l6.3.]1935) S. 392-395

Dasselbe gilt für die Darstellung des Themas in weiterem Rahmen, die derselbe Verfasser 1933 in der "Zeitschrift für die Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz" "auch separat , und, weiter ausgearbeitet, 1940 herausbrachte. Das Buch sei für die "mühsam dem Tagewerk abgerungenen Mußestunden" der Standesgenossen gemacht, um "den Blick für das innere Gefüge einer Berufsgruppe oder eines Standes" zu weiten; etwas direkt Verwertbares sei davon nicht zu erwarten; auch seien Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit für den Zweck "verfehlt"; es soll nur "die der eigenen Tagesarbeit entsprechende Beschäftigung der Standesgenossen früherer Jahrhunderte in farbenfrohen Einzelbildern wieder lebendig werden":

Richard GOLDHAHN
Spital und Arzt von einst bis jetzt. Von Dr.med. -. Mit 40 Abb.
Stuttgart: Ferdinand Enke, 1940 (188 S.)

Wie es diese Formulierungen andeuten, behandelt GOLDHAHN die Hospitalgeschichte völlig unter dem Gesichtspunkt der Ärztetätigkeit, diese Einengung geht bei ihm für selbstverständlich und keiner Begründung mehr bedürfend. Auch darin stärkt er die krankenhausgeschichtliche Darstellungtradi-' tion, daß er den sog. St. Galler Klosterplan optisch und inhaltlich, als die Schlüssel-Quelle zum ganzen Hospitalwesen des Mittelalters, absolut in den Vordergrund stellt und im übrigen unter der Überschrift "Mittelalterliche Krankenhäuser" hauptsächlich Baubeschreibungen gibt. Auch darin hat er in der Krankenhausgeschichtsschreibung Nachfolger gefunden (die Früheren v/aren hier immerhin noch genauer), daß er Ausdrücke wie "über etwas berichten", "Nachrichten über" etwas "mitteilen" u.a. unterschiedslos nicht nur für Aussagen von Quellen, sondern auch für Schlußfolgerungen der Forschung verwendet, so als "berichte" ein Kliniker als quasi Primärquelle über Beobachtungen an Kranken.

"Spital und Arzt von einst bis jetzt" enthält, wenn schon keine Einzelbelege zum Text, doch immerhin ein fülliges Literaturverzeichnis, in dem auch andere Forschungsansätze zur Hospitalgeschichte neben dem medizinischen berücksichtigt worden sind (ohne daß solche Ansätze im Text zur Geltung kommen), und ist auch im Detail die sorgfältigere und zuverlässigere von den beiden Arbeiten GOLDHAHNs.

Ulrich Craemer

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die krankenhausgeschichtliche Darstellungstradition in Deutschland ihre nächste Fortsetzung in den Arbeiten von Dieter JETTER fand, waren wiederum einige speziell baugeschichtliche Untersuchungen vorangegangen, an die jene sich anschließen konnte, so daß ein ähnliches Verhältnis zustandekam wie etwa zwischen den Arbeiten SUDHOFF s einerseits und DUNAJs, TOLLETs andererseits .

Insbesondere die eigentümliche Methode in einer der architekturgeschichtlichen Abhandlungen, den Stoff zu ordnen und den geschichtlichen Zusammenhang zu erklären, setzte sich in der medizinischen Krankenhausgeschichte durch. Es handelt sich dabei um das Verfahren, das der Architekt Ulrich CRAEMER zuerst in seiner Arbeit von 1954 angewandt hat:

Ulrich CRAEMER
Das Hospital im Mittelalter
in: Das Krankenhaus. Zeitschrift für das gesamte Krankenhauswesen 46[,8.10.1l] (1954) S. 261-267. 388-392. 429-435.

Ihm geht es darum, die Baugeschichte der Hospitäler "in Verbindung mit der Geschichte des Hospitalwesens" zu demonstrieren, das bedeutet: im Zusammenhang mit den sozialen Aspekten der Hospitalgeschichte. CRAEMER geht davon aus, daß "das Hospital" im Lauf der Zeit sowohl hin sichtlich der Architektur als auch hinsichtlich der sozialen Zusammenhänge sich in verschiedenen "Typen" ausgeprägt habe. Weiter rechnet er damit, daß zwischen der jeweiligen Ausprägung in einem "Bautyp" und der gleichzeitigen in einem Sozialfunktionstyp ein Ursachenzusammenhang bestehe. Seinem Ziel, den Zusammenhang beider Aspekte zu schildern, wird er dann jedoch wenig gerecht; denn während er die baulichen Typen alle ausführlich bespricht, nimmt er, um nun auch in sozialer Hinsicht verschiedene Typen zu unterscheiden, bloß eine Einteilung der Gründer der Hospitäler nach sozialer Stellung vor und verfolgt diese Seite weiter nicht. Ob nun die ausschließliche Konzentration auf die Gründer der Hospitäler einfach davon kommt, daß den Architekturhistoriker die Bauherren am meisten interessieren, weniger die späteren Bewohner, oder ob es eine Nachwirkung ähnlicher Tendenzen in der älteren Krankenhausgeschichtsschreibung ist, wo vor allem MARCUSE die Frage untersucht hat, auf welchem Kultur- und Gesellschafts-"Standpunkt" Menschen sich Hospitäler schaffen - jedenfalls ist gerade diese fragmentarische Durchführung eines viel- versprechenden Vorhabens Craemers (Baugeschichte im Zusammenhang mit der sozialen Geschichte zu schildern) genau so unbefriedigend auch in die medizinische Krankenhausgeschichtsschreibung übernommen worden.

Eine neubearbeitete Fassung seiner Arbeit legte Craemer 1963 als Buch vor:

Ulrich CRAEMER
Das Hospital als Bautyp des Mittelalters
Köln: Kohlhammer, 1963 (4º, 104 S., 54 Abb.)

Den Begriff des "Bautyps" läßt er nun nicht mehr allein auf die einzelnen Entwicklungsstadien der Baugeschichte sich erstrecken, sondern auch auf "das Hospital" des Mittelalters schlechthin. In diesem letzteren Fall denkt er an Hospitalbauten als einen Bautyp neben anderen wie Kirchen, Kloster- u.a. Bauten. Die nicht-bauliche, soziale Seite behandelt er 1963 nicht wesentlich anders als früher. Dessenungeachtet empfiehlt er noch besonders. - nun .im umfassenderen Sinn - "Bautypen" zu studieren, weil das den notwendigen Zusammenhang zwischen Zweck und Form lehre, was allgemein eine für Architekten höchst wichtige Einsicht sei

Dankwart Leistikow

Ein weiteres, nur wenig später erschienenes Werk über die mittelalterliche Hospitalarchitektur geht bis in die 40-er Jahre zurück, denn damals begann der Kunsthistoriker H.M. SCHWARZ im Auftrag der Arzneimittelfirma Boehringer (Ingel-heim am Rhein), Fotografien erhalten gebliebener alter Hospitäler in verschiedenen Ländern Europas zu sammeln. Diese Sammlung vervollständigte nun der Architekt Dankwart LEISTIKOW, so daß beinahe alle Länder des Kontinents mit Ausnahme derer im "Ostblock" darin vertreten sind. LEISTIKOW verfaßte zu diesen Bildern je einen speziellen Erläuterungstext unter dem baugeschichtlichen Aspekt und ausschließlich aufgrund bereits vorliegender Literatur, sowie eine knappe Einleitung zur Geschichte der Hospitäler, vor allem der Bauten, im allgemeinen. Dieses Werk gab die Firma Boehringer nicht nur auf deutsch, sondern auch noch in einer englischen und einer französischen Übersetzung heraus:

Dankwart LEISTIKOW
Hospitalbauten in Europa aus zehn Jahrhunderten. Ein Beitrag zur Geschichte des Krankenhausbaues
Ingelheim (Rhein): Boehringer, 1967

Ders.; Oliver HILL; Amy HOGG (Überss.)
Ten Centuries of European Hospital Architecture. A Contribution to the History of Hospital Architecture
Ebda. 1967

Ders.
Dix siecles d'architecture hospitaliere en Europe

Krankenhausgeschichts-Gesellschaften

Um 1960 wurden in mehreren europäischen Ländern Gesellschaften zum Studium der Krankenhausgeschichte gegründet; indem diese Fachzeitschriften herausgeben und Tagungen veranstalten, haben sie seither zu erheblicher Ausdehnung der medizinhistorischen Forschungstradition auf diesem Gegenstandsfeld beigetragen.

Als erste derartige Gesellschaft wurde 1956 das Centro Italiano di Storia Ospitaliera, Sitz: Reggio nell'Emilia, gegründet. Es hat seine Aktivität neuerdings anscheinend eingestellt. 1957 und 1961 veranstaltete es italienische Kongresse über Geschichte von Hospitälern deren Beiträge gedruckt worden sind

Angeregt durch den ersten italienischen Kongreß, schlössen sich auch französische Fachleute zu einer gleichartigen Gesellschaft unter dem Namen "Societe Francaise d'Histoire des Höpitaux" zusammen. (1958).

In Belgien wurde die "Societe Beige d'Histoire des Hôpitaux - Belgische Vereniging voor Hospitaalgeschiedenis" gegründet. In Frankreich und in Belgien sind neben den Medizinhistorikern und Krankenhausfunktionären auch Archivare in den Gesellschaften für Krankenhausgeschichte vertreten, besonders solche, die die reichen Archive seit dem Mittelalter bestehender Wohltätigkeits- und Krankenversorgungsstiftungen verwalten, und vielleicht ist das der Grund dafür, daß in den Veröffentlichungen dieser beiden Gesellschaften mittelalterliche Stoffe und schriftliche Geschichts-quellen einen selbstverständlicheren Platz haben als in denjenigen der entsprechenden westdeutschen Gesellschaft:

Die "Deutsche Gesellschaft für Krankenhausgeschichte" wurde 1962 gegründet. Sie veranstaltet wissenschaftliche Kolloquien über Themen der Krankenhausgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, die dabei vorgetragenen Beiträge werden nachher durch den Druck veröffentlicht

Die von diesen Gesellschaften herausgegebenen Zeitschriften bieten eine große Menge von Spezialabhandlungen zu meist eng begrenzten Themen. Außerdem Literaturberichte, wobei besonders die regelmäßige "Bibliographie d'histoire des hopitaux" in der französischen Zeitschrift hervorragt. Auch wenn ihr Inhalt von Land zu Land, und von Fall zu Fall, mehr oder weniger zu der typischen Forschungstradition der Krankenhausgeschichte gerechnet werden muß, seien hier die Titel der Zeitschriften im Zusammenhang genannt:

Studi di Storia Ospitaliera
Firenze: Centro Italiano di Storia Ospitaliera
l,1963-3,1968

Bulletin de la Societe Francaise d'Histoire des Hopitaux
Paris: Editions de la Revue de l'Assistance publique ä Paris
1,1959-25,1970
fortgesetzt unter dem Titel:
Societe Francaise d'Histoire des Hopitaux
Bulletin Paris: Association des amis de l'Assistance publique ä Paris
26,1971-, ISSN 0583-8517

Annales de la Societe Beige d'Histoire des Hopitaux - Annalen van de Belgische Vereniging voor Hospitaalgeschiedenis
Bruxelles - Brüssel: S.B.H.H.-B.V.v.H.G.
l, -20,1982 usw.

Historia Hospitalium. Mitteilungen [ab 9,1974: Zeitschrift] der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte
o.O.: DGfK
l,1966 März-14,1981-1982 usw. ISSN 0440-9043

Ein glänzender Höhepunkt dieser Bemühungen um eine Organisierung der Hospitalgeschichtsforschungen muß der internationale Kongreß gewesen sein, zu dem 1960 das italienische Forschungszentrum nach Reggio Emilia einlud. Die Zahl der Referate betrug 142, und die Gelehrten, die dabei ihre Arbeiten vorstellten, vertraten nahezu alle Länder Europas und Nordafrikas. Der Band mit den gedruckten "Atti" gehört zur Schwergewichtsklasse:

Atti del Primo Congresso Europeo di Storia Ospitaliera. 6-12 Giugno 1960
Reggio Emilia: CISO, 1962 (1445 S., Gewicht: 2,995 kg)

Der größte Teil dieser zahlreichen Beiträge hat gleichwohl italienische Mediziner und Juristen zu Verfassern; diese Studien teilen kirchliche Standpunkte in einem Maß, daß sie aus der Perspektive der deutschen Forschung am ehesten unter die kirchengeschichtlichen Ansätze fallen. Ein Einfluß dieser auf dem internationalen Kongreß so reichlich vertretenen italienischen Forschungsrichtungen auf die Krankenhausgeschichtsschreibung in Deutschland ist aber nicht zu bemerken, so sehr man auch erwarten möchte, daß eine Zusammenkunft von der Größe dieses Kongresses auf die alten Forschungstraditionen, die die Teilnehmer aus den einzelnen Ländern mitbringen, auflösend und vermischend wirken würde.

Dieter Jetter

Einer der Teilnehmer am Kongreß von Reggio Emilia 1960 aus der Bundesrepublik war Dieter JETTER, der seither der aktivste Fortsetzer der deutschen krankenhausgeschichtlichen Forschungstradition geworden ist.

JETTER referierte beim Kongreß von 1960 über "Hospitäler mit kreuzförmigem Grundriß". Im selben Jahre veröffentlichte er bereits einen Aufsatz über die Gebäude spanischer Hospitäler. Dann behandelte er, zwei Jahre später, ein einzelnes spanisches Hospital "als typische Stiftung seiner Zeit". 1966 legte er eine "Typologie" der französischen und der deutschen Irrenhäuser an der Wende zur neueren Psychiatrie vor

Die baugeschichtliche Perspektive war damit von vornherein festgelegt - und zwar in einer der CRAEMERschen ähnlichen Terminologie: also so, daß Baugestalt und Institutionsgestalt "des" Hospitals auf seinen verschiedenen Entwicklungsstufen vermittels des "(Bau-)Typen"-Begriffs zusammenhingen, als JETTER 1966 eine vielbändige, bisher noch nicht abgeschlossene Geschichte "des Hospitals" zu schreiben begann:

Dieter JETTER
Geschichte des Hospitals
l: Westdeutschland von den Anfängen bis 1850 (271 S.) (= SUDHOFFs Archiv. Beihefte, 5)
2: Zur Typologie des Irrenhauses in Frankreich und Deutschland (1780-1840) (= Habil.-Schrift med. Heidelberg 1966)(303 Bl.)
3: Nordamerika (1600-1776) (Kolonialzeit) (134 S.)
4: Spanien von den Anfängen bis um 1500 (239 S.)
5: Wien von den Anfängen bis um 1900 (160 S.)
Wiesbaden: Steiner, 1966.1971.1972.1980.1982

Die bauten-typologische Perspektive prägt auch die Bände dieses Sammelwerks; und daneben ist der auf das ärztliche Handeln konzentrierte Blickwinkel bestimmend, der das andere charakteristische Element der "Krankenhausgeschichte" ausmacht.

Das gleiche gilt für die Übersicht JETTERs über die gesamte Hospitalgeschichte ohne räumliche oder zeitliche Einschränkung:

Dieter JETTER
Grundzuge der Hospitalgeschichte
(= Grundzuge, 22)
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1973 (135 S.)

Auf diesem Gerüst der traditionell medizinhistorischen Krankenhausgeschichte versucht JETTER, die Zusammenhänge von Bauformen und jeweils gleichzeitigen sozialen Verhältnissen der Hospitäler, dann auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Entwicklungsstadien "des" Hospitals nach seinen beiden Aspekten hin zu demonstrieren. Craemer, der zuerst im Singular von einer geschlossenen Entwicklung "des" Hospitals gesprochen hatte, wird von JETTER noch übertroffen, indem dieser von "gesetzmäßiger" Entwicklung spricht.

JETTER versucht, sogar noch einen Schritt weiter zu gehen und die Gültigkeit der zu findenden "Entwicklungsgesetze" bis in die Zukunft sich erstrecken zu lassen, so daß die Ergebnisse der Hospitalgeschichtsforschung geradezu Grundlage für Bestrebungen zur Reform der heutigen Krankenhäuser bilden könnten. "Reform der Krankenhäuser" tritt damit an den Platz, den zu Anfang der medizinhistorischen Krankenhausforschung die enorme Neubauwelle des ausgehenden 19. Jahrhunderts und denn zwischen den Weltkriegen das möglichst breite "sozialhygienische" Wirken mit möglichst wenig Geld eingenommen hatten, es ist nun das Stichwort, das den historischen Bemühungen die den Aufwand rechtfertigende Tagesaktualität verschaffen soll.

Der sozialen Seite des historischen Hospitalwesens in seinen verschiedenen "Typen" widmet die Medizinhistorik allerdings auch jetzt, seit ihre hospitalgeschichtliche Forschung von JETTER fortgesetzt wird, keine besondern Untersuchungen. Man bleibt standhaft bei der vor Jahrzehnten einmal getroffenen Wahl, außer der Geschichte der eigenen Wissenschaft nur die des Bauens zu betrachten. Und da die Fächer, die sich sonst mit Geschichte von Hospitälern, und stärker mit deren sozialen Funktionen, beschäftigt haben, andererseits auch noch kein endgültiges Totalergebnis herstellen konnten, auf das die Medizin- und Architekturhistoriker etwa nur verweisen brauchten, um ihre eigenen Untersuchungen zu komplettieren, stehen die Entwicklungsgesetze JETTERs nur auf einem Bein. Selbst wenn es sich nur um die Architekturgeschichte handeln würde, kritisiert ja Craemer das als ungenügend und "Formalismus", wenn die Baugestalt ohne Einsicht in den Zweck und die sozialen Beziehungen des Gebäudes betrachtet wird. Die Medizingeschichte i.e.S. kann allein auch nicht eine Beschreibung von Hospitalgebäuden zu einer Geschichte des Hospitalwesens komplettieren, dazu spielte offenbar Medizin eine zu wenig zentrale Rolle im historischen Hospitalwesen. JETTER versucht auch kaum, auf diesem Gebiet zusätzliche Fakten ans Licht zu holen, jedenfalls nicht für das Mittelalter. Er formuliert dann auch in seinen jüngsten Arbeiten die Zielsetzung vorsichtiger, mehr positivistisch und kaum noch dahingehend, daß zukunftsnützliche Entwicklungsgesetze gefunden werden sollten.

Vgl. oben S. 32.[x]

U.a. über die Ägypter: "Und bei diesem Culturstandpunkt sollen sie der Hospitäler entbehrt haben?" (S. 236); die orientalischen Völker insgesamt "waren ... im Besitz von Krankenhäusern" (S. 239); die Griechen und Römer: "dass beide Völker während der Blüthezeit ihres Bestehens Krankenhäuser nicht gehabt haben (ebda., wird S. 251 bezüglich Sklaven- und Soldaten-Krankenhäuser modifiziert) usw.[x]

Über die christliche Epoche: MARCUSE S. 253-259, d.h. 4 S. Text.[x]

Vgl. unten S.[x]

MARCUSE S. 235.[x]

"Die immer wieder auftauchende Meinung, daß das Krankenhaus eine spezifisch christliche Schöpfung sei, zu widerlegen," nennt MEYER-STEINEG, Vorwort zur Separatausgabe, ausdrücklich als Ziel seiner Abhandlung - wofür er sich Kritik von Franz MEFFERT (vql. S. 109, bei Anm. 343), Krankenwesen, S. 51, Anm. l und ff. zuzieht, nicht jedoch auch noch die von BAAS, Uranfänge, S. 158, was MEFFERT behauptet.[x]

Z.B. SUDHOFF S. 5.[x]

Vgl. unten S. 74 mit Anm. 234. S. 113.[x]

Vgl. unten S. 64-67.[x]

Vgl. oben S. 35f.[x]

Vgl. oben S. 40, Anm. 131.[x]

Nur nebenbei bemerkt, bieten die statistischen und sonstigen Beiträge in den Nachkriegsjahrgängen dieser Zeitschrift, wenn auch in trockenen Zahlen und Diagnosebezeichnungen, ein aussagekräftiges Quellenmaterial über die Lebensbedingungen der meisten Leute damals,[x]

Letzteres nach dem Vorgang NUTTING-DOCK-KARLL l, Kap. l (ersch.1910).[x]

Um damit UHLHORNS vielzitiertes "Eine Welt ohne Liebe" zu widerlegen; daß BAAS S. 159 UHLHORN in diesem Punkt zugestimmt und MEYER-STEINEG sowie SUDHOPF bezüglich vorchristlicher Krankenhäuser grundsätzlich widersprochen hätte, ist eine blanke Verdrehung MEFFERTS (Caritas und Krankenwesen S. 51, Anm. l).[x]

Als seine "Quellen" nennt BAAS 2, S. 4, Anm. 1, die unten Kap. 1.4.1, S. 97.92.108 besprochenen Werke von UHLHORN, RATZINGER, LALLEMAND sowie HAESER (s. oben S. 22)[x]

1873-19.., Gründer dee ersten deutschen Mutterschaftskasse 1909, der Badischen Gesellschaft für soziale Hygiene 1916, Hg. der "Sozialhygienischen Mitteilungen (Jg. 1-4: für Baden)" 1916, Organisator der 1. kulturhygienischen Ausstellung 1925.[x]

FISCHER berichtet Bd. 1, S. VII f., er habe fast jede Einzelheit des 1. Bandes mit BAAS besprochen, in bezug auf die Allgemeine Geschichte habe der Leiter des Bad. Münzkabinetts, Prof. Roller, sein Werk geprüft, beim Lesen "und Deuten" der Hss. habe dieser und Altphilologe Dr. Reinfried geholfen.[x]

Das Fehlen einer Geschichte seines Fachs bemerkte FISCHER, als er die Einleitung zu seinem "Grundriß der Sozialen Hygiene" (1schreiben wollte (FISCHER, Gesundheitswesen l, S. 5).[x]

Als Grund dafür, daß es möglich sei, in der Geschichte Gesetzmässigkeiten zu finden, führt FISCHER an, daß die Triebe der Menschen, die befriedigt werden wollten, immer dieselben blieben (Gesundheitswesen l, S. V und S. 1-3); vgl. noch oben Anm. 114 zum Bildgebrauch.[x]

Vgl. CRAEMER, Bautyp (1963), S. 7; vor allem aber JETTER, Grundzüge (1973), S. VHf. und 4. Umschlagseite; vgl. hier unten S. 58f.[x]

FISCHER berichtet Gesundheitswesen l, S. V, wie ihm bei der Arbeit das "Finderglück hold" gewesen sei und gibt einige Beispiele von Funden, die er für bedeutend hielt, einen Traktat über Gesundheit von 1573 hielt er sogar für dermaßen epochemachend, daß er ihn "in den Mittelpunkt des l. Bandes" stellt - vgl. nun damit JETTER[x]

FISCHER, Gesundheitswesen l, S. l (nennt z.B. SUDHOFF).[x]

Ebda. S. 3.[x]

Ebda. S. 57.[x]

Selbst die Benediktinerregel zitiert er in FISCHERS Übersetzung (Mittelalterliche Krankenhäuser S. 394).[x]

"Verschiedenes", in: Die medizinische Welt 9 (1S. 396.[x]

Hans AULER, Beiträge zum Gewächsproblem, in: Die medizinische Welt 9 (1He. 11. S. 361.[x]

Zit. nach GOLDHAHN, Spital und Arzt; war mir bisher nicht zugänglich,[x]

GOLDHAHN, Spital und Arzt, S. V.[x]

Vgl. hierzu oben S. 41f. über DUNAJS Konstruktion "Der Hospitalgedanke"; diesen Ausdruck gebraucht auch CRAEMER oft, z.B. S. 9; dazu, daß CRAEMER überhaupt bis in viele Formulierungen und Einzelangaben hinein, -DüNAJ folgt, vg] . Z..B. unten S. 62, Anm. 188.[x]

CRAEMER, Hospital im Mittelalter, S. 261.[x]

CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 7f.[x]

LEISTIKOW, Hospitalbauten, S. 5; Robert HERRLINGER, Discorso ufficiale, in: Atti del Primo Congresso Europeo di storia ospitaliera 6-12 giugno 1960 (wie unten S. ) S. LXIVy JETTER, Geschichte des Hospitals 4, S. 117.[x]

Die französische Ausgabe habe ich nicht selbst in Händen gehabt.[x]

Atti del Primo Congresso Italiano di Storia Ospitaliera. Reggio Emilia 14-17 Giugno 1956, Ebda.: CISO, 1957; Atti del Secondo Congresso Italiano di Storia Ospitaliera. Torino-St.Vincent 7-9 Giugno 1961. Tema Generale: L'assistenza Ospitaliera nell'eta del Risorgi-mento, Reggio Emilia: CISO, 1962. (837 bzw. 681 S.)[x]

Symposium 23.-24.2.1972 Berlin siehe: Hans SCHADEWALDT (Red.), Studien zur Krankenhausgeschichte im 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Entwicklung in Deutschland. Vorträge des Symposiums ... Mit Beiträgen von Ch.Coury+,H.GOERKE,R.G.Hodgkinson,D.JETTER,0.Larsen, D.LEISTIKOW,H.Müller-Dietz,A.H.MURKEN,L.Premuda,M.Stürzbecher,M.Wiriot, J.H.WOLF (Studien zur Medizingeschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 7) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1976 (vgl. Anm. 81.121.123.126.130). Symposium 24-26.10.1973 Kaiserswerth über "Krankenpflege im 19. Jahrhundert" (Historia Hospitalium 8,1973,S.67-71) noch nicht erschienen.[x]

Daher ist von diesem Kongreß noch äher unten S. zu handeln.[x]

Dieter JETTER, Hospitäler mit kreuzförmigem Grundriß, in: Atti del Primo Congresso Europeo (wie oben) S. 639-645. Im selben Jahr erschien von Dems.: Daa Mailänder Ospedale Maggiore und der kreuzförmige Grundriß, in: SUDHOFFs Archiv 44 (1S. 64-75.[x]

Dieter JETTER, Hospitalgebäude in Spanien, in: SUDHOFFs Archiv 44.3 (1960).[x]

Dieter JETTER, Das Hospital Real de Dementes in Granada als typische Stiftung seiner Zeit, in: Das Krankenhaus (vgl. S. 52) 54,6 (1962).[x]

Später als Band 2 der "Geschichte des Hospitals" erschienen, siehe unter diesem Titel S. 57.[x]

JETTER bezeichnet im Vorwort zu "Geschichte des Hospitals", Bd. l, S. VI, sein Vorhaben dahingehend, er wolle versuchen "Hospitäler zu typologisch abgrenzbaren Gruppen zu ordnen und innerhalb dieser Entwicklungslinien kenntlich zu machen".[x]

"Hospital" bezeichnet in sämtlichen Arbeiten JETTERS regelmäßig ein Gebäude eines solchen; demgemäß denkt er sich "die Gestalt" von Hospitälern, hier: des Heilig-Geist-Ordens, als aus Quellen über die Bautätigkeit dieses Ordens erkennbar (Geschichte des Hospitals l, 1966, S. 20) - vgl. dagegen den Sprachgebrauch beispielsweise des Rechtshistorikers Siegfried REICKE (vgl. unten S.123), nachdem die rechtliche Entwicklung der Institution die "Gestalt" des Hospitals ausmache (Das deutsche Spital l, 1932, Titel. S. I. VII).[x]

Vgl. Geschichte des Hospitals l (1S. 10: "... Auf weitere Kanoniker- oder Kanonissenspitäler einzugehen, erübrigt sich; denn ... Auf medizinische und ärztliche Fragen erhält man keine Antwort, obwohl es sich bei all diesen Objekten um teilweise sehr wichtige Wegbereiter großer kommunaler Spitäler und späterer Krankenhäuser gehandelt haben muß"; und ebenda S. 34: "Es wäre verlockend, an weiteren Beispielen das Wachsen solcher bürgerlicher Spitäler zu verfolgen... Da jedoch das bürgerliche Pfründnerhaus nur in seinen schwer faßbaren Anfängen medizinhistorisch wichtig ist, um nach langer Pause erst im 19. Jahrhundert zum Kristallisationspunkt heutiger Krankenhäuser zu werden, sei die Betrachtung hier abgebrochen" sowie weitere ähnliche Begründungen für Stoffbeschränkungen, in denen das medizinhistorische bzw. ärztliche Interesse mit dem Interesse überhaupt gleichgesetzt wird, das irgend jemand an der Geschichte der Hospitäler haben könnte.[x]

Vergleiche zum Beispiel JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte (1073) S. VII: "Die überlieferten Mißstände [des Krankenhauswesens] zu überwinden ..., kann ... nur gelingen, wenn die morschen Institutionsbruchstücke längst vergangener Gesellschaftsordnungen im heutigen Krankenhaus erkennbar gemacht werden"; dazu noch Ders., Geschichte des Hospitals 4 (1980) Umschlags. 4: Die Bände dieses Werks "wollen die Gesetzlichkeiten aufzeigen, nach denen die Behandlungsstätten entstanden"; ferner Ders., Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. VIII: "Man lasse sich durch die zahllosen Namen, Jahreszahlen und Orte nicht irritieren. Sie haben nur sekundäre Bedeutung und dienen der Markierung grunsätzlicher Gesetzlichkeiten, die im Blick auf die Zukunft zu durchdenken sind, obwohl sie von scheinbar [!] längst Vergangenem handeln", - die dieser Zielsetzung zugrundeliegende "Überzeugung von der Nützlichkeit der Medizingeschichte für die Gegenwart" fand Beifall innerhalb der Disziplin, vergleiche die Rezension über "Grundzüge der Hospitalgeschichte" von G. HARIG, in: HTM. Zeitschrift für die Geschichte der Naturwissenschaften, der Technik und der Medizin 12 (1975) S. 120; in der allgemeinhistorischen Literatur (zum Beispiel HZ, DA-Rezensionsteil) wurde davon keine Notiz genommen; umgekehrt verursachte dieser Anspruch heftige Kritik JETTERs an einer Lokalsrudie zu mittelalterlichem Hospitalwesen mit allgeimeinhistorischem Ansatz (W. Haug, Das St.-Katharinen-Hospital der Reichsstadt Esslingen. Geschichte, Organisation und Bedeutung, Esslingen 1965), in: Historia Hospitalium 3 (1967) S. 18 f.: "Das heute so brennende Problem, wie sich aus unseren Hospitälern für ALte und Arme die jetzigen Krankenhäuser, und damit ärztliche Behandlungsstätten bildeten, gerade diese für unsere Gegenwart so grundlegenden Vorgänge des 19. Jahrhunderts, werden überhaupt nicht behandelt ... ist wenig geeignet, die jetzt wirksamen historischen Komponenten unserer gegenwärtigen Situation verständlich zu machen."[x]

Gebührende Beachtung der sozialen Seite stellt JETTER zwar, zum Beispiel Grundzüge der Hospitalgeschichte (1073) S. VIII, in Aussicht: "Hier sollte das Hospital als Institution sich wandelnder Ordnungsprinzipien der Gesellschaft in den Vordergrund gerückt werden" und, inhaltlioch konkretisiert: "Die Geschichte der Hospitäler ist fast immer die Geschichte der Armen gewesen", und dieses Programm zusammen mit der daraus zu erschließenden Nützlichkeit der Medizingeschichte für die Gegenwart gibt Anlaß zur zustimmenden Kritik zum Beispiel HARIGS (siehe Anm. 183), S. 120f.; auch postuliert JETTER, bereits innerhalb der Baugeschichte nicht nur Stile und Formen, sondern zum Beispiel (Geschichte des Hospitals 4, 1980, S. 121) auch "stinkende Krankensäle und gefährliche Abortanlagen" in den Mittelpunkt zu stellen - doch diese Ansätze werden dann nicht entfaltet, bloß die Klassifizierung, Anordnung der einzelnen Gebäude wird nach sozialem Kriterium vorgenommen, nämlich nach der Standeszugehörigkeit der Hospitalgründer und -bauherren (vgl. Geschichte des Hospitals l, 1966, Inhaltsübersicht; Ebda 4, 1980, S. 68f.), neuerdings treten die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit der Gründer an diese Stelle: Geschichte des Hospitals 4, Inhaltsübersicht; die Geschichte keines Hospitals wir"! über die Gründung bzw. Fertigstellung des Gebäudes hinaus weiter verfolgt, die soziale Geschichte ist mit der Einteilung der Bauherren schon ausgeschöpft, also immer noch der Baugeschichte untergeordnet, ihrem Inhalt nach eine Geschichte der Mächtigen (besonders deutlich in: Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. 16-18), weder die Insassen noch das Personal, keiner von denen, die nach der Fertigstellung ein Hospitalgebäude bewohnt haben, hat in dieser "Sozialgeschichte" bei JETTER einen Platz (vgl. Geschichte des Hospitals l, S. 31: "...hier kann nur auf die städtebauliche Auswirkung dieser Entwicklung eingegangen werden" - warum eigentlich?).[x]

Vgl. oben S. 52.[x]

Vgl. die vorläufige Übersicht unten unter Nr. 1.3.2.2, S.7 3-75.[x]

Z.B. charakterisiert er das Ziel seiner Untersuchungen zu den Pilgerhospitälern am Jakobsweg in Spanien (Geschichte des Hospitals 4, 1980, S. 98) so: die Hospitäler eines "Typs", von denen Gründungsjahr und Gründer bekannt sind, zusammenstellen, "um so an Hand einer Denkmalkunde eindeutig fixierte Punkte zu gewinnen und eine Entwicklung zu begreifen, die von politischen und religiösen Kräften bedingt war", aber dies gewissermaßen nur nebenher, um dann noch "durch genaue Formenbeschreibungen zu einer Morphologie, zu einer Lehre von der Baufunktion zu gelangen", sofern es die Architekturquellen ermöglichen; bei der Interpretation des Klosterplans von St. Gallen (vgl. unten S.64-8) ebda. S. 122 formuliert er das ähnliche Ziel noch vorsichtiger: es sei "nötig, eine Topographie, eine Art von Anatomie des Klosters zu vermitteln, die ihrerseits Ausdruck ganz besonderer Funktionsabläufe des Lebens in der Gemeinschaft ist", dies um den Besucher instandzusetzen, "den benediktinischen Formenschematismus und seine morphologisch-topographischen Normvorstellungen hinter den alten Hallen und dem zerfallenen Gemäuer zu erkennen, nur dann wird er Klosterspitäler selbst finden und erkennen können ... um dann schließlich typisch spanische Normen und Gesetzlichkeiten zu finden"; auch an vielen anderen Stellen in Geschichte des Hospitals 4 (1formuliert JETTER die Zielsetzung seiner Darstellung derart in propädeutischem Sinne: S. 103. 131. 136. 139. 140, vgl. bereits Bd. l (1S. 24. 32.[x]

vor dem 2. Weltkrieg 

Vor 1945: Julian Marcuse | Theodor Meyer-Steineg | Karl Baas | Richard Goldhahn |

Julian Marcuse

Die erste Abhandlung, die dieser Tradition zuzuordnen ist, war bereits im Zusammenhang mit der bemerkenswerten Zeitschrift zu erwähnen, in welcher sie erschienen ist, nämlich:

Julian MARCUSE
Zur Geschichte der Krankenhäuser. Von Dr. - in Mannheim, 1-2
in: Zeitschrift für Krankenpflege 21 (1899) S. 235-243. 251-263.

Der Begriff, der das Thema angibt, ist bei dieser knappen Darstellung, entsprechend der durch die "Berliner Schule" und die "Zeitschrift für Krankenpflege" eingeführten Sprachregelung, präzise; "Krankenpflegegeschichte" wird nicht mehr mit "Hospitalgeschichte" vermengt, die Geschichten der "Pflegerschaften" fallen aus dem Gesichtskreis heraus. Was MARCUSE klären will, ist die Frage, inwieweit es in früheren Epochen der Geschichte "Krankenhäuser" gegeben habe; diese Frage stellt er an alle älteren "Kulturen", Religionen oder Völker, denn seine These geht darauf hinaus, daß das Krankenhauswesen nicht wesentlich vom Liebesgebot des Christentums hervorgebracht worden sei. Dem entsprechend widmet er dem europäischen Mittelalter nur unbedeutenden Platz in seiner Abhandlung, verglichen mit dem der orientalischen und klassisch-antiken Kulturen. Krankenanstalten, deren Betrieb von Ärzten geleitet wurde, hebt er besonders hervor, selbst wenn seine Einleitungssätze das Krankenhauswesen noch weniger spezifisch auf die Medizin hin definieren, eben weil es ihm ja darum geht, es als eine Errungenschaft und einen "Besitz" fortgeschrittener Kulturen, ob christlich geprägt oder nicht, zu erweisen. Das Interesse an dieser These ergibt sich für ihn aus dem Punkt, den die Geschichte des sozialen Bewußtseins zu seiner Zeit erreicht habe: daßwas bisher religiöse Tugenden gewesen waren, jetzt "in der Kraftfülle der modernen Staatengebilde zum ethischen Bewußtsein des Menschen geworden" sei, welches danach strebe, die "socialen Gegensätze" auszugleichen, in diesem Zusammenhang sei die Geschichte der Krankenhäuser "von hohem Interesse". Auch die Orientierung auf die Baugeschichte hin ist bei MARCUSE zwar zu bemerken (er illustriert seine Abhandlung mit Grundrißzeichnungen und Ausgrabungs-Fotografien), aber noch nicht ausschließliche Richtlinie; gewissermaßen ergibt sich auch eine solche baugeschichtliche Orientierung aus MARCUSES besonderem Interesse von selbst, das ihm die archäologischen Quellen besonders nahelegte und ihn mehr auf "Gründungsnachrichten" (wie es die Forschungstradition später nennt) achten ließals etwa auf Beschreibungen der innergesellschaftlichen Funktion eines Hospitals.

Theodor Meyer-Steineg

Daß gerade die Griechen und Römer, deren Kultur in aller sonstigen Hinsicht für die "klassische" galt, dieses Kennzeichen hoher Kultur, als welches man die Krankenhäuser nun betrachtete, nicht besessen haben sollten, mußte alle, die sich nicht mit der christlichen Genese des Krankenhauswesens abfinden wollten, zu besonderen Forschungsanstrengungen anspornen. Eine Spezialabhandlung über dieses Problem ist denn auch mit das erste, was die krankenhausgeschichtliche Forschung der Mediziner vorgelegt hat:

Theodor MEYER-STEINEG
Kranken-Anstalten im griechisch-römischen Altertum
(Jenaer medizin-historische Beiträge hg.v. Prof.Dr. Theod. MEYER-STEINEG, 3)
Jena: Fischer, 1912

Theodor MEYER-STEINEG
Kranken-Anstalten im griechisch-römischen Altertum
in: Ergebnisse und Fortschritte des Krankenhauswesens. Jahrbuch für Bau, Einrichtung und Betrieb von Krankenanstalten (Krankenhaus Jahrbuch) l (1912) S. 1-27
(wenig abweichend von der Separatausgabe)

In dieser Arbeit des Jenenser Medizinhistorikers, die bis heute das Maßgebende über den speziellen Gegenstand geblieben ist, tritt die Baugeschichte noch mehr gegenüber den anderen möglichen Aspekten hervor als bei MARCUSE.

Dieselbe Zeitschrift die MEYER-STEINEGs Abhandlung abdruckte, behielt auch in ihrem nächsten Jahrgang eine Abteilung "Geschichte" auf den vordersten Seiten bei. Dort behandelte der berühmte Leipziger Medizinhistoriker Karl SUDHOFF den Zeitraum der Krankenhausgeschichte, der sich an den im 1. Jahrgang dargestellten anschließt, bis etwa 1200:

Karl SUDHOFF
Aus der Geschichte des Krankenhauswesens im früheren Mittelalter in Morgenland und Abendland. Skizzen, nach den Quellen gezeichnetin: Ergebnisse und Fortschritte [usw. wie oben] 2 (1913) S. 1-30

SUDHOFF schließt diese Untersuchung ungefähr beim Jahre 1200 ab. Er ist skeptischer als seine Vorgänger bezüglich wirklicher "Krankenhäuser", mit ärztlich geleiteter Therapie, vor diesem Datum. Indem er gegen summarische Aussagen über ganze Kulturen, wie sie MARCUSE versucht hatte, mancherlei Einwendungen vorbringen muß, wendet er sich zugleich als erster einer längeren Reihe medizinhistorischer Forscher einzelnen "großen" Beispielen von Hospitälern zu, um sie als "typisch" und repräsentativ für viele darzustellen. Das Spital beim Pantokrator-Kloster in Byzanz , der Idealplan eines karolingischen Reformklosters aus der St. Galler Stiftsbibliothek stehen jetzt zum erstenmal ganz im Vordergrund.

Karl Baas

Die Zeitschrift, die MEYER-STEINEGs und SUDHOFFs Beiträge zur Krankenhausgeschichte jeweils am Anfang ihrer beiden Vorkriegsjahrgänge plaziert hatte und den "Fortschritt des Krankenhauswesens" nicht nur als leeres Wort in ihrem Namen führte, erschien nach dem Ersten Weltkrieg nur noch mit einem einzigen Band (3,1919). Die Beschreibungen mustergültiger Neubauten, die stets einen wesentlichen Teil der Bände ausmachten, signalisieren den Umschwung, den der Krieg mit sich brachte: keine warmen Worte mehr über die Hebung des "Krankenkomforts" oder über die künstlerische Gestaltung der Krankenhäuser nach 1918, dafür gründliche Untersuchungen über Möglichkeiten zur "Kostendämpfung im Gesundheitswesen", um es anachronistisch (?) zu bezeichnen. Der Fortschrittsoptimismus, der die Worte der Autoren in den Vorkriegsjahrgängen, sowie der Förderer des Krankenkomforts, der Programmatiker eines "Zeitalters der Therapie", beflügelt hatte, mußte sich anderweitig Bewegungsfreiheit suchen. Man trifft ihn vornehmlich in genau jener Zeitschrift wieder, die nach 1918 zuerst wieder einen Beitrag über Krankenhausgeschichte brachte. Dieses Organ wollte Wortführer für die "Hebung der Volksgesundheit" sein, widmete sich Gegenständen wie den "Volksheilstätten" für Tuberkulöse und deren gesundheitserzieherischer Breitenwirkung oder dem Verbot der Alkoholumsetzung und immer wieder der medizinischen Statistik. Die damit nur ganz grob angedeutete Interessenumschichtung findet sich tatsächlich in der krankenhausgeschichtlichen Literatur wieder, sogar zwischen zwei Beiträgen desselben Autors, deren erster vor und deren anderer nach dem Ersten Weltkrieg erschien:

Karl BAAS
Uranfänge und Frühgeschichte der Krankenpflege
in: [SUDHOFFs] Archiv für Geschichte der Medizin 8 (1913/1914. ND 1964) S. 146-164

Karl BAAS
Zur Geschichte der Krankenpflege und des Krankenhauswesens vom vom Ausgang der Antike bis zum Aufkommen der Städtefreiheit in Deutschland
in: Sozialhygienische Mitteilungen. Zeitschrift für Gesundheitspolitik und -gesetzgebung. Begr.v.d.Bad.Ges.f.soz.Hygiene 6 (1922) S. 4-13. 42-52.

In dem ersten Beitrag hatte sich BAAS, Professor der Medizin in Karlsruhe, ganz in den Bahnen MARCUSEs und BLOCHs bewegt, die alten Kulturen nach etwaigen Vorkommen von Krankenanstalten, möglichst mit ärztlich geleiteter Therapie, abgesucht und solche als Ausdruck der Vervollkommnung einer Kultur, wie eben gerade in der eigenen erlebt, verstanden. Nur daß er vielleicht etwas großzügiger gedacht und auch die "Naturvölker", ja selbst die Tiere in seine Betrachtung einbezogen hatte, um die Linie wenn schon nicht der Krankenhausgeschichte so zumindest die der Nächstenhilfe noch weiter zurück zu erstrecken als MARCUSE es getan hatte. In seinem anderen Beitrag wechselt BAAS in die Bahnen der kirchlichen Darstellungstradition, wie er gleich durch Angabe seiner Sekundärliteratur ("Quellen") zu erkennen gibt. Was den Inhalt angeht, gibt er die Fixierung auf ärztliche Tätigkeit auf und zeichnet wieder ein großes Bild von den "Pflegerschaften" HAESERS und DIETRICHS. Er verwendet wieder mehr Raum auf das soziale Funktionsfeld der Hospitäler, statt nur auf Gründungen und auf medizinischen Standard zu achten.

BAAS hat übrigens auch eine Menge von Beiträgen zur Geschichte des Gesundheitswesens einzelner südwestdeutscher Städte und Landschaften in den verschiedensten Zeitschriften oder als Monographien veröffentlicht.

Die Grundgedanken der BAAS'schen Darstellung werden deutlicher, wenn man ein etwas später erschienenes Geschichtswerk von dem Karlsruher Arzt Alfons FISCHER, dem Herausgeber der "Sozialhygienischen Mitteilungen", hinzuzieht, bei dem BAAS als Konsulent mitgewirkt hat - auch wenn der Gegenstand dieses Werks die Krankenhausgeschichte nur neben anderem miteinschließt, scheint es für die Methodengeschichte der medizinhistorischen Krankenhausforschung eine erhebliche Rolle gespielt zu haben; gemeint ist:

Alfons FISCHER
Geschichte des deutschen Gesundheitswesens. Von Dr. med. -, Karlsruhe i. B. Bearbeitet im Auftrage und mit Förderung des Reichsgesundheitsamtes. Hg. v. der Arbeitsgemeinschaft sozialhygienischer Reichsfachverbände
1: Vom Gesundheitswesen der alten Deutschen zur Zeit ihres Anschlusses an die Weltkultur bis zum Preußischen Medicinaledikt (Die ersten 17 Jahrhunderte unserer Zeitrechnung)
2: Von den Anfängen der hygienischen Ortsbeschreibungen bis zur Gründung des Reichsgesundheitsamtes (Das 18. und 19. Jahrhundert
Berlin:Herbis/Reichsdruckerei, 1933

Auch diese Geschichtsdarstellung entstand ursprünglich als Nebenprodukt eines systematischen Handbuches, vergleichbar den ersten Krankenhausgeschichten, die Bauprogrammen beigegeben waren. Dann wurde sie als Auftragsarbeit für die zuständige oberste Reichsbehörde zuendegeführt - diesem Auftrag sowie der Anwendungsorientiertheit der Disziplin Sozialhygiene überhaupt entstammt FISCHERs erklärte Absicht, die Geschichtsforschung als Hilfswissenschaft zu betreiben, die "wie Bakteriologie, Vererbungsbiologie etc." der Sozialhygiene nützen soll. Da er es für möglich hält, aus der Untersuchung der Geschichte (vor allem aus dem Vergleich von Kulturen) Voraussagen über die Zukunft abzuleiten, scheint ihm Geschichte als Hilfswissenschaft tatsächlich möglich und vernünftig. Mit dieser kühnen Zielsetzung erscheint FISCHER als das Vorbild der späteren Krankenhausgeschichtsdarsteller in Deutschland. Übrigens auch mit einer entsprechend geringen Familiarität gegenüber der Quellengrundlage seiner Arbeit

Im Hinblick auf BAAS' vorhin erwähnte Krankenhausge-schichtsdarstellungen, die mit ihrer Berücksichtigung der Pflegergemeinschaften von dem medizinhistorischen Muster zum Teil abwichen, wird FISCHERs Verhältnis zur Medizinge- schichtsschreibung interessant. -Es ist ein distanziertes Verhältnis: Er distanziert sich von den Medizinhistorikern, wenn er seiner Forschung als Ziel außer "Sichtung und Deutung" auch "Fruchtbarmachung" setzt. Er distanziert seinen Gegenstandsbereich von dem der Medizinhistorie, indem er seinem die Gesamtheit der Gesundheitsfaktoren, jenem bloß die technischen Methoden der Therapie zuordnet. Und wo er das mittelalterliche Mönchtum behandelt, distanziert er sich von dem skeptischen Urteil der Medizingeschichtsschreibung über deren nicht-ärztlichen Kurbetrieb: "Darauf kommt es nicht an;" FISCHER kommt es dagegen auf die hygienische Erziehung der breiten Volksmasse an, und da schätzt er die Mönche wegen ihrer in vielen Punkten vernünftig geregelten Lebensweise, besonders noch wegen ihrer Sorge um die Kranken, als vorbildlich ein. Von daher kommt vermutlich auch die bei Medizinern sonst ungewöhnliche Aufmerksamkeit für die Hospitalbrüder und -Schwestern des Mittelalters, die BAAS in seinem zweiten Aufsatz gezeigt hat.

Von heute aus gesehen, blieb diese Modifizierung des krankenhausgeschichichtlichen Paradigmas aber schließlich nur eine kurze Episode in den Zwanziger Jahren.

Richard Goldhahn

In der Zeit von 1933 bis 1945 erschienen einige bewußt unterhaltsame kulturgeschichtliche "Skizzen" über das frühere Krankenhauswesen, die im wesentlichen auf FISCHER, SUDHOFF und BOETHKE fußen, ohne eigene Forschungen zu unternehmen

Auch wenn neben dem Artikel über "Mittelalterliche Krankenhäuser" in derselben Nummer der "Medizinischen Welt" 1935 z.B. eine bei Ferd. Enke in Stuttgart neu herauskommende "Zeitschrift für Rassenkunde" empfohlen wird, oder et- wa ein Artikel über Krebsfragen mit dem Bekenntnis meint anheben zu müssen: "Die Grundlage erfolgreicher ärztlicher Tätigkeit ist das naturgemäße biologische Denken", ist dieser Artikel über die mittelalterliche Krankenhausgeschichte selbst eine so unauffällige Fortsetzung des um die Jahrhundertwende aus Baugeschichte und "wissenschaftlicher Krankenpflege" herausgewachsenen Darstellungsmusters, wie nur möglich:

Richard GOLDHAHN
[Geschichte der Medizin.] Mittelalterliche Krankenhäuser. Dr. -, Leipzig
in: Die medizinische Welt 9 [,1l] ( [l6.3.]1935) S. 392-395

Dasselbe gilt für die Darstellung des Themas in weiterem Rahmen, die derselbe Verfasser 1933 in der "Zeitschrift für die Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz" "auch separat , und, weiter ausgearbeitet, 1940 herausbrachte. Das Buch sei für die "mühsam dem Tagewerk abgerungenen Mußestunden" der Standesgenossen gemacht, um "den Blick für das innere Gefüge einer Berufsgruppe oder eines Standes" zu weiten; etwas direkt Verwertbares sei davon nicht zu erwarten; auch seien Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit für den Zweck "verfehlt"; es soll nur "die der eigenen Tagesarbeit entsprechende Beschäftigung der Standesgenossen früherer Jahrhunderte in farbenfrohen Einzelbildern wieder lebendig werden":

Richard GOLDHAHN
Spital und Arzt von einst bis jetzt. Von Dr.med. -. Mit 40 Abb.
Stuttgart: Ferdinand Enke, 1940 (188 S.)

Wie es diese Formulierungen andeuten, behandelt GOLDHAHN die Hospitalgeschichte völlig unter dem Gesichtspunkt der Ärztetätigkeit, diese Einengung geht bei ihm für selbstverständlich und keiner Begründung mehr bedürfend. Auch darin stärkt er die krankenhausgeschichtliche Darstellungtradi-' tion, daß er den sog. St. Galler Klosterplan optisch und inhaltlich, als die Schlüssel-Quelle zum ganzen Hospitalwesen des Mittelalters, absolut in den Vordergrund stellt und im übrigen unter der Überschrift "Mittelalterliche Krankenhäuser" hauptsächlich Baubeschreibungen gibt. Auch darin hat er in der Krankenhausgeschichtsschreibung Nachfolger gefunden (die Früheren v/aren hier immerhin noch genauer), daß er Ausdrücke wie "über etwas berichten", "Nachrichten über" etwas "mitteilen" u.a. unterschiedslos nicht nur für Aussagen von Quellen, sondern auch für Schlußfolgerungen der Forschung verwendet, so als "berichte" ein Kliniker als quasi Primärquelle über Beobachtungen an Kranken.

"Spital und Arzt von einst bis jetzt" enthält, wenn schon keine Einzelbelege zum Text, doch immerhin ein fülliges Literaturverzeichnis, in dem auch andere Forschungsansätze zur Hospitalgeschichte neben dem medizinischen berücksichtigt worden sind (ohne daß solche Ansätze im Text zur Geltung kommen), und ist auch im Detail die sorgfältigere und zuverlässigere von den beiden Arbeiten GOLDHAHNs.

Vgl. oben S. 32.[x]

U.a. über die Ägypter: "Und bei diesem Culturstandpunkt sollen sie der Hospitäler entbehrt haben?" (S. 236); die orientalischen Völker insgesamt "waren ... im Besitz von Krankenhäusern" (S. 239); die Griechen und Römer: "dass beide Völker während der Blüthezeit ihres Bestehens Krankenhäuser nicht gehabt haben (ebda., wird S. 251 bezüglich Sklaven- und Soldaten-Krankenhäuser modifiziert) usw.[x]

Über die christliche Epoche: MARCUSE S. 253-259, d.h. 4 S. Text.[x]

Vgl. unten S.[x]

MARCUSE S. 235.[x]

"Die immer wieder auftauchende Meinung, daß das Krankenhaus eine spezifisch christliche Schöpfung sei, zu widerlegen," nennt MEYER-STEINEG, Vorwort zur Separatausgabe, ausdrücklich als Ziel seiner Abhandlung - wofür er sich Kritik von Franz MEFFERT (vql. S. 109, bei Anm. 343), Krankenwesen, S. 51, Anm. l und ff. zuzieht, nicht jedoch auch noch die von BAAS, Uranfänge, S. 158, was MEFFERT behauptet.[x]

Z.B. SUDHOFF S. 5.[x]

Vgl. unten S. 74 mit Anm. 234. S. 113.[x]

Vgl. unten S. 64-67.[x]

Vgl. oben S. 35f.[x]

Vgl. oben S. 40, Anm. 131.[x]

Nur nebenbei bemerkt, bieten die statistischen und sonstigen Beiträge in den Nachkriegsjahrgängen dieser Zeitschrift, wenn auch in trockenen Zahlen und Diagnosebezeichnungen, ein aussagekräftiges Quellenmaterial über die Lebensbedingungen der meisten Leute damals,[x]

Letzteres nach dem Vorgang NUTTING-DOCK-KARLL l, Kap. l (ersch.1910).[x]

Um damit UHLHORNS vielzitiertes "Eine Welt ohne Liebe" zu widerlegen; daß BAAS S. 159 UHLHORN in diesem Punkt zugestimmt und MEYER-STEINEG sowie SUDHOPF bezüglich vorchristlicher Krankenhäuser grundsätzlich widersprochen hätte, ist eine blanke Verdrehung MEFFERTS (Caritas und Krankenwesen S. 51, Anm. l).[x]

Als seine "Quellen" nennt BAAS 2, S. 4, Anm. 1, die unten Kap. 1.4.1, S. 97.92.108 besprochenen Werke von UHLHORN, RATZINGER, LALLEMAND sowie HAESER (s. oben S. 22)[x]

1873-19.., Gründer dee ersten deutschen Mutterschaftskasse 1909, der Badischen Gesellschaft für soziale Hygiene 1916, Hg. der "Sozialhygienischen Mitteilungen (Jg. 1-4: für Baden)" 1916, Organisator der 1. kulturhygienischen Ausstellung 1925.[x]

FISCHER berichtet Bd. 1, S. VII f., er habe fast jede Einzelheit des 1. Bandes mit BAAS besprochen, in bezug auf die Allgemeine Geschichte habe der Leiter des Bad. Münzkabinetts, Prof. Roller, sein Werk geprüft, beim Lesen "und Deuten" der Hss. habe dieser und Altphilologe Dr. Reinfried geholfen.[x]

Das Fehlen einer Geschichte seines Fachs bemerkte FISCHER, als er die Einleitung zu seinem "Grundriß der Sozialen Hygiene" (1schreiben wollte (FISCHER, Gesundheitswesen l, S. 5).[x]

Als Grund dafür, daß es möglich sei, in der Geschichte Gesetzmässigkeiten zu finden, führt FISCHER an, daß die Triebe der Menschen, die befriedigt werden wollten, immer dieselben blieben (Gesundheitswesen l, S. V und S. 1-3); vgl. noch oben Anm. 114 zum Bildgebrauch.[x]

Vgl. CRAEMER, Bautyp (1963), S. 7; vor allem aber JETTER, Grundzüge (1973), S. VHf. und 4. Umschlagseite; vgl. hier unten S. 58f.[x]

FISCHER berichtet Gesundheitswesen l, S. V, wie ihm bei der Arbeit das "Finderglück hold" gewesen sei und gibt einige Beispiele von Funden, die er für bedeutend hielt, einen Traktat über Gesundheit von 1573 hielt er sogar für dermaßen epochemachend, daß er ihn "in den Mittelpunkt des l. Bandes" stellt - vgl. nun damit JETTER[x]

FISCHER, Gesundheitswesen l, S. l (nennt z.B. SUDHOFF).[x]

Ebda. S. 3.[x]

Ebda. S. 57.[x]

Selbst die Benediktinerregel zitiert er in FISCHERS Übersetzung (Mittelalterliche Krankenhäuser S. 394).[x]

"Verschiedenes", in: Die medizinische Welt 9 (1S. 396.[x]

Hans AULER, Beiträge zum Gewächsproblem, in: Die medizinische Welt 9 (1He. 11. S. 361.[x]

Zit. nach GOLDHAHN, Spital und Arzt; war mir bisher nicht zugänglich,[x]

GOLDHAHN, Spital und Arzt, S. V.[x]

seit dem 2. Weltkrieg 

Nach 1945: Ulrich Craemer | Dankwart Leistikow | Krankenhausgeschichts-Gesellschaften | Dieter Jetter |

Ulrich Craemer

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die krankenhausgeschichtliche Darstellungstradition in Deutschland ihre nächste Fortsetzung in den Arbeiten von Dieter JETTER fand, waren wiederum einige speziell baugeschichtliche Untersuchungen vorangegangen, an die jene sich anschließen konnte, so daß ein ähnliches Verhältnis zustandekam wie etwa zwischen den Arbeiten SUDHOFF s einerseits und DUNAJs, TOLLETs andererseits .

Insbesondere die eigentümliche Methode in einer der architekturgeschichtlichen Abhandlungen, den Stoff zu ordnen und den geschichtlichen Zusammenhang zu erklären, setzte sich in der medizinischen Krankenhausgeschichte durch. Es handelt sich dabei um das Verfahren, das der Architekt Ulrich CRAEMER zuerst in seiner Arbeit von 1954 angewandt hat:

Ulrich CRAEMER
Das Hospital im Mittelalter
in: Das Krankenhaus. Zeitschrift für das gesamte Krankenhauswesen 46[,8.10.1l] (1954) S. 261-267. 388-392. 429-435.

Ihm geht es darum, die Baugeschichte der Hospitäler "in Verbindung mit der Geschichte des Hospitalwesens" zu demonstrieren, das bedeutet: im Zusammenhang mit den sozialen Aspekten der Hospitalgeschichte. CRAEMER geht davon aus, daß "das Hospital" im Lauf der Zeit sowohl hin sichtlich der Architektur als auch hinsichtlich der sozialen Zusammenhänge sich in verschiedenen "Typen" ausgeprägt habe. Weiter rechnet er damit, daß zwischen der jeweiligen Ausprägung in einem "Bautyp" und der gleichzeitigen in einem Sozialfunktionstyp ein Ursachenzusammenhang bestehe. Seinem Ziel, den Zusammenhang beider Aspekte zu schildern, wird er dann jedoch wenig gerecht; denn während er die baulichen Typen alle ausführlich bespricht, nimmt er, um nun auch in sozialer Hinsicht verschiedene Typen zu unterscheiden, bloß eine Einteilung der Gründer der Hospitäler nach sozialer Stellung vor und verfolgt diese Seite weiter nicht. Ob nun die ausschließliche Konzentration auf die Gründer der Hospitäler einfach davon kommt, daß den Architekturhistoriker die Bauherren am meisten interessieren, weniger die späteren Bewohner, oder ob es eine Nachwirkung ähnlicher Tendenzen in der älteren Krankenhausgeschichtsschreibung ist, wo vor allem MARCUSE die Frage untersucht hat, auf welchem Kultur- und Gesellschafts-"Standpunkt" Menschen sich Hospitäler schaffen - jedenfalls ist gerade diese fragmentarische Durchführung eines viel- versprechenden Vorhabens Craemers (Baugeschichte im Zusammenhang mit der sozialen Geschichte zu schildern) genau so unbefriedigend auch in die medizinische Krankenhausgeschichtsschreibung übernommen worden.

Eine neubearbeitete Fassung seiner Arbeit legte Craemer 1963 als Buch vor:

Ulrich CRAEMER
Das Hospital als Bautyp des Mittelalters
Köln: Kohlhammer, 1963 (4º, 104 S., 54 Abb.)

Den Begriff des "Bautyps" läßt er nun nicht mehr allein auf die einzelnen Entwicklungsstadien der Baugeschichte sich erstrecken, sondern auch auf "das Hospital" des Mittelalters schlechthin. In diesem letzteren Fall denkt er an Hospitalbauten als einen Bautyp neben anderen wie Kirchen, Kloster- u.a. Bauten. Die nicht-bauliche, soziale Seite behandelt er 1963 nicht wesentlich anders als früher. Dessenungeachtet empfiehlt er noch besonders. - nun .im umfassenderen Sinn - "Bautypen" zu studieren, weil das den notwendigen Zusammenhang zwischen Zweck und Form lehre, was allgemein eine für Architekten höchst wichtige Einsicht sei

Dankwart Leistikow

Ein weiteres, nur wenig später erschienenes Werk über die mittelalterliche Hospitalarchitektur geht bis in die 40-er Jahre zurück, denn damals begann der Kunsthistoriker H.M. SCHWARZ im Auftrag der Arzneimittelfirma Boehringer (Ingel-heim am Rhein), Fotografien erhalten gebliebener alter Hospitäler in verschiedenen Ländern Europas zu sammeln. Diese Sammlung vervollständigte nun der Architekt Dankwart LEISTIKOW, so daß beinahe alle Länder des Kontinents mit Ausnahme derer im "Ostblock" darin vertreten sind. LEISTIKOW verfaßte zu diesen Bildern je einen speziellen Erläuterungstext unter dem baugeschichtlichen Aspekt und ausschließlich aufgrund bereits vorliegender Literatur, sowie eine knappe Einleitung zur Geschichte der Hospitäler, vor allem der Bauten, im allgemeinen. Dieses Werk gab die Firma Boehringer nicht nur auf deutsch, sondern auch noch in einer englischen und einer französischen Übersetzung heraus:

Dankwart LEISTIKOW
Hospitalbauten in Europa aus zehn Jahrhunderten. Ein Beitrag zur Geschichte des Krankenhausbaues
Ingelheim (Rhein): Boehringer, 1967

Dankwart LEISTIKOW; Oliver HILL; Amy HOGG (Überss.)
Ten Centuries of European Hospital Architecture. A Contribution to the History of Hospital Architecture
Ebda. 1967

Dankwart LEISTIKOW
Dix siecles d'architecture hospitaliere en Europe

Krankenhausgeschichts-Gesellschaften

Um 1960 wurden in mehreren europäischen Ländern Gesellschaften zum Studium der Krankenhausgeschichte gegründet; indem diese Fachzeitschriften herausgeben und Tagungen veranstalten, haben sie seither zu erheblicher Ausdehnung der medizinhistorischen Forschungstradition auf diesem Gegenstandsfeld beigetragen.

Als erste derartige Gesellschaft wurde 1956 das Centro Italiano di Storia Ospitaliera, Sitz: Reggio nell'Emilia, gegründet. Es hat seine Aktivität neuerdings anscheinend eingestellt. 1957 und 1961 veranstaltete es italienische Kongresse über Geschichte von Hospitälern deren Beiträge gedruckt worden sind

Angeregt durch den ersten italienischen Kongreß, schlössen sich auch französische Fachleute zu einer gleichartigen Gesellschaft unter dem Namen "Societe Francaise d'Histoire des Höpitaux" zusammen. (1958).

In Belgien wurde die "Societe Beige d'Histoire des Hôpitaux - Belgische Vereniging voor Hospitaalgeschiedenis" gegründet. In Frankreich und in Belgien sind neben den Medizinhistorikern und Krankenhausfunktionären auch Archivare in den Gesellschaften für Krankenhausgeschichte vertreten, besonders solche, die die reichen Archive seit dem Mittelalter bestehender Wohltätigkeits- und Krankenversorgungsstiftungen verwalten, und vielleicht ist das der Grund dafür, daß in den Veröffentlichungen dieser beiden Gesellschaften mittelalterliche Stoffe und schriftliche Geschichts-quellen einen selbstverständlicheren Platz haben als in denjenigen der entsprechenden westdeutschen Gesellschaft:

Die "Deutsche Gesellschaft für Krankenhausgeschichte" wurde 1962 gegründet. Sie veranstaltet wissenschaftliche Kolloquien über Themen der Krankenhausgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, die dabei vorgetragenen Beiträge werden nachher durch den Druck veröffentlicht

Die von diesen Gesellschaften herausgegebenen Zeitschriften bieten eine große Menge von Spezialabhandlungen zu meist eng begrenzten Themen. Außerdem Literaturberichte, wobei besonders die regelmäßige "Bibliographie d'histoire des hopitaux" in der französischen Zeitschrift hervorragt. Auch wenn ihr Inhalt von Land zu Land, und von Fall zu Fall, mehr oder weniger zu der typischen Forschungstradition der Krankenhausgeschichte gerechnet werden muß, seien hier die Titel der Zeitschriften im Zusammenhang genannt:

Studi di Storia Ospitaliera
Firenze: Centro Italiano di Storia Ospitaliera
l,1963-3,1968

Bulletin de la Societe Francaise d'Histoire des Hopitaux
Paris: Editions de la Revue de l'Assistance publique ä Paris
1,1959-25,1970
fortgesetzt unter dem Titel:
Societe Francaise d'Histoire des Hopitaux
Bulletin Paris: Association des amis de l'Assistance publique ä Paris
26,1971-, ISSN 0583-8517

Annales de la Societe Beige d'Histoire des Hopitaux - Annalen van de Belgische Vereniging voor Hospitaalgeschiedenis
Bruxelles - Brüssel: S.B.H.H.-B.V.v.H.G.
l, -20,1982 usw.

Historia Hospitalium. Mitteilungen [ab 9,1974: Zeitschrift] der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte
o.O.: DGfK
l,1966 März-14,1981-1982 usw. ISSN 0440-9043

Ein glänzender Höhepunkt dieser Bemühungen um eine Organisierung der Hospitalgeschichtsforschungen muß der internationale Kongreß gewesen sein, zu dem 1960 das italienische Forschungszentrum nach Reggio Emilia einlud. Die Zahl der Referate betrug 142, und die Gelehrten, die dabei ihre Arbeiten vorstellten, vertraten nahezu alle Länder Europas und Nordafrikas. Der Band mit den gedruckten "Atti" gehört zur Schwergewichtsklasse:

Atti del Primo Congresso Europeo di Storia Ospitaliera. 6-12 Giugno 1960
Reggio Emilia: CISO, 1962 (1445 S., Gewicht: 2,995 kg)

Der größte Teil dieser zahlreichen Beiträge hat gleichwohl italienische Mediziner und Juristen zu Verfassern; diese Studien teilen kirchliche Standpunkte in einem Maß, daß sie aus der Perspektive der deutschen Forschung am ehesten unter die kirchengeschichtlichen Ansätze fallen. Ein Einfluß dieser auf dem internationalen Kongreß so reichlich vertretenen italienischen Forschungsrichtungen auf die Krankenhausgeschichtsschreibung in Deutschland ist aber nicht zu bemerken, so sehr man auch erwarten möchte, daß eine Zusammenkunft von der Größe dieses Kongresses auf die alten Forschungstraditionen, die die Teilnehmer aus den einzelnen Ländern mitbringen, auflösend und vermischend wirken würde.

Dieter Jetter

Einer der Teilnehmer am Kongreß von Reggio Emilia 1960 aus der Bundesrepublik war Dieter JETTER, der seither der aktivste Fortsetzer der deutschen krankenhausgeschichtlichen Forschungstradition geworden ist.

JETTER referierte beim Kongreß von 1960 über "Hospitäler mit kreuzförmigem Grundriß". Im selben Jahre veröffentlichte er bereits einen Aufsatz über die Gebäude spanischer Hospitäler. Dann behandelte er, zwei Jahre später, ein einzelnes spanisches Hospital "als typische Stiftung seiner Zeit". 1966 legte er eine "Typologie" der französischen und der deutschen Irrenhäuser an der Wende zur neueren Psychiatrie vor

Die baugeschichtliche Perspektive war damit von vornherein festgelegt - und zwar in einer der CRAEMERschen ähnlichen Terminologie: also so, daß Baugestalt und Institutionsgestalt "des" Hospitals auf seinen verschiedenen Entwicklungsstufen vermittels des "(Bau-)Typen"-Begriffs zusammenhingen, als JETTER 1966 eine vielbändige, bisher noch nicht abgeschlossene Geschichte "des Hospitals" zu schreiben begann:

Dieter JETTER
Geschichte des Hospitals
l: Westdeutschland von den Anfängen bis 1850 (271 S.) (= SUDHOFFs Archiv. Beihefte, 5)
2: Zur Typologie des Irrenhauses in Frankreich und Deutschland (1780-1840) (= Habil.-Schrift med. Heidelberg 1966)(303 Bl.)
3: Nordamerika (1600-1776) (Kolonialzeit) (134 S.)
4: Spanien von den Anfängen bis um 1500 (239 S.)
5: Wien von den Anfängen bis um 1900 (160 S.)
Wiesbaden: Steiner, 1966.1971.1972.1980.1982

Die bauten-typologische Perspektive prägt auch die Bände dieses Sammelwerks; und daneben ist der auf das ärztliche Handeln konzentrierte Blickwinkel bestimmend, der das andere charakteristische Element der "Krankenhausgeschichte" ausmacht.

Das gleiche gilt für die Übersicht JETTERs über die gesamte Hospitalgeschichte ohne räumliche oder zeitliche Einschränkung:

Dieter JETTER
Grundzuge der Hospitalgeschichte
(= Grundzuge, 22)
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1973 (135 S.)

Auf diesem Gerüst der traditionell medizinhistorischen Krankenhausgeschichte versucht JETTER, die Zusammenhänge von Bauformen und jeweils gleichzeitigen sozialen Verhältnissen der Hospitäler, dann auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Entwicklungsstadien "des" Hospitals nach seinen beiden Aspekten hin zu demonstrieren. Craemer, der zuerst im Singular von einer geschlossenen Entwicklung "des" Hospitals gesprochen hatte, wird von JETTER noch übertroffen, indem dieser von "gesetzmäßiger" Entwicklung spricht.

JETTER versucht, sogar noch einen Schritt weiter zu gehen und die Gültigkeit der zu findenden "Entwicklungsgesetze" bis in die Zukunft sich erstrecken zu lassen, so daß die Ergebnisse der Hospitalgeschichtsforschung geradezu Grundlage für Bestrebungen zur Reform der heutigen Krankenhäuser bilden könnten. "Reform der Krankenhäuser" tritt damit an den Platz, den zu Anfang der medizinhistorischen Krankenhausforschung die enorme Neubauwelle des ausgehenden 19. Jahrhunderts und denn zwischen den Weltkriegen das möglichst breite "sozialhygienische" Wirken mit möglichst wenig Geld eingenommen hatten, es ist nun das Stichwort, das den historischen Bemühungen die den Aufwand rechtfertigende Tagesaktualität verschaffen soll.

Der sozialen Seite des historischen Hospitalwesens in seinen verschiedenen "Typen" widmet die Medizinhistorik allerdings auch jetzt, seit ihre hospitalgeschichtliche Forschung von JETTER fortgesetzt wird, keine besondern Untersuchungen. Man bleibt standhaft bei der vor Jahrzehnten einmal getroffenen Wahl, außer der Geschichte der eigenen Wissenschaft nur die des Bauens zu betrachten. Und da die Fächer, die sich sonst mit Geschichte von Hospitälern, und stärker mit deren sozialen Funktionen, beschäftigt haben, andererseits auch noch kein endgültiges Totalergebnis herstellen konnten, auf das die Medizin- und Architekturhistoriker etwa nur verweisen brauchten, um ihre eigenen Untersuchungen zu komplettieren, stehen die Entwicklungsgesetze JETTERs nur auf einem Bein. Selbst wenn es sich nur um die Architekturgeschichte handeln würde, kritisiert ja Craemer das als ungenügend und "Formalismus", wenn die Baugestalt ohne Einsicht in den Zweck und die sozialen Beziehungen des Gebäudes betrachtet wird. Die Medizingeschichte i.e.S. kann allein auch nicht eine Beschreibung von Hospitalgebäuden zu einer Geschichte des Hospitalwesens komplettieren, dazu spielte offenbar Medizin eine zu wenig zentrale Rolle im historischen Hospitalwesen. JETTER versucht auch kaum, auf diesem Gebiet zusätzliche Fakten ans Licht zu holen, jedenfalls nicht für das Mittelalter. Er formuliert dann auch in seinen jüngsten Arbeiten die Zielsetzung vorsichtiger, mehr positivistisch und kaum noch dahingehend, daß zukunftsnützliche Entwicklungsgesetze gefunden werden sollten.

Vgl. hierzu oben S. 41f. über DUNAJS Konstruktion "Der Hospitalgedanke"; diesen Ausdruck gebraucht auch CRAEMER oft, z.B. S. 9; dazu, daß CRAEMER überhaupt bis in viele Formulierungen und Einzelangaben hinein, -DüNAJ folgt, vg] . Z..B. unten S. 62, Anm. 188.[x]

CRAEMER, Hospital im Mittelalter, S. 261.[x]

CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 7f.[x]

LEISTIKOW, Hospitalbauten, S. 5; Robert HERRLINGER, Discorso ufficiale, in: Atti del Primo Congresso Europeo di storia ospitaliera 6-12 giugno 1960 (wie unten S. ) S. LXIVy JETTER, Geschichte des Hospitals 4, S. 117.[x]

Die französische Ausgabe habe ich nicht selbst in Händen gehabt.[x]

Atti del Primo Congresso Italiano di Storia Ospitaliera. Reggio Emilia 14-17 Giugno 1956, Ebda.: CISO, 1957; Atti del Secondo Congresso Italiano di Storia Ospitaliera. Torino-St.Vincent 7-9 Giugno 1961. Tema Generale: L'assistenza Ospitaliera nell'eta del Risorgi-mento, Reggio Emilia: CISO, 1962. (837 bzw. 681 S.)[x]

Symposium 23.-24.2.1972 Berlin siehe: Hans SCHADEWALDT (Red.), Studien zur Krankenhausgeschichte im 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Entwicklung in Deutschland. Vorträge des Symposiums ... Mit Beiträgen von Ch.Coury+,H.GOERKE,R.G.Hodgkinson,D.JETTER,0.Larsen, D.LEISTIKOW,H.Müller-Dietz,A.H.MURKEN,L.Premuda,M.Stürzbecher,M.Wiriot, J.H.WOLF (Studien zur Medizingeschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 7) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1976 (vgl. Anm. 81.121.123.126.130). Symposium 24-26.10.1973 Kaiserswerth über "Krankenpflege im 19. Jahrhundert" (Historia Hospitalium 8,1973,S.67-71) noch nicht erschienen.[x]

Daher ist von diesem Kongreß noch äher unten S. zu handeln.[x]

Dieter JETTER, Hospitäler mit kreuzförmigem Grundriß, in: Atti del Primo Congresso Europeo (wie oben) S. 639-645. Im selben Jahr erschien von Dems.: Daa Mailänder Ospedale Maggiore und der kreuzförmige Grundriß, in: SUDHOFFs Archiv 44 (1S. 64-75.[x]

Dieter JETTER, Hospitalgebäude in Spanien, in: SUDHOFFs Archiv 44.3 (1960).[x]

Dieter JETTER, Das Hospital Real de Dementes in Granada als typische Stiftung seiner Zeit, in: Das Krankenhaus (vgl. S. 52) 54,6 (1962).[x]

Später als Band 2 der "Geschichte des Hospitals" erschienen, siehe unter diesem Titel S. 57.[x]

JETTER bezeichnet im Vorwort zu "Geschichte des Hospitals", Bd. l, S. VI, sein Vorhaben dahingehend, er wolle versuchen "Hospitäler zu typologisch abgrenzbaren Gruppen zu ordnen und innerhalb dieser Entwicklungslinien kenntlich zu machen".[x]

"Hospital" bezeichnet in sämtlichen Arbeiten JETTERS regelmäßig ein Gebäude eines solchen; demgemäß denkt er sich "die Gestalt" von Hospitälern, hier: des Heilig-Geist-Ordens, als aus Quellen über die Bautätigkeit dieses Ordens erkennbar (Geschichte des Hospitals l, 1966, S. 20) - vgl. dagegen den Sprachgebrauch beispielsweise des Rechtshistorikers Siegfried REICKE (vgl. unten S.123), nachdem die rechtliche Entwicklung der Institution die "Gestalt" des Hospitals ausmache (Das deutsche Spital l, 1932, Titel. S. I. VII).[x]

Vgl. Geschichte des Hospitals l (1S. 10: "... Auf weitere Kanoniker- oder Kanonissenspitäler einzugehen, erübrigt sich; denn ... Auf medizinische und ärztliche Fragen erhält man keine Antwort, obwohl es sich bei all diesen Objekten um teilweise sehr wichtige Wegbereiter großer kommunaler Spitäler und späterer Krankenhäuser gehandelt haben muß"; und ebenda S. 34: "Es wäre verlockend, an weiteren Beispielen das Wachsen solcher bürgerlicher Spitäler zu verfolgen... Da jedoch das bürgerliche Pfründnerhaus nur in seinen schwer faßbaren Anfängen medizinhistorisch wichtig ist, um nach langer Pause erst im 19. Jahrhundert zum Kristallisationspunkt heutiger Krankenhäuser zu werden, sei die Betrachtung hier abgebrochen" sowie weitere ähnliche Begründungen für Stoffbeschränkungen, in denen das medizinhistorische bzw. ärztliche Interesse mit dem Interesse überhaupt gleichgesetzt wird, das irgend jemand an der Geschichte der Hospitäler haben könnte.[x]

Vergleiche zum Beispiel JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte (1073) S. VII: "Die überlieferten Mißstände [des Krankenhauswesens] zu überwinden ..., kann ... nur gelingen, wenn die morschen Institutionsbruchstücke längst vergangener Gesellschaftsordnungen im heutigen Krankenhaus erkennbar gemacht werden"; dazu noch Ders., Geschichte des Hospitals 4 (1980) Umschlags. 4: Die Bände dieses Werks "wollen die Gesetzlichkeiten aufzeigen, nach denen die Behandlungsstätten entstanden"; ferner Ders., Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. VIII: "Man lasse sich durch die zahllosen Namen, Jahreszahlen und Orte nicht irritieren. Sie haben nur sekundäre Bedeutung und dienen der Markierung grunsätzlicher Gesetzlichkeiten, die im Blick auf die Zukunft zu durchdenken sind, obwohl sie von scheinbar [!] längst Vergangenem handeln", - die dieser Zielsetzung zugrundeliegende "Überzeugung von der Nützlichkeit der Medizingeschichte für die Gegenwart" fand Beifall innerhalb der Disziplin, vergleiche die Rezension über "Grundzüge der Hospitalgeschichte" von G. HARIG, in: HTM. Zeitschrift für die Geschichte der Naturwissenschaften, der Technik und der Medizin 12 (1975) S. 120; in der allgemeinhistorischen Literatur (zum Beispiel HZ, DA-Rezensionsteil) wurde davon keine Notiz genommen; umgekehrt verursachte dieser Anspruch heftige Kritik JETTERs an einer Lokalsrudie zu mittelalterlichem Hospitalwesen mit allgeimeinhistorischem Ansatz (W. Haug, Das St.-Katharinen-Hospital der Reichsstadt Esslingen. Geschichte, Organisation und Bedeutung, Esslingen 1965), in: Historia Hospitalium 3 (1967) S. 18 f.: "Das heute so brennende Problem, wie sich aus unseren Hospitälern für ALte und Arme die jetzigen Krankenhäuser, und damit ärztliche Behandlungsstätten bildeten, gerade diese für unsere Gegenwart so grundlegenden Vorgänge des 19. Jahrhunderts, werden überhaupt nicht behandelt ... ist wenig geeignet, die jetzt wirksamen historischen Komponenten unserer gegenwärtigen Situation verständlich zu machen."[x]

Gebührende Beachtung der sozialen Seite stellt JETTER zwar, zum Beispiel Grundzüge der Hospitalgeschichte (1073) S. VIII, in Aussicht: "Hier sollte das Hospital als Institution sich wandelnder Ordnungsprinzipien der Gesellschaft in den Vordergrund gerückt werden" und, inhaltlioch konkretisiert: "Die Geschichte der Hospitäler ist fast immer die Geschichte der Armen gewesen", und dieses Programm zusammen mit der daraus zu erschließenden Nützlichkeit der Medizingeschichte für die Gegenwart gibt Anlaß zur zustimmenden Kritik zum Beispiel HARIGS (siehe Anm. 183), S. 120f.; auch postuliert JETTER, bereits innerhalb der Baugeschichte nicht nur Stile und Formen, sondern zum Beispiel (Geschichte des Hospitals 4, 1980, S. 121) auch "stinkende Krankensäle und gefährliche Abortanlagen" in den Mittelpunkt zu stellen - doch diese Ansätze werden dann nicht entfaltet, bloß die Klassifizierung, Anordnung der einzelnen Gebäude wird nach sozialem Kriterium vorgenommen, nämlich nach der Standeszugehörigkeit der Hospitalgründer und -bauherren (vgl. Geschichte des Hospitals l, 1966, Inhaltsübersicht; Ebda 4, 1980, S. 68f.), neuerdings treten die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit der Gründer an diese Stelle: Geschichte des Hospitals 4, Inhaltsübersicht; die Geschichte keines Hospitals wir"! über die Gründung bzw. Fertigstellung des Gebäudes hinaus weiter verfolgt, die soziale Geschichte ist mit der Einteilung der Bauherren schon ausgeschöpft, also immer noch der Baugeschichte untergeordnet, ihrem Inhalt nach eine Geschichte der Mächtigen (besonders deutlich in: Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. 16-18), weder die Insassen noch das Personal, keiner von denen, die nach der Fertigstellung ein Hospitalgebäude bewohnt haben, hat in dieser "Sozialgeschichte" bei JETTER einen Platz (vgl. Geschichte des Hospitals l, S. 31: "...hier kann nur auf die städtebauliche Auswirkung dieser Entwicklung eingegangen werden" - warum eigentlich?).[x]

Vgl. oben S. 52.[x]

Vgl. die vorläufige Übersicht unten unter Nr. 1.3.2.2, S.7 3-75.[x]

Z.B. charakterisiert er das Ziel seiner Untersuchungen zu den Pilgerhospitälern am Jakobsweg in Spanien (Geschichte des Hospitals 4, 1980, S. 98) so: die Hospitäler eines "Typs", von denen Gründungsjahr und Gründer bekannt sind, zusammenstellen, "um so an Hand einer Denkmalkunde eindeutig fixierte Punkte zu gewinnen und eine Entwicklung zu begreifen, die von politischen und religiösen Kräften bedingt war", aber dies gewissermaßen nur nebenher, um dann noch "durch genaue Formenbeschreibungen zu einer Morphologie, zu einer Lehre von der Baufunktion zu gelangen", sofern es die Architekturquellen ermöglichen; bei der Interpretation des Klosterplans von St. Gallen (vgl. unten S.64-8) ebda. S. 122 formuliert er das ähnliche Ziel noch vorsichtiger: es sei "nötig, eine Topographie, eine Art von Anatomie des Klosters zu vermitteln, die ihrerseits Ausdruck ganz besonderer Funktionsabläufe des Lebens in der Gemeinschaft ist", dies um den Besucher instandzusetzen, "den benediktinischen Formenschematismus und seine morphologisch-topographischen Normvorstellungen hinter den alten Hallen und dem zerfallenen Gemäuer zu erkennen, nur dann wird er Klosterspitäler selbst finden und erkennen können ... um dann schließlich typisch spanische Normen und Gesetzlichkeiten zu finden"; auch an vielen anderen Stellen in Geschichte des Hospitals 4 (1formuliert JETTER die Zielsetzung seiner Darstellung derart in propädeutischem Sinne: S. 103. 131. 136. 139. 140, vgl. bereits Bd. l (1S. 24. 32.[x]

Erträge 

Der vorstehende Überblick über die Entwicklung der medizinhistorischen Forschungstradition hat hauptsächlich ergeben, daß diese Arbeiten, eng mit baugeschichtlichen Studien verbunden, sich vor allem auf die Frage konzentriert haben, inwieweit die mittelalterlichen Hospitäler bereits "Krankenhäuser" waren, inwieweit noch nicht -"Krankenhaus" als das für die ärztliche, wissenschaftlichmedizinische Praxis bestimmte Gebäude verstanden, das es wurde, während diese Forschungstradition entstand. Die Antwort, die sie, recht einhellig, erarbeitet hat, ist am besten in einer Folge von Negationen zusammengefaßt:

Hospitalgbäude - Krankenhausgebäude 

Die Gebäude der mittelalterlichen Hospitäler waren nach ganz anderen Prämissen angelegt als die Gebäude der modernen Krankenhäuser.

Daß dem Begriff "mittelalterliches Hospital" ein ganz spezifischer Gebäude-"Typ" entspreche, hat zuerst DUNAJ ausführlich darzulegen versucht. Seine These, daß in dem ausgegrabenen Hospital (xenodochium) von Porto bei Rom, erbaut 398 in Form rund um das Atrium einer Kirche angeordneter und durch Gänge verbundener Räume, das Urbild nicht allein der mittelalterlichen "Hospitalidee", sondern sogar auch des Klosterbaus vorliege, erschien jedoch zu spärlich belegbar und wird nicht mehr aufrechterhalten Die neueren Forscher äußern sich nur sehr vorsichtig über antike Vorbilder mittelalterlicher Hospitalgebäude und eine eventuelle Kontinuität von jenen zu diesen Nur hinsichtlich bestimmter Funktionen, kaum was die Bauformen angeht, führt man die Vorgeschichte des Hospitals bis zur altindischen "vitara"; den "Iatreien", griechischen und römischen Arzthäusern; den Herbergen bei Tempeln des Gottes Asklepios/Aesculapius; den Valetudinarien auf romischen Landgütern und in römischen Legionslagern zurück: die einzige bauliche Gemeinsamkeit, die manche Exemplare von diesen mit den früheren Hospitälern des Mittelalters verbindet, ist die Anordnung der Bauten um einen rechteckigen Innenhof herum.

Das früheste Exemplar eines eigentümlichen Bautyps "Mittelalterliches Hospital" erkennt die medizin-und krankenhausbaugeschichtliche Forschung in dem kurz nach dem Aachener Capitulare monasticum von 817 an zentralem Ort im Karolingerreich entstandenen Idealplan für Klosteranlagen, der durch eine ziemlich gleichzeitig auf der Reichenau unter Abt Haito angefertigte Kopie überliefert ist, die mit Begleitschreiben an Abt Gozbert von St. Gallen adressiert war Als rein idealer, nirgends verwirklichter und auf lokale Bedingungen auch gar nicht erst Rücksicht nehmender Plan eignet sich dieses Stück tatsächlich wie kein anderes, wenn ein Bau-"Typ" quellenmäßig belegt werden soll Immerhin gelingt das nur um den Preis, daß seine ganz speziellen Entstehungszusammenhänge weniger beachtet werden Zwar in der Atmosphäre der Klosterreformen Benedikts von Aniane und der Aachener Reformsynode von 817 angefertigt, gehörten seine Urheber doch eher in den konservativen als in den radikaleren Kreisen um Benedikt von Aniane Indessen hätte das Veranschlagen dieses Entstehungsumstands den Quellenwert des Plans für das tatsächliche Klosterwesen in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts doch auch nur gestärkt

Drei von den Gebäuden oder Gebäudegruppen auf diesem sogenannten Klosterplan von St. Gallen gehören in den Zusammenhang der Hospitalgeschichte: Das Infirmarium für die Mönche links vom Chor der Kirche wegen seiner krankenhausartigen Funktion - das Hospitale pauperum und das Hospicium für die zu Pferde Ankommenden rechts bzw. links vom Kirchenportal, vom medizinhistorischen Interesse her beurteilt, kaum wegen mehr als ihrem Namen, denn diese Räume waren eigentlich Herbergen, in denen nur in besonderen Fällen medizinische Hilfe geleistet worden sein mag Die scharfe Trennung der drei Einrichtungen ist allerdings auch in Frage gestellt worden

Obwohl Hospitale pauperum und Hospicium die der außenwohnenden Gesellschaft offenstehenden Elemente dieses Klosterhospitalwesens waren, das Infirmarium dagegen am weitesten vom Portal entfernt und von der Außenwelt am stärksten abgeschirmt war, wurde gerade letzteres im Laufe der folgenden 4 Jahrhunderte immer größer und prächtiger gebaut, was den Herbergen, zum Vergleich, kaum widerfuhr Wenn die Größe der "Krankenhäuser" in dieser Zeit ein Ansteigen eines Bedarfs und darin etwa auch eine Zunahme der Bevölkerung abbilden sollte, dann müßte es allein die Vergrößerung der Klostergemeinschaften sein, nicht die der umwohnenden Bevölkerung. Es sei denn, Mönchsinfirmarium und Armenherberge wären in der Tat, auch bei größeren Klöstern, nicht so scharf getrennt gewesen.

Auf dem Plan "von St. Gallen" und in der ersten Zeit der Entwicklung zur großen Hospitalhalle hin hatte das Infirmarium die Form eines Klosters im kleinen: drei langgestreckte Gebäude und eine spezielle Infirmariumskirche schließen einen quadratischen Hof mit Kreuzgang ein Das ist das "Resultat" der frühchristlichen Baugeschichte der Hospitäler, von ihren eventuellen antiken Vorbildern her und über die erstmalige deutliche Ausprägung im "xenodochium" von Porto bei Rom (erbaut 398) CRAEMER hat zur Erklärung der konstanten klosterartigen Bauform darauf verwiesen, daß die Hospitalinsassen seit frühester christlicher Zeit nach gewissen Regeln lebten, die sie zum Leben in Klausur verpflichteten Je größer nun die eine Hospitalhalle im 11., 12., 13. Jahrhundert gebaut wurde, desto weiter sanken die drei anderen Flügel des Klausurquadrats zu bloßen Nebengebäuden herab, soweit sie nicht ganz fortfielen Erst als der Platzbedarf in den folgenden Jahrhunderten mancherorts noch zunahm, wurden an die eine Halle wieder Quer- und Parallelflügel angebaut, und wo das nicht, wie gewöhnlich, unregelmäßig geschah, wo etwa gar humanistische Ideale hinzutraten, konnten gegen das Ende des Mittelalters zu wieder von vier Flügeln umbaute Höfe entstehen Kann man bestimmen, welcher von den vier Flügeln der alten quadratischen Infirmariumsan-lage es war, dessen Größe die ändern drei überholte und verdrängte? Die "klassische Hospitalhalle" mit ihrem Altar an der Spitze und ihren anderen Formelementen legt nahe anzunehmen, daß sie aus der alten Infirmariums-Kirche entstanden sei; manche Hospitalhallen verursachten in späteren Zeiten geradezu Verwechslungen mit Kirchen, die "Verbindung von Bett und Altar" (JETTER) ist das bevorzugte Thema für die Krankenhausgeschichtsforschung über das Mittelalter

Die "klassische Hospitalhalle" aber ist noch häufiger in den Städten als in Klöstern bekannt Wie konnten Hospitalbauherren in den Städten auf den Gedanken kommen, eine rein klosterinterne Einrichtung wie das Mönchsinfirmarium in die Stadt zu versetzen? Die Erklärung, in einer Klosteranlage des früheren Mittelalters sei die Stadt des hohen Mittelalters mit all ihren verschiedenen Funktionen und Gebäuden bereits vorgebildet gewesen (CRAEMER), erscheint mir zu allgemein, und andere Erklärungen finde ich in der medizin- und baugeschichtlichen Forschung nicht. Wo bei den Bjschofssitzen infolge des den Kanonikern,wiederum im Zusammenhang der Reformen unter Ludwig dem Frommen,vorgeschriebenen gemeinsamen Lebens Hospicien und Hospitalia pauperum von früher her vorhanden waren, wurden sie oft unter dem Einfluß einer mündig werdenden Bürgerschaft im 12./13. Jahrhundert aus dem Stiftsbezirk heraus, gern an einen Fluß verlegt, doch sind diese Gebäude weder einander noch den "klassischen Hospitalhallen" ähnlich genug, als daß man die Entstehung der letzteren aus jenen erklären könnte - Mir scheint, eine Erklärung kann wie bei der frühchristlichen Epoche an Hand der Lebensregel- der Hospitalbewohner gewonnen werden: In den klassischen Hallenbauten lebten die im 12./13. Jahrhundert sich zusammenfindenden, zunächst "wilden", dann mehr und mehr regulierten Konvente, von denen bereits im Kapitel 1.2 zu reden war Regeln, die sie annahmen, sind, wie im einzelnen noch gezeigt werden müßte, mit denjenigen von Hospitaliter-Orden verwandt, die ihrerseits seit dem späten 11. Jahrhundert aus Gruppen von Konversen erwachsen waren, welchen einzelne große Klöster die Pflegearbeit in ihren Infirmarien und Hospitalia pauperum übertragen hatten Wenn aus Verwandtschaft der Regeln auf eine gewisse Kommunikation zwischen Gruppen geschlossen werden kann, hätte die Verbundenheit zwischen den ehemaligen Infirmarien-Pflegern und den neuen Stadthospital-Konventen die große Halle aus dem innersten Klosterbezirk in die Städte gebracht.

Der nächste entscheidendere Schritt in der Geschichte des mittelalterlichen Hospitalbaus baute bereits darauf auf, daß die Hospitäler in den Städten selbstverständliche Anstalten zum Nutzen der Stadtbürgerschaft waren - ein Vorgang, mit dem sich rechtsgeschichtliche Untersuchungen besonders eindringlich beschäftigt haben

Die ältesten zweigeschossigen Hospitalgebäude sind noch immer wenig erklärt, aber im 13. Jahrhundert scheint vielerorts ein oberes Geschoß den Brüdern und Schwestern des Hospitalkonvents, der die hilfsbedürftigen Bewohner des unteren Saals pflegte, zu Wohnungen gedient zu haben

Aufs neue erklärt sich die Baugeschichte erst durch Herbeiziehung sozialgeschichtlicher Erkenntnisse:

Wer in einen Hospitalkonvent trat, mußte diesem sein Eigentum übergeben, von da ab sorgte das Haus für ihn "victu vestituque". Bei steigendem Reichtum vieler Hospitäler mag ein solcher Handel für manchen Bürger, der auf eine gesicherte Versorgung sann, lohnend gewirkt haben; jedenfalls fanden kirchliche Obrigkeiten seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts Anlaß, der Zahl der Brüder und Schwestern in den Hospitälern Grenzen nach oben hin zu setzen Der Drang von Pfründnern - denn nichts anderes waren diese,die Bischöfe überflüssig dünkenden Konventualen - ließ sich im großen Ganzen nicht durch Verbote aufhalten Die Pfründnerhäuser des späteren Mittelalters mit ihren Einzelwohnungen im Obergeschoß und der gemeinsamen Stube für die Armen im unteren Stockwerk verbreiteten sich überall in den Städten

Ein merkwürdiges Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert scheint die ganze Hospitalbaugeschichte des Mittelalters kurz vor ihrem Ende zusammenfassen zu wollen: Im Hospital von Cues an der Mosel, des Nicolaus Cusanus eigene Stiftung, gibt es einen quadratischen Hof und vier Flügel. Unten wohnen die Armen in einem gemeinsamen Raum, oben ist ein Geschoß mit Einzelkammern für Standespersonen. Doch die Kirche hat keinen Platz in diesen vier Flügeln mehr, sie schließt sich von einer Ecke aus nach außen an Die "Verbindung von Bett und Altar" erkannte das 15. Jahrhundert nicht mehr als Grundgesetz des Hospitalbaus an

In der nachreformatorischen Zeit beginnt in den Ländern sämtlicher Konfessionen eine neue Epoche der Baugeschichte von Hospitälern, die sich fortan am Palastbau statt am Sakralbau orientiert und nur einzelne mittelalterliche Traditionen (vor allem solche im Italien des Humanismus) übernommen hat

DUNAJ S. 9 und S. 9-13 sowie Grundriß Nr. 3; dieselbe These auch noch bei CRAEMER, Hospital als Bautyp (1S. llf., vgl. dazu oben S. 52, Anm. 168.[x]

Zuletzt bestritten von LEISTIKOW, Hospitalbauten in Europa aus zehn Jahrhunderten, S. 10f.; von JETTER nicht mehr erwähnt.[x]

LEISTIKOW S. 10; JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. l.[x]

Altindische Hospitäler wurden in der europäischen Medizingeschichtsschreibung zu einem sehr frühen Zeitpunkt bekannt: eine singhale-sische Quelle wurde 1837 auf englisch publiziert, eine aus Kaschmir 1846 (im l. Jg. der Zs. "Janus"), eine dritte Quelle, Inschriften, 1883, schließlich existieren chinesische Reiseberichte über uralte Hospitäler in Indien; VIRCHOW, Ueber Hospitäler und Lazarette,S. 6-7.30, hielt Einflüsse aus Indien über die nestorianische Ärzteschule in Persien auf das christliche Krankenhauswesen für möglich, dass. vorsichtiger: DUNAJ S. 4 u.MARCUSE SJ; CRAEMER erwähnt die Frage nicht; SUDHOFF S. 3 hält Einflüsse, gleich in welcher Richtung, für ausgeschlossen, JETTER kann östlichen Einfluß in dem speziellen Fall eines westgotischen Xeno-dochiums widerlegen (Geschichte des Hospitals 4 (1S. 23); mit der Frage, ob "Der ältere Glaube der Inder .. die ersten Bauten der Barmherzigkeit gezeitigt" habe (DUNAJ S. 3) war für die ältere Forschung offenbar eine Entscheidung für oder gegen das Christentum als Schöpfer des Krankenhauswesens verbunden, merkwürdigerweise fühlt sich noch JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. 3, veranlaßt, aus diesem Grunde gegen die Untersuchung altindischer Hospitäler zu polemisieren CRAEMER, Das Hospital als Bautyp, S. 9, vergleicht die aus Kaschmir belegte "vitara" mit dem Hospital/Kloster Europas, denn beides könne die ' indische Bezeichnung bedeuten und mit beidem habe sie die Anlage um einen quadratischen Innenhof gemeinsam.[x]

MEYER-STEINEG S. 6-20 behandelt diese Arzthäuser am eingehendsten: wo im gewöhnlichen Haus der Laden, lag hier das Behandlungszimmer; wo gewöhnlich geräumige Gastwohnungen um den Innenhof sich befanden (Vitruv. de arch. 6,7(10), hatten Ärzte ihre Krankensäle, d-ie nach Italien übersiedelnden behielten es so bei, und in Pompeji ist ein "Haus des Chrirurgen" ausgegraben (ebda. S. 30f.); ähnlich MAR-CUSE S. 239, gegen HAESER S. 3f; nicht behandelt von CRAEMER, LEISTIKOW und JETTER.[x]

in die Vorgeschichte der Krankenhäuser kaum einbezogen bei HAESER S..; LÜCKE S. 24; DIETRICH S. 2; DUNAJ S. 5; LEISTIKOW S. 10; ausführli-Lich MARCUSE S.240-3.251(gegen HAESER) und MEYER-STEINEG S.20-9, der e. Wallfahrtsort-Typ von einem Kuranstalt-Typ trennt; auf Anknüpfung östlicher christlicher Wunderheilstätten an griechische Tempelheilungen weist SUDHOFF,- S. 4-5, hin; JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte S. 1-3, faßt zusammen und beurteilt die Asklepieien, wenn nicht als ärztliche Anstalten i.e.S., so doch als Stätten mit starker Tradition medizinischen Erfahrungs wissens innerhalb der Priesterschaft; er scheint zusätzlich eine gewisse bauliche Ähnlichkeit des Tempels von Troizen (nach 400 v.Chr.) mit christlichen Klausuranlagen etc. anzudeuten (ebda. S. 2); Regionalstudie über Spanien: JETTER, Geschichte des Hospitals 4 (1S. 11-15 - CRAEMERs Abschnitt über vorchristliche Hospitäler,in: Das Hospital als Bautyp .. S. 9, bleibt zu oberflächlich und unklar.[x]

Sie sind nicht archäologisch, aber aus Columella, De re rustica lib. 9,1,18. 12,3,8, sowie Codex lustinianus 4,4,4,2. 6,6,1,3 bekannt, wo sie als Rehabilitationsanstalten für arbeitsunfähig gewordene Sklaven erscheinen, von Columella als ökonomisch rentabel empfohlen (MARCUSE S. 251f.; DIETRICH S. 3; JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte S. 4); MEYER-STEINEG behandelt sie S. 31-33 am eingehendsten und nimmt an, daß sie nicht nur Sklaven, sondern auch dem Landbesitzer, seiner Familie und seinen Gästen als Krankenhaus dienten (ebda. S. 33).[x]

Römische Militärlazarette, ebenfalls "valetudinaria" genannt, sind außer durch den Militärschriftsteller Hyginus (ca.96-138), De munitione castrorum, durch Ausgrabungen z.B. in Aliso bei Haltern, Vetera/Xanten, Bonna/Bonn, Vindonissa bei Baden (Schweiz), Carnuntum bei Wien usw. bekannt; indem sie aus einem im Rechteck verlaufenden Mittelgang mit Einzelzimmern rechts und links daran, sowie einem freien Rechteckhof in der Mitte bestanden, findet JETTER, Geschichte des Hospitals l (1S. 2, auch bei diesen Vorformen von Krankenhäusern bereits ein Element des späteren Bautyps; anders LEISTIKOW S. 10; vgl. sonst MARCUSE S. 252 und DIETRICH S. 2f.; LÜCKE S. 22 erwähnt sie nur.[x]

Bernhard BISCHOFP, Die Entstehung des Klosterplans aus paläographischer Sicht, in: DUFT, Johannes (Hg.). Studien zum St. Galler Klosterplan (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte-Hg.v. Historischen Verein des Kantons St. Gallen, 42, St. Gallen 1S. 67-78, insbsd. S. 73: die beiden Hände gehören einem Reichenauer Anonymus und dem dortigen Schulleiter Reginbert; Walter HÖRN, The Plan of St. Gall - Original or Copy, ebda. S. 79-102: Das vorliegende Exemplar ist als Pause hergestellt.[x]

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod.Sang.l092.[x]

Von der älteren medizinhistorischen Literatur noch nicht beachtet, zuerst von DUNAJ (1S. 15-17 und SUDHOFF (1S. 17-23 mit großer Abbildung in den Blickpunkt gerückt; bei BAAS (1922). S.11 in den Zusammenhang gleichzeitiger monastischer Texte einbezogen; von CRAEMER zunächst (Das Hospital im Mittelalter, 1954, S. nur beiläufig erwähnt, dann aber (Das Hospital als Bautyp, 1auf dem Umschlag und S. 14 groß abgebildet und an Anfang der "Typenbildung des mittelalterlichen Hospitals" gestellt; in dieser Position dann auch bei JETTER, Geschichte des Hospitals l (1S. 11-13 (nach SUDHOFF!); LEISTIKOW (1S. 13-15 (nach einer Arbeit W. HORNs, vgl. Anm. 196, von 1965); JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte (1S. 9-11 (nach DUFT, wie Anm. 196,1und JETTER, Geschichte des Hospitals 4 (1S. 122-125.[x]

In der medizinhistorischen Literatur wird demgemäß öfter dem nie realisierten Idealplan geradezu der höchste Quellenwert für die tatsächlichen Klosterhospitäler des Mittelalters beigelegt: z.B. von DUNAJ S. 15, der ihn "vollkommenster Niederschlag der in der Benediktinerregel enthaltenen Baugedanken" nennt und Hospi-tal-"Gedanke" als eigentliches Thema seiner Arbeit hat; von SUDHOFF S. 22, der schließt: "So also sah in Karolingerzeiten ein Klosterinfirmarium der Benediktiner aus, .."; BAAS, dem der Idealcharakter überhaupt entgeht; CRAEMER, Das Hospital als Bautyp .. (1S. 13, der weiter geht als die Früheren und behauptet: "So ist auch das mittelalterliche Hospital in der St. Gallener Infirmaria im Urtyp enthalten", auch er, ohne den Plan als "Sandkastenspiel theoretisierender Äbte" zu begreifen, wie es JETTER, Geschichte des Hospitals 4 (1S. 125, ausdrückt, der andererseits selbst ohne Bedenken den Plan zu dem Modell erhebt, anhand dessen Klosterhospitäler generell zu erklären wären, selbst wenn er dann zugeben muß, daß nicht nur "in der Literatur" (Geschichte des Hospitals l, 1966, S. 12), sondern auch in der Realität "an den Klostergebäuden in Deutschland immer wieder das Haus der erkrankten Mönche mit dem Hospital für Pilger oder selbst mit dem Gästehaus verwechselt werden können" (ebda. S. 11); auch LEISTIKOW gibt dem St. Galler Plan den Platz an der Spitze der mittelalterlichen Hospital-Baugeschichte, sein "Schema.. in allen entscheidenden Punkten vorgezeichnet, wurde für die mittelalterlichen Mönchsklöster verbindlich. "[x]

Ein Charaktenstikum der Krankenhausgeschichtsforschung, und am meisten der neueren, ist, daß sie nur äußerst spärlich den Sinn der Grundrißzeichnungen, ihrer dominierenden Quellen, durch sprachliche Zeugnisse zu erhellen versucht (Martin WARNKE, Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen, Frankfurt (Main) 1979, setzt sich mit einem gleichen Manko in der Architekturgeschichtsschreibung generell auseinander); so werden auch bei Behandlung des sog. Plans von St. Gallen immer wieder, oft aus zweiter und dritter Hand, bloß karge Hinweise auf die Quellen gegeben, die Vorstellungen, aus denen heraus er gezeichnet worden ist, direkter angeben: vgl. GOLDHAHN, Mittelalterliche Krankenhäuser, S. 392 und CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 13 mit ganz unklaren Angaben über die Benediktinerregel und das Aachener Konzil 816 als Einleitung zur Bauplandiskussion; ausführlicher war immerhin noch DUNAJ, S. 13-15 gewesen, der auch auf Stellen der Regeil des Amalanus und des Isidor Hisp. hinweisen konnte, freilich nur in Ausgaben aus dem 18. Jh. oder Zitaten in der Sekundärliteratur (RATZINGER), auch SUDHOFF behandelte immerhin die Benediktinerregel noch etwas breiter (S. 16f.); LEISTIKOW, S. 17, verweist immerhin auf die Beziehungen des Klosterplans zum Kommentar Hildemars zur Benediktinerregel (nach einer Arbeit in dem Anm. 196 zit. Sammelwerk von DUFT); JETTER widmet den umgebenden Texten erst neuerdings (Geschichte des Hospitals 4, 1980, S. 119f.) eine gewisse Aufmerksam-Keit, doch ohne sie direkt mit dem Plan zusammenzubringen.[x]

Daß der Plan mit den gegenüber 816 gemilderten Vorschriften des Capitulare monasticum von 817 am ehesten übereinstimme, zeigt W. HÖRN, On tbe Author of the Plan of St. Gall and the Relation of the Plan to the Monasti-f Reform Movement, , , - _, 1,4-1 _ in: DUFT, wie Anm. 196 . S.108-23 auf die gleichwohl offensichtlichen Unstimmigkeiten sowie die Nähe zu konservativen Positionen wie etwa denen Adalhards von Corbie, Haitos von Reichenau macht Wolfgang H. FRITZE,in: HZ 200 (1S. 108f., aufmerksam.[x]

".. wohl gesagt werden kann, daß der Plan eine grundstürzende Neuerung nicht enthält, weder als Ganzes noch in seinen Teilen, daß er vielmehr in seinen Grundzügen anknüpft an einen im Abendlande seit der Mitte des 7. Jahrhunderts für fränkische Klöster nachweisbaren Klostertypus,.." (W.H. FRITZE, wie Anm.202 .3.109).[x]

JETTER, Geschichte des Hospitals l (1S. 12 rechnet freilich damit, daß die hier einkehrenden armen Pilger "oft krank" waren und es deswegen erlaubt sei, das Hospitale pauperum als "eine Art Armenkrankenhaus" zu betrachten.[x]

Vgl. JETTER, Geschichte des Hospitals l (1S. 12. 4 (1S. 122 u.ö.[x]

"Bei kleineren Klöstern waren übrigens alle drei Arten in einem Gebäude vereinigt, das dann hospitale hieß, aber mit einem Krankenhaus im heutigen Sinne nicht verwechselt werden darf" (DUNAJ S. 14 ohne nähere Erläuterung, auch nicht dazu, ob etwa kranke Mönche im selben Gebäude zusammen mit kranken Passanten untergebracht werden konnten? Vom Kloster Bebenhausen gibt DUNAJ S. 23 an, dort sei tatsächlich die Domus hospitum im Obergeschoß der Infirmaria gewesen, um 1180).[x]

LEISTIKOW S. 18-23, der als hervorragende Beispiele anführt: Foun-tains Abbey von 1132 mit 55 25 m; Cluny m von der Mitte des 12.Jh. mit 55 27,5 m; Canterbury aus der 2. Hälfte des 12.Jh. mit 75 21 m; Ourscamp von 1210 ohne Flächenangabe, aber: Platz für 100 Betten; Eberbach (Rheingau) um 1220 mit 38,5 16 m.[x]

Über die Armenpflege im Kloster Farfa im Lichte der "Disciplina Farfensis" DUNAJ S. 18f., wo S. 23-28 Weiteres über Herbergen.[x]

LEISTIKOW S. 18f. bemerkt dazu noch, daß die Klosterinfirmarien in England wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Klausur "little cloister" genannt werden. Zisterzienserklöster umfaßten zusätzlich zu den genannten drei Elementen eine eigene Infirmerie für die Konversen (LEISTIKOW S. 20).[x]

LEISTIKOW S. 14; CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 13. 15; vgl. bereits DUNAJ S. 21: ".. verursachten die gleichen Lebensbedingungen der beiden Orden gleiche Anlagen" (gemeint: Benediktiner und Zisterzienser) .[x]

CRAEMER, Das Hospital als Bautyp, S. 11. 98, Nr. 3.[x]

LEISTIKOW S. 18f., der insbsd. Canterbury, Westminster mit Ely, Norwich vergleicht.[x]

CRAEMER, Das Hospital als Bautyp.., S. 98, Nr. 5; vgl. das Beispielmaterial u.a. bei LEISTIKOW S. 51-55.[x]

CRAEMER, Das Hospital als Bautyp.., S. 17. 97; u-a-[x]

CRAEMER, Das Hospital als Bautyp.., S. 97: "Dem Hospital des Mittelalters liegt primär die Bauidee zugrunde, einen oder mehrere Unterkunftsräume für die Spitalinsassen in eine möglichst enge Verbindung mit einer Kapelle zu bringen" u.pass.; LEISTIKOW S.25: "..wurde der freie Blick zum Altar verlangt. Diese Forderung erscheint, jenseits aller praktischen Bedürfnisse, als das eigentliche Anliegen des mittelalterlichen Hospitalbaue=>, als der geistigreligiöse Sinngehalt dieser Architektur"; JETTER, Geschichte des Hospitals l (1S. 27: "..die uralte optisch-akustische Verbindung von Bett und Altar", ähnlich S. 30. 31. 32 (Fehlen derselben nach der Reformation). 37 (über Cues, vgl. hier unten S. ).[x]

LEISTIKOW S. 52 (?).[x]

CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 13.[x]

Vgl. neben anderen bsd. JETTER, Grundzüge, S. 14f.[x]

Auch was CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 15-17 dazu sagt, reicht nicht hin.[x]

Siehe oben S. 16-18.[x]

Hierüber findet man wenig in den Arbeiten aus der medizinhistorischen Forschungstradition; es muß auf die aus der kirchengeschichtlichen verwiesen werden, und zwar neben den "klassischen" Gesamtdarstellungen auf die neueren Untersuchungen von HIESTAND über die Johanniter, von ARNOLD über den Deutschen Orden undon MISCHLEWSKI über die Antoniter, in deren Geschichte der Übergang vom im Klosterhospital dienenden Konversenverband zum selbständigen Orden besonders augenscheinlich ist (die Titel der Arbeiten siehe unten S. 79 , Anm. 246).[x]

Vgl. unten Kap. 1.5, S. 1??-125.[x]

Zu dem zweigeschossigen Johanniterhospital von Niederweisel (b. Butzbach, Hessen), erbaut 1242,'45 od. ' 58, das CRAEMER, Hospital als Bautyp, S. 36-38 interpretiert und JETTER, Geschichte des Hospitals l, S. 18 wieder in Frage stellt, ist jetzt eine Dissertation zu vgl., die Bauten dieser Art insgesamt behandelt: Eberhard GRUMSKY, Doppelgeschossige Johanniterkirchen und verwandte Bauten. Studien zur Typengeschichte mittelalterlicher Hospitalarchitektur, Diss.phil. Tübingen 1969 (gedr.1970), ordnet sich durch Benützung der Werke von CRAEMER (v.a. in der allgemeinen Einleitung) und JETTER der medizin-baugeschichtlichen Tradition ein, ist aber hinsichtlich der Materialgrundlage und auch der Methodik ganz und gar unabhängig davon; ein anderes wichtiges und noch aufrechtstehendes zweigeschossiges Hospital ist das Heilig-Geist-Hospital zu Mainz, das CRAEMER, wie oben, als Vorbild des Nie-derweiseler versteht, JETTER, Geschichte des Hospitals l, S. 22f. aber als die "Sphinx unter den deutschen Hospitälern" hinstellt, es ist nach CRAEMER 1236, nach JETTER 1252 gebaut worden ..[x]

LEISTIKOW S. 52f.[x]

Vorläufig verweise ich auf den unten.Kap. 2.2.4,edierten Text aus Brügge, Gent, Lübeck, leper usw. unter Punkt m., Zeile 8 (1196 mit G zuerst sicher belegt) - eine systematische Untersuchung der Hospitalregeln in ihren Beziehungen miteinander würde Bestimmteres ergeben; vgl. sonst v.a. REICKE, wie unten S.123, Bd. 2, Abschnitt 3, § 22, S. 187-224.[x]

Wie mit Anm. 224 verweise ich vorläufig nur auf den unten edierten Text, aus dem hierzu die Var. leper (le) unter Punkt TU., vor Z. 6-7 zu vgl. ist (1268); über die nordfranzösischen Regionalkonzilien, 1212-1214, von denen die bischöflichen Bestrebungen ausgingen, u.a. einen "numerus clausus" für Hospitalkonvente einzuführen, vgl. die oben Anm. 47 zit. Arbeit von BOMENFANT-FEYTMANS; vgl. noch den Kommentar von NUTTING-DOCK-KARLL l, S.316, zitiert hier oben S. 12, Anm. 30.[x]

Ein Anzeichen davon unter vielen ist die Tatsache, daß von den unten edierten Texten von Hospitalregeln, obwohl eine ganze Reihe nach 1212-1214 entstanden ist, nur die Version aus leper eine entsprechende Bestimmung aufgenommen hat (vgl. Anm. 225).[x]

LEISTIKOW S. 51-56.[x]

LEISTIKOW S. 56; ähnlich ist auch das Hospital zu Beaune angelegt, gegründet 1443 und heute das wohl touristisch bedeutsamste der aus dem Mittelalter erhalten gebliebenen Hospitalgebäude (Ebda. S. 30).[x]

LEISTIKOW S. 53; JETTER, Geschichte des Hospitals l, S. 36f. hat wegen der nicht seinen Normvorstellungen entsprechenden Bauart und Regel des Hospitals den Stifter sogar in Verdacht gebracht, er habe vielleicht "unter dem Deckmantel der Hospitalstiftung eine Pflegestätte der bedenklichen Gedanken von Deventer im heimatlichen Cues schaffen wollen," also der Gedanken der Windesheimer Kongregation - JETTER verläßt ab und zu den gegenüber Konfessionsfragen betont neutralen Boden der medizingeschichtlichen Forschungstradition zu solchen Einwanden.[x]

LEISTIKOW S. 61ff.[x]

Vgl.unten S. 110.[x]

«medici» in Hospitälern - Krankenhäuser unter ärztlicher Leitung (Skizze) 

Arzte in mittelalterlichen Hospitälern sind nur in Ausnahmefällen nachweisbar; doch stellen die Quellen selbst sie nicht als Seltenheiten dar; die Frage ist noch wenig geklärt.

Über die Hospital-Gebäude hat die medizinhistorische Forschung übersichtliche Darstellungen vorgelegt; über die Mediziner selbst, die etwa darin tätig gewesen sein könnten, findet man kaum Auskunft bei den Medizinhistorikern, eher bei gewissen Kirchenhistorikern. Vielleicht hat die Seltenheit brauchbarer Quellenstellen die Medizinhistoriker entmutigt, der Sache nachzugehen.

Es gab jedenfalls Ärzte in mehreren der berühmten Hospitäler der Spätantike und in Byzanz: nämlich in der von Basi-lius von Caesarea im 4. Jahrhundert angelegten Hospital-Stadt vor Caesarea, in dem Hospital in der spanischen Stadt Merida dem Gründungsbericht zufolge (gegr. nach 589) und im Hospital des Pantokrator-Kiosters zu Konstantinopel nach dem "Typikon" von 1136.

Im eigentlichen lateinischen Mittelalter sind es zuerst gerade Quellen von gewissermaßen allgemeiner, nicht nur auf einen einzigen Ort begrenzter Relevanz, in denen die Belege für Hospitalärzte vorkommen, nämlich die Formel "De concedendo xenodochio" im Liber diurnus Nr.66f.(9.Jh.A.) und die sog. Statuten Roger de Molins'(1182) für das Johanniterhospital zu Jerusalem, dem eine Vorbildfunktion für weite Teile des späteren europäischen Hospitalwesens zukam; für diese Angabe der Statuten hat man auch noch die ausdrückliche päpstliche Bestätigung in einer Urkunde von 1184 oder 1185. Der Deutsche Orden übernahm in Palästina die Regelung über Spitalärzte (Regel cap. 6; Gesetze 3, cap. 8). Nach Europa ist sie jedoch nicht verpflanzt worden, so sehr auch viele Hospitäler dort sich nach der Johanniterregel orientierten.

Einzelbelege setzen erst mit dem 13.-14. Jahrhundert merkbar ein, "Reginolt medicus presbyter" im Krankenhaus am Domstift zu Eichstätt 1057-1Q74 steht noch allein zu seiner Zeit. 1221 in Paris und 1280 in Brüssel wurden Chirurgen in die Hospitäler bestellt. Im 14. Jahrhundert hatten mindestens drei französische Hospitäler sowie das von Biberach (Riß) einen festen Arzt. Im übrigen beauftragten Städte ihre Stadtphysici, die Hospitalinsassen zu betreuen, z.B. Frankfurt (Main) 1377. 1486 widmete ein Nürnberger Bürger dem dortigen Heilig-Geist-Spital ein Stiftungskapital, aus dessen Zinsen ein eigener Spitalarzt bezahlt werden sollte.

Inwieweit man aus derartigen Einzelbelegen eine vollständige Landkarte rekonstruieren kann, bleibt zweifelhaft; daß Ärzte in gewöhnlichen mittelalterlichen Hospitälern eine dominierende Rolle spielten, wie das zum Begriff des modernen "Krankenhauses" gehört, wird kaum zu erschließen sein; daß aber deswegen ganz verworfen werden müßte, daß das mittelalterliche Hospitalwesen etwas mit Heilung Kranker zu tun gehabt hätte, scheint mir auch überzogen: in dem Maße, in dem es in einer Gegend überhaupt Ärzte gab, standen sie jedenfalls in "Rufbereitschaft" für den Fall, daß man sie in einem Hospital brauchte. Und daß es zumindest auch Kranke in Hospitälern gab, die dort nur gesund werden wollten und dann wieder zogen, könnte man ebenso mittels Sichtung der bisherigen Forschungsergebnisse und einschlägigen Texteditionen wahrscheinlich machen.

Zusammenfassung 

Bei den medizingeschichtlichen Forschungsbeiträgen ist gut zu bemerken, wie eine anfänglich noch nicht so enge Fragestellung im Laufe der Verfestigung der Forschungstradition immer präziser wird und die Perspektive immer mehr einengt.

Der baugeschichtliche Aspekt ist auf diese Weise gründlich bearbeitet worden, auch wenn bei Berücksichtigung anderer Quellen und weniger gegenwartszentrierter Fragestellungen vielleicht noch mehr zu erreichen wäre.

Die eigentliche medizingeschichtliche Fragestellung, nach Art und Ausmaß der Therapie in den Hospitälern des Mittelalters, ist leider nur wenig untersucht. Trotz der schwierigen Quellenlage müßte durch geschickte Kombination des Bekannten noch sicherere Kenntnis erarbeitet werden.

Kirchengeschichte Darstellungen aus kirchengeschichtlichen Perspektiven

Eingrenzung 

Als eine dritte Gruppe von Darstellungen der allgemeinen Geschichte des Hospitalwesens lassen sich sehr gut diejenigen miteinander vergleichen, die von Theologen und Kirchenhistorikern verfaßt sind. Andere stammen zwar nicht von Autoren dieser Profession, ihre Verfasser teilen aber deren Gesichtspunkte und Darstellungsweisen bis zu dem Maße, daß man sie am einfachsten hier miteinbezieht. Besonders in der französischen und italienischen Forschung würde freilich eine solche großzügige Umgrenzung dahin führen, daß fast alle Literatur über mittelalterliches Hospitalwesen aus diesen Ländern unter die Rubrik "Kirchengeschichte geriete, so daß die Einteilung nach Fächern sinnlos würde; da ich hier die deutsche Forschungsgeschichte in den Vordergrund gestellt habe, finde ich eine solche Rubrizierung trotzdem vertretbar und stelle vorerst ciese Arbeiten aus den lateinischen Ländern, die ich ohnehin vorläufig nur summarisch aufzählen kann, unter einem eigenen Punkt für sich zusammen. Eine wichtige Eigenart der deutschen Forschungsentwicklung wäre damit bereits angedeutet: in ihr sind die Unterschiede je nachdem, zu welchem Fach sich ein Forscher gerechnet hat, viel deutlicher, besonders zwischen kirchlich und nicht kirchlich orientierten Autoren.

Welche Gesichtspunkte und Auffassungen nun so kennzeichnend für diese Darstellungen der Hospitalgeschichte sind, daß die, die sie befolgt haben, gleich ob aus Profession oder aus "Weltanschauung", als eine zusammengehörige Forschungstradition angesehen werden können, wird im Laufe der chronologischen Darstellung gezeigt und am Schluß noch einmal zusammengefaßt werden.

Kirchengeschichtliche Darstellungsmuster sind auch in den Darstellungen der Geschichte von Orden, die im Mittelalter mit Krankenpflege zu tun hatten, befolgt worden. Diese Arbeiten decken aber jeweils nur einen kleinen Ausschnitt unseres Themas, des mittelalterlichen Hospitalwesens in seiner Gesamtheit, ab. Sie ziehen ihre Kontinutätslinie von der jeweiligen Ordensgemeinschaft im Mittelalter bis zu deren heutigem Status, etwa in derselben Weise, wie auch die Architekturgeschichte mittelalterliche Hospitalgebäude mit heutigen Krankenhausbauten verglichen hat, was zur Folge hat, daß die Aspekte, Personengruppen usw. des mittelalterlichen Hospitalwesens, die mit der Kontinuität des Ordens bis zur Gegenwart nichts mehr zu tun haben, übergangen werden müssen oder nur als Kulisse ein Stück weit Beachtung finden. Deswegen lassen sich solche ordensgeschichtlichen Werke doch wieder schlecht mit der kirchengeschichtlichen Darstellungstradition vergleichen, die das mittelalterliche Hospitalwesen insgesamt und unter einem anderen Aktualitätsgesichtspunkt zum Thema gehabt hat.

Siehe unten Punkt 1.5, S. 122-125.[x]

Aus der wichtigsten Literatur auf diesem Spezialgebiet der Hospitalgeschichte stelle ich nur bibliographiemäßig zusammen:Ord. S. Antoni i:MISCHLEWSKI, Adalbert, Art.: "Antoniter", in: LdMA l (198.) Sp. 984-992;Ders., Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts, Diss.theol. München 1968/1969 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte, 8) Köln, Wien 1976 Ord. S. Augustini;vgl.: TEEUWEN - DE MEIJER - SCHRAMA (Hgg.), Bibliographie historique de l'Ordre de Saint Augustin 1945-1975, in: Augustinia-na 26 (1976) S. 39-40 Ord. S. Benedicti:vgl. das oben S. 20, Anm. 58 angegebene Werk von SCHIPPERGES Ord. S. loh. Bapt.:HIESTAND, Rudolf, Die Anfänge der Johanniter, in: Fleckenstein,J.;Hellmann,M. (Hgg.), Die geistlichen Ritterorden Europas (Vorträge und Forschungen. Hg.v. Konstanzer Arbeitskreis für mal. Geschichte, 26; Sigmaringen 1980) S. 31-80;MILLER, Timothy S., The Knights of St. John and The Hospitals of The Latin West, in: Speculum 53 (1978) S. 709-733 (bemüht sich zu zeigen, daß es vor den Johannitern keine wahren Hospitäler im Westen gegeben habe und die Johanniter den Anstoß zu solchen nur aus Byzanz erhalten hätten); RICHARD, Jean, Hospitals and Hospital Congregations in the Latin Kingdom during the First Period of the Frankish Conquest, in: Kedar,B.Z.; Mayer,H.E.; Small,R.C. (Hgg.), Outremer. Studies in the History of the Crusading Kingdom of Jerusalem. Presented to Joshua Prawer (Jerusalem 1982) S. 89-100; WADSTEIN-WARTENBERG, Berthold, Rechtsgeschichte des Malteserordens, Wien,München 1969 (behandelt die inneren Rechtsverhältnisse zwischen den Gliederungen des Orden); GRUMSKY, Eberhard (zur Baugeschichte, siehe oben S. 71, Anm.222);* PAPPALARDO, Ignazio, Storia sanitaria dell'Ordine Gerosolimitano di Malta dalle origine al presente, Roma 1958;*Zs.: Annales de rordre Souverain Militaire de Malta 1,1961ff;Urkunden: Cartulaire de l'Ordre des Hospitaliers de S. Jean de Jerusalem (1100-1310) 1-4 ed. J. DELAVILLE LE ROULX, Paris 1894-1906 Ordo S. Lazarii:* DE LA GRASSIERE, Paul Bertrand, L'Ordre militaire et hospitaliere de Saint-Lazare de Jerusalem, Paris 1960 Ordo S. Spiritus;* BRUNE, P., Histoire de l'Ordre Hospitalier de Saint-Esprit, Paris 1892;Schriftenreihe: Collana di studi storici sull'Ospedale di Santo Spirito in Saxia e sugli ospedali Romani l- (Roma 1948-) Ordo Teuronicorum:ARNOLD, Udo, Entstehung und Prühzeit des Deutschen Ordens. Zu Gründung und innerer Struktur des Deutschen Hospitals von Akkon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: (wie oben unter Ord.S.loh.Bapt.: HIESTAND) S. 81-107; PROBST, Christian, Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen. Hospital, Firmarie und Arzt bis 1525, Diss.phil.Göttingen 1967 (Quellen und Studien zur Geschichte des DeutscheOrdens, 29) Bad Godesberg 1969 (vgl. auch oben S. 21, Anm. 60,Verf. ist zugleich Medizinhistoriker). Weitere Literatur verzeichnet DW 10, Nrn. 42/3599-4386*) Diese Werke zitiere ich vorläufig nur aus zweiter Hand.[x]

Entwicklung 

Anfänge im 19. Jahrhundert 

| Vorläufer | Wichern, Fliedner | Mone | Bensen | Haeser |

Vorläufer

Eigentlich sind die aus kirchengeschichtlicher Perspektive verfaßten Darstellungen der Hospitalgeschichte die ältesten überhaupt. Man kann hierzu Werke des 17. und 18. Jahrhunderts rechnen. Allerdings sind unter diesen ältesten Werken viele, die nur einen Ausschnitt des Themas abdecken, das man, seitdem sich eine moderne Kranken- und Armenfursorge entwickelt hat, als "das mittelalterliche Hospitalwesen" begreift - zum Beispiel auch wieder eine Reihe Geschichten von Orden, deren Mitglieder sich im Mittelalter in Hospitälern betätigten.

Eine einigermaßen festgefügte Forschungstradition im modernen Sinne bildete sich aus diesen frühen kirchengeschichtlichen Darstellungen erst heraus, als gewisse aktuelle Anlässe dazu drängten, den kirchlichen Gesichtspunkt beim Studium der Geschichte des Hospitalwesens zu pointieren, und als zugleich Konkurrenz von anderen Fächern aufkam, die behaupteten, das Ganze dieses Themas von ihrem, beispielsweise medizinhistorischen o.a., Gesichtspunkt aus ebensogut abzudecken, woraufhin die Kirchenhistoriker nicht mehr unangefochten "die" Darstellung der Hospitalgeschichte besorgen konnten, sondern nur "eine" neben anderen.

Um 1848: Johann Hinrich Wichern, Theodor Fliedner
"Die Literatur über Armen- und Krankenpflege vermehrt sich in neuester Zeit ansehnlich, was von der zunehmenden Nothwendigkeit derselben herrührt",

konstatierte 1850 der katholische Historiker F.J. MONE. - Die gesellschaftlichen und politischen Umstände, die dazu führten, daß um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Forschungen über altes Hospitalwesen plötzlich im grellen Licht öffentlicher Debatten standen, werden in den damaligen Abhandlungen über Hospitalgeschichte immer wieder erwähnt:

Das Jahr 1848 muß nicht zuletzt auch für kirchliche Kreise, die sich auf den Gebieten von Diakonie und Caritas engagieren wollten, etwas wie ein Frühling gewesen sein:

"Es ist vielleicht noch nie so viel für die Sache des Herrn getan worden, wie seit dem Ausbruch der diesjährigen Revolution",

das meinte der Gründer (1833) der Anstalt "Rauhes Haus" in Horn bei Hamburg, Johann Hinrich WICHERN (1808-1881) am Ende seiner aus dem Stegreif gehaltenen Rede beim evangelischen Kirchentag in Wittenberg am 22. September 1848. Zu dieser "vorläufigen freien Versammlung" hatten 41 prominente Vertreter verschiedener deutschsprechender evangelischer Kirchen, unter ihnen FLIEDNER, aufgerufen, um "die Verhältnisse der evangelischen Kirche in der gegenwärtigen Zeitlage" zu beraten. Wicherns Aufruf hatte den Effekt, daß sofort ein "Centralausschuß für die innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche" in Tätigkeit gesetzt wurde. Die massenhaft und überörtlich auftretende "geistige und leibliche Not" "des evangelischen Volkes" sollte durch diese innere Mission der Kirche beseitigt werden, wie Wichern in seiner berühmt gewordenen "Denkschrift an das deutsche Volk" von 1849 erklärte (nicht zum wenigsten an die gewandt, die fürchteten, die Amtsstruktur der Kirche würde durch eine solche grenzensprengende Unternehmung untergraben).

Wichern selbst hat sich als Übersetzer einer damals viel beachteten französischen Studie zur Geschichte der "charité" in den ersten christlichen Jahrhunderten betätigt. Er übersetzte "charité" nicht mit dem katholischerseits dann üblich gewordenen "Caritas", sondern mit "Barmherzigkeit", wofür später auf evangelischer Seite aber gewöhnlich "Liebestätigkeit" oder "Diakonie" gesetzt wurde.

F. J. Mone (1796-1871)

So wurde auch die vormals reine Autonomie der Kirche in ihrer Armenpflege das Hauptthema, als 1850 der Professor für Geschichte und Direktor des Badischen Landesarchivs, F.J. MONE im ersten Band der von ihm selbst herausgegebenen "Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins" Studien mit dem Titel:

F.J. MONE
Ueber die Armenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert
in: ZGORh l (1850) S. 129-163,

veröffentlichte, die er in späteren Jahrgängen noch erweiterte:

Ueber Krankenpflege, vom 13. bis 16. Jahrhundert
in: ZGORh 2 (1851) S. 257-291.

Armen- und Krankenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert
in: ZGORh 12 (1861) S. 5-53.

Weitere Fortsetzungen, die er vorhatte, sind nicht mehr erschienen, nur einige ergänzende Beiträge unter den Miszellen in seiner Zeitschrift:

Geschichtliche Notizen, Medizinalwesen
in: ZGORh 14 (1862) S. 122-125.

Von MONE wird gesagt, er sei seiner Zeit darin voraus gewesen, daß er die Rolle der Ökonomie in der Weltgeschichte stark beachtet habe.[18] Damit mag es zusammenhängen, daß er überhaupt in der "Armenpflege" ein Thema für seine historischen Bemühungen erkannte, denn sein Anknüpfungspunkt sind zunächst die praktisch-ökonomischen Probleme von Caritasbestrebungen, wie sie damals aufkamen:

"Wie viel außerdem jetzt über Armen= und Krankenpflege berathen und versucht wird, um dem dringenden Bedürfnisse so viel als möglich zu genügen, ist bekannt und steht mit der wachsenden Literatur über den Gegenstand in genauem Zusammenhange. Auch dafür ist der geschichtliche Rückblick schon durch die Mannigfaltigkeit seiner Beispiele nicht ohne Nutzen, denn alte Erfahrungen sind brauchbare Vorgänge, welche durch neue Verhältnisse nur modifiziert, nicht unnöthig werden."

Besonders kam es ihm auch darauf an, daß die Kirche einfach weit größere Mittel für die Armenpflege mobilisieren könne:

"Kein Staat ist im Stande, aus eigenen Mitteln seine Armen zu erhalten. Er muß also schon aus politischer Nothwendigkeit die christliche Privatarmenpflege gewähren lassen."

Eine zwangsweise Umverteilung der Lebens-Mittel durch staatliche Besteuerung schließt Mone nämlich von vornherein ganz aus, "weil es auf allseitige communistische Beraubung hinausläuft".

Positiv gewendet, "beweisen" für MONE die mittelalterlichen Hospitäler und sonstigen Armenstiftungen das wirtschaftlich Vernünftige der Armenpflege in kirchlicher Regie. Schon weil "die gemeinschaftliche Pflege und Consumtion wohlfeiler zu stehen kommt als die vereinzelte jeder Person." Hauptsächlich aber solange der "kirchliche Charakter streng gehandhabt wurde" - wegen der dadurch garantierten "Sicherheit für eine reelle Verpflegung".

Diese auf aktuelle Fragen bezogenen Überlegungen nehmen jedoch nur wenig Raum in den Arbeiten MONEs ein. Nach kurzen Einführungen bringt er stets eine Fülle von Urkunden und Nachweisen aus der älteren Literatur. Immerhin wird die Zuverlässigkeit seiner Urkundenwiedergaben bezweifelt. Andererseits hat er noch viel besser als spätere Bearbeiter des Themas "Armen- und Krankenpflege" die ganze Breite verschiedenster Teilthemen ausgeschöpft, von Kloster-, Stadt- und Leibärzten bis zu fahrenden Schülern usw. Ähnlich wie VIRCHOW für die medizingeschichtliche Hospitalforschung ist MONE der Pionier, der noch ohne systematische Verarbeitung, damit aber auch noch ohne Perspektiv-Verengung, die Fülle des urkundlichen Materials vorlegt.

Auch wenn er sich als professioneller Historiker und unberufen dazu fühlt, "auf die politische Beurteilung des Gegenstandes" einzugehen, verrät er doch gleich mit der bei Späteren nicht mehr üblichen Deutlichkeit, die sich Schriftsteller um 1850 noch erlaubten, wie er diese politische Bedeutung des Themas einschätzt:

"Das Uebermaß des Geldkapitals [wird mißbraucht], um das Proletariat für politische Zwecke zu revolutionieren und so den Pauperismus zum käuflichen Werkzeuge des Umsturzes zu machen."

Dieser vom Proletariat ausgehenden Gefahr für die bestehende Ordnung durch Entschärfung von dessen Notlage entgegenzuarbeiten, darin liegt für MONE und viele seiner kirchlich-sozial eingestellten Zeitgenossen der Ansatzpunkt für Caritas- bzw. Diakoniearbeit, Im übrigen hält er die Armut für ein notwendiges Element der Gesellschaftsordnung, das sich prinzipiell nicht abschaffen läßt.

Heinrich Wilhelm Bensen

Noch klarer und in noch engerem Zusammenhang mit der mittelalterlichen Hospitalgeschichte formuliert das

Heinrich Wilhelm BENSEN
Ein Hospital im Mittelalter. Beitrag zur Geschichte der Wohlthätigkeitsstiftungen, entworfen von Dr. -
Regensburg: Pustet, 1853

Zunächst ist dies zwar eine Geschichte des mittelalterlichen Hospitalwesens der Stadt Rothenburg ob der Tauber. Wie schon nach dem generell formulierten Titel zu vermuten, hat BENSEN jedoch primär ein "höheres" Untersuchungsziel: eigentlicher Gegenstand seiner Abhandlung ist, mit seinen eigenen Worten ausgedrückt, "die Bekämpfung, oder vielmehr Vermittlung des Proletariats durch die christliche Wohlthätigkeit".[26]

"Die Proletarier" (unter diesem Titel hatte BENSEN bereits 1847 "eine historische Denkschrift" veröffentlicht)[27] betrachtet er als eine zeitunabhängige Konstante in aller Geschichte. Sie erfüllen auch zu allen Zeiten eine ganz bestimmte Funktion gegenüber den höheren Gesellschaftsklassen, nämlich deren Erfindungsgeist und "thätiges Mitleiden" anzuspornen. Diese merkwürdig anmutende Gesellschaftsordnung funktioniere freilich nur unter einer Bedingung: Die "Classe" der Proletarier muß gleich einem wilden Strome "gut eingedämmt und geleitet" sein - gelang es ihr je, "die Überhand zu gewinnen, so erschütterten sie nicht nur den Staat, sondern richteten ihn zugrunde." Indem er solches als zeitlose Funktionsgesetze hinstellt, schlägt BENSEN auf elegante Art die Brücke von dem, was er in der mittelalterlichen Vergangenheit zu erforschen meint, zu dem, was er seiner eigenen Zeit zu denken geben möchte: man muß die Wohltätigkeit so sehr ausbauen, gern nach dem "effektiven" mittelalterlichen Vorbild, daß es unmöglich wird, "das Proletariat für politische Zwecke zu revolutionieren und so den Pauperismus zum käuflichen Werkzeug des Umsturzes zu machen", wie Mone es ausgedrückt hatte.

Das Mittelalter begreifen Historiker wie Bensen und Mone als Epoche einer, in ihrem Sinne, ideal geordneten Gesellschaft. Zumindestens bei Bensen kann angenommen werden, daß diese Auffassung gerade erst seine Stoffwahl zum Hospitalwesen hin leitete. Er beschreibt das Mittelalter als eine Zeit, welche "die Mißverhältnisse vermittelte und beseitigte". Das war möglich, weil die damaligen Mittel gegen Mißverhältnisse nicht auf "Staatsgesetzgebung" sondern auf "lebenswarmem Gemüth", "lebendigem Christenthum" beruhten. Solange der "fromme Sinn" der Gebenden mit dem materiellen Wert zugleich den Armen zugewendet wurde, waren sie auch ohne weiteres ungefährlich für die bestehende Ordnung, sie wurden nämlich: "demüthig und bescheiden" erhalten, zu "frömmeren und besseren Menschen" erzogen. Das Gegenteil ereignete sich nach Bensens Verständnis, seit mit der Reformation (Abfall von der Kirche) die "politische Armenpflege" (Mone) sich vordrängte, wo die "kalte politische Berechnung" das Geben prägt. Da ist es nach seiner Auffassung nur natürlich, daß die Armen anfangen, "zu fordern, zu ertrotzen", statt "mit Dank und Bescheidenheit" entgegenzunehmen. Gewissermaßen ist alles Übel der modernen Gesellschaftsentwicklung nach Auffassung dieser konfessionellen Historiker die Folge davon, daß man im 16. Jahrhundert während des "Abfalls" von der Kirche die Armut und das Betteln habe abschaffen wollen, obwohl doch eben die Bettler ein notwendiger Bestandteil jeder Gesellschaft seien und für die Reichen der "natürliche Stoff, ... an dem sich das Mitleid und das christliche Gefühl zu üben habe", Abschaffung der Armut, wie sie die Neuzeit versuchte, begreift Bensen darum, so paradox es auch klingt, als ein Unterfangen "im Interesse der Reichen".

Für Geschichtsschreiber wie Bensen waren freilich auch solche Gedankengänge wohl nicht absonderlich genug, um seine Forschungen im Detail zu verunklären: Auf seinem lokalhistorischen Gegenstandsfeld hat er durchaus brauchbare Daten etabliert, zum Beispiel gibt er einen Abdruck der Regel des Rothenburger Heilig-Geist-Hospitals von 1334/1137, aber als Rahmen um diese Einzeldaten eben das reaktionäre Raisonnement.

Heinrich Haeser

Die Erforschung der Geschichte des Hospitalwesens von selten evangelischer Theologen begann nicht so früh. Der Greifswalder Medizinhistoriker Heinrich Haeser hat zwar 1853, als die Grenzen zwischen den Forschungsrichtungen der Mediziner und der Theologen noch nicht so abgesteckt waren, große Rücksicht auf die religiösen Orden ("Krankenpflegerschaften") genommen, und mit der Titelformulierung seiner Festrede: "de cura aegroto-rum publica a Christianis oriunda", eines der späteren Hauptthemen kirchengeschichtlicher Darstellungen des alten Hospitalwesens anklingen lassen, auch wenn er zu seiner Zeit noch im Grenzgebiet zwischen Medizin- und Kirchengeschichtsschreibung gestanden hat, hat ihn doch später mehr die erstere zu den ihren gerechnet, und ich erwähne ihn daher nicht als evangelischen Kirchenhistoriker sondern in der medizingeschichtlichen Tradition.[ 33] Siehe oben S. 22

    Z.B.
  • Ziegler, De diaconibus, (zit.n. Uhlhorn, Liebesthätigkeit, 1l, S. 169);
  • Muratori, De hospitalibus, S. 553-606 (zit.n. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften, Anm. 39);
  • Muratori, Von Spitälern, (zit.n. Liese, Caritas);
  • Muratori, Antiquitates, S. 907 (zit.n. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften, Anm. 94);
  • De Gerando, Bienfaisance, (zit.n. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften, Anm. 4);
  • Dass. bearb. v. BUCS: System der Armenpflege (zit.n. Ratzinger, Armenpflege, 2. Aufl., S. 130);
  • Moreau-Christophe, Histoire;
  • Moreau-Christophe, Problème (zit.n. Ratzinger, Armenpflege, 2. Aufl., S. 41);
  • Morin, Pauvreté, S. 305 (zit.n. Uhlhorn, Liebesthätigkeit, 1);
  • Chastel, Charité;
  • Dass. übers.v. J.H.WICHERN: Chastel, Studien, S. (dagegen Uhlhorn, Vorstudien, S. 44, Anm. l; Uhlhorn, Liebesthätigkeit, 1, S. 395, Anm. 1 u.ö.; vgl. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften, Anm. 27; vgl. Mone, Armen- und Krankenpflege);
  • daneben eine Handvoll lokal oder regional spezialisierter Darstellungen, zumeist nachgewiesen in den Anmerkungen bei Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften.
[x]

Die älteste Geschichte des Johanniter- wie des Deutschen Ordens stammt aus dem 13. Jahrhundert; bei den Johannitern diente sie dazu, das hohe Alter und den rechtlich unanfechtbaren Ursprung nachzuweisen, um etwaige Zumutungen von außen gegen den Orden zu verhüten ( Hiestand, Anfänge der Johanniter, S. 31f.; vgl. Arnold, Entstehung des Deutschen Ordens, S. 81); an neuzeitlichen Werken sind besonders von Bedeutung: Falco, Antonianae historiae compendium (zit.n. Mischlewski, Art. "Antoniter"); Bosio, Sacro militare ordine (zit.n. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften, Anm. 15, wo noch weitere ähnliche); Paoli, Dell'Origine (zit.n. Uhlhorn, Liebesthätigkeit 2, S.470); Leoni, Crociferi (zit.n. Bibliografia Nazionale Ital.); Monasticon Anglicanum 2 (ÜB München, Sign. 2° H..eccl. 758/2); Paoli, Codice Diplomatico (zit.n. Wadstein-Wartenberg, Malteserorden, S. 95, Nr. !); Helyot, Kloster- und Ritterorden (zit.n. Mischlewski,Art. "Antoniter"); Mosheim, De Beghardis et Beguinabus (zit.n. Grundmann, Religiöse Bewegungen); Dassy, Abbaye St.-Antoine (zit.n. Mischlewski,Art. "Antoniter").[x]

Vgl. dazu oben S. 22ff. über die Anfänge medizinhistorischer Literatur über mittelalterliches Hospitalwesen, seit 1857.[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 5.[x]

Nebenbei bemerkt, betätigte sich auch der Dichter Clemens BRENTANO auf diesem Gebiet, mit seiner Schrift "Die Barmherzigen Schwestern in bezug auf Armen- und Krankenpflege" Coblenz 1831. Mainz 18563 (zit.n. Haeser, Kranken-Pflege und Pflegerschaften, Anm. 173 bzw. n. Liese, Caritas).[x]

Zit. n. Krimm, Quellen, 2 (1963) S. 245.[x]

Vgl. oben S. 9, Anm. 20.[x]

Vgl. "Aus der Einladung nach Wittenberg" bei Krimm, Quellen 2 (1963) S. 239-241, Nr. 125.[x]

Vgl. Schreiner, Wichern, Löhe, Stoecker, bsd. S. 327-338.[x]

Zit.n. Krimm, Quellen 2, S. 246-256, Nr. 127, bsd. S. 255: "Aus den Statuten, § l".[x]

Siehe oben Anm. 247.[x]

Näheres bei Schrey, Art. "Katholisch-sozial", Sp. 1199-1206; zum Mainzer Katholikentag im Oktober 1848 und der dort von August REICHENSPERGER initiierten Gründung von "Vinzenzvereinen" vgl. noch Gatz, Kirche und Krankenpflege, S. 352.[x]

Gatz, Kirche und Krankenpflege, bsd. S. 44f.[x]

Vgl. Mone, Armenpflege, S. 129f. 135.; Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 13.[x]

Privatdozent (1817), dann ordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Heidelberg (1822), dann an der Universität Leuven (1827-1831), zuletzt Direktor des Badischen Landesarchivs in Karlsruhe (1835-1868) - vgl. v.WEECH, Art. "MONE, F.J.", in: ADB 23 (1885) S. 165f.[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 53.[x]

v. WEECH (wie Anm. 16).[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 5f.; ein Beispiel für beachtenswerte praktische Vorzüge im mittelalterlichen Armenpflegesystem: die Garantie der Leistungen durch "poenae" (Einsetzung eines anderen Interessierten anstatt des berechtigten Empfängers für den Fall, daß diesem die Leistung vorenthalten würde Mone, Armenpflege, S. 134f.).[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 12.[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 6; vgl. noch Mone, Armenpflege, S. 133: "... Bei einer solchen religiösen Grundlage und Ausbildung der Armenpflege konnte der Communismus der Proletarier nicht stattfinden"[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 6. Mone, Armenpflege, S. 129f. und sonst ständig.[x]

Von v. WEECH (wie oben Anm. 261).[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 6.[x]

Mone, Armen- und Krankenpflege, S. 12.[x]

Bensen, Ein Hospital, S. 5; BENSEN wandte sich dem mittelalterlichen Hospitalwesen als einem Spezial-"Moment" des Themas zu, das er im Jahr vor dem Revolutionsjahr, 1847, in einer "Denkschrift" behandelt hatte: "Die Proletarier"; da ich diese Schrift noch nicht kenne, kann ich auch noch nicht beurteilen, ob in dem Übergang der Themen vom bloßen Namen der revolutionsverdächtigen Klasse zu deren Unschädlichmachung mittels Wohltätigkeit ein Übergang der Einstellung des Verfassers im Takt mit der auf die Revolution gefolgten Restauration verborgen liegt; frühere Veröffentlichungen BENSENS geben allein durch ihre Titel auch noch wenig Hinweise auf seinen Standpunkt: griechisches Altertum, 16. Jahrhundert, Rothenburger Stadtgeschichte sind die Themen, dann 1835 eine griechische "Ode an Napoleon" und 1844 eine "Denkschrift" m.d.T. "Teutschland und die Geschichte" (zit.n. Bensen, Ein Hospital, S. (111).[x]

Bensen, Proletarier (zit.n. GV); ähnlich klingen die Titel der beiden Schriften Johann Hinrich Wicherns von 1848 bzw. 1849: Wichern, Proletarier und Kirche, Wichern, Innere Mission, S. .[x]

So weit nach Bensen, Ein Hospital, S. 88f.[x]

Siehe oben S. 87 bei Anm. 269.[x]

Dies auch ähnlich bei Mone.[x]

Bensen, Ein Hospital, S. 88f.[x]

Bensen, Ein Hospital, S. 88f.[x]

Die klassischen Gesamtdarstellungen (1868-1922) 

| Ratzinger | Uhlhorn | Ratzinger und Uhlhorn | Caritasgeschichte Anfang 20. Jh. |

Auf die bisher genannten, recht augenfällig im Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftspolitischen Argumenten entstandenen Studien folgen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und bis über den Ersten Weltkrieg hinaus die für die Zukunft grundlegenden, auch heute zum Teil nicht überholten Gesamtdarstellungen der Caritas bzw. der christlichen Liebestätigkeit. Diese beiden Ausdrücke kennzeichnen nun einerseits die katholische und andererseits die evangelische Literatur über das, was vorher weniger streng auch als Barmherzigkeit, kirchliche Armenpflege und ähnlich bezeichnet wurde. Zwar sind das Themenbegriffe, die sich zunächst nicht mit der Geschichte des Hospitalwesens decken, um die es hier geht, da aber die Hospitäler, im Mittelalter schlechthin der Ort waren, wo Caritas/Liebestätigkeit ausgeübt wurde, sind die Geschichten dieser christlichen Aktivitäten in ihren Mittelalter-Abschnitten doch wieder regelrechte Geschichten des Hospitalwesens, aus kirchengeschichtlichem Aspekt; und anders als jemand es nach den medizingeschichtlichen Arbeiten erwarten könnte, nimmt die Behandlung des Mittelalters in den kirchen- geschichtlichen Darstellungen großen Raum ein, oft genau ein Drittel eines ganzen Werkes. Die Gesamtdarstellungen der Caritas und der Diakonie beinhalten daher auch immer eine ausführliche Geschichte des mittelalterlichen Hospitalwesens .

Georg Ratzinger (1844-)

Als die Universität München 1868 die Preisaufgabe stellte, eine Geschichte der katholischen kirchlichen Armenpflege zu schreiben, kam folgende Dissertation eines jungen, im Jahr zuvor geweihten, katholischen Priesters ein und wurde mit dem Preis ausgezeichnet:

Georg RATZINGER
Geschichte der kirchlichen Armenpflege. Gekrönte Preisschrift
Freiburg im Breisgau: Herder, 1868 (433 S.)
(jetzt zu benutzen ist:)
Zweite, umgearbeitete Auflage, Ebda. 1884 (616 S.)

Der Verfasser, geb. 1844 als Sohn eines Bauern in Rickering bei Deggendorf, wurde nach seiner Promotion mit der preisgekrönten Schrift "Hülfsarbeiter" seines Lehrers Ignaz von Döllinger, ohne sich jedoch "mit den Ideen des berühmten Theologen irgend zu befreunden". Schon 1870 war er als Redakteur tätig, 1875-1877 wurde er Abgeordneter der bayerisch-katholischen Patriotenpartei im Bayerischen Landtag, 1877-1878 im Reichstag. Anfang der 1870-er Jahre zog er "die Säule des katholisch-feudalen Hochadels", Graf Ludwig von Arco-Zinneberg, in die Parteipolitik hinein, von welchem Grafen er zugleich eine lebenslängliche Rente bezog; 1883 publizierte er dessen Reformprogramm "Die Erhaltung des Bauernstandes". Als sein Hauptwerk gilt "Die Volkswirthschaft in ihren sittlichen Grundlagen. Ethisch-sociale Studien über Cultur und Civilisation" (1881. 18952), auf das er sich in der überarbeiteten Auflage seiner "Kirchlichen Armenpflege" ständig bezieht. Später zog er als Abgeordneter des "Bairischen Bauernbundes" erneut in den Landtag (1893) und in den Reichstag (1898); sein Tod leitete aber kurz darauf auch das Ende dieser Partei ein. Seine politische Schriftstellerei wäre bestimmt ein interessantes Thema für sich, gehört aber umso weniger hierher, als sie zumeist aus den Jahren nach Herausgabe der "Kirchlichen Armenpflege" stammt. Trotzdem würde man das Bild des Hospital-Historikers Ratzinger schief zeichnen, wenn man die Schriften von ihm unerwähnt ließe, die am meisten Neuauflagen erlebt haben: heftige antisemitische Pamphlete, unter erfundenen Namen herausgegeben, die Exemplare auf den öffentlichen Bibliotheken inzwischen auch mit hitzigen Randbemerkungen und Anstreichungen in Rot fortgeschrieben; hier legt er seine populärste volkswirtschaftliche Systematik vor, indem er den ganzen modernen Kapitalismus mit aller entstandenen Ungerechtigkeit einem großen Schreckbild des aus dem Osten vorgedrungenen polnisch-deutschen Juden anlastet: "Die soziale Frage bildet den Mittelpunkt aller Bestrebungen der Gegenwart. Für den eigentlichen Kern der sozialen Frage aber erachten wir das jüdische Erwerbsleben."

Die kirchliche Wohltätigkeit war auf alle Fälle im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts ein Thema, das man studierte, wenn man Ambitionen in der Politik, speziell der Wirtschafts- und Sozialpolitik hatte und einen christlichen Parteistandpunkt einnahm. In diesem Sinne schließt sich die Arbeit des aufstrebenden Politikers Ratzinger gut an die des Schulschriftstellers Bensen an, der ebenfalls viel Wert auf die Lehren der Geschichte für die "sociale Frage der Gegenwart gelegt hatte.

Über die wissenschaftliche Qualifikation Ratzingers spricht sich sein Biograph Fränkel zwar durchwegs lobend aus, doch habe jener es nicht so gut verstanden, die Ergebnisse zu systematisieren. Diesen Eindruck erhält man auch aus seinem hier im Blickpunkt stehenden Werk, der "Geschichte der kirchlichen Armenpflege"; und das war der Grund, weshalb dieses Buch in der Tat nicht lange unwidersprochen blieb.

Ratzinger mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er nur "Symptome" zusammenstelle und "den Gründen nicht nachfragt, aus denen die im Laufe der Zeit eintretenden Veränderungen auf dem Gebiete der Liebesthätigkeit hervorgehen."

Gerhard Uhlhorn (1826-1901)

Dieser Angriff kam aus Hannover, wo Gerhard UHLHORN (1826-1901), Schloßprediger (1861), Geistliches Mitglied des Landeskonservatoriums (1866, gerade noch vor dem Verlust der staatlichen Selbständigkeit eingerichtet) und Abt von Kloster Loccum (1878) war. Im Unterschied zu dem bayerischen Theologen Ratzinger hielt sich der hannoversche, lutherische Theologe Uhlhorn von parlamentarischer und Parteipolitik ganz fern; darin unterschied er sich zugleich von dem preußischen Hofprediger Stoecker, der ja auch, wie Ratzinger und wie Uhlhorn, jeder auf andere Art, sozialpolitische Ambitionen hatte. Uhlhorns Standpunkt wurde es, besonders seit er Konsistoriumsmitglied war, zwischen widerstreitenden theologischen Richtungen zu vermitteln und die Geschlossenheit der Landeskirche zu verteidigen - worüber er de facto ihre lutherische Prägung gefestigt hat. Bezüglich der Sozialethik lief sein lutherischer Standpunkt darauf hinaus, daß die Kirche nicht selbst Partei ergreift oder soziale Probleme aufgreift, sondern daß sie durch Seelsorge und Verkündigung versucht, die Menschen von Grund auf zu verändern, oder besser: von dem Wort, das verkündet wird, verändern zu lassen. Uhlhorn hat das bestimmt nicht zu eng aufgefaßt, denn Verkündigung durch Taten neben den Worten, also Innere Mission, war ein Hauptanliegen für ihn. Er verfügte dabei über einen erheblichen Optimismus hinsichtlich der Möglichkeiten für die Kirche, durch Verkündigung und Innere Mission tatsächlich die sozialen Probleme in absehbarer Zeit gelöst zu bekommen und war, vielleicht infolge dieser Selbstgewißheit, im Stande, eine Disputation mit einer Delegation von "Socialisten" zu halten, viel von deren Analyse der Gesellschaft zu übernehmen und in einem (auch gedruckten) Vortrag zu verlangen, daß die Kirchengeschichtsforschung mehr auf "die Art der Produktion und Consumtion" achten müsse - um gleich im Anschluß daran selbst eine Einteilung ihrer Epochen in "Sklavenhalter-", "Feudal/Zunft-" und "kapitalistische Gesellschaft" zu entwerfen. Am Ende dieses Vor-trags, den er 1875 vor Pfarrern hielt, sagt er über das Zukunftsideal, das ihm die Socialistendelegation vorgetragen hatte: "dem Eindruck wird sich keiner entziehen können, daß hier Manches liegt, was dem Christenthum entschieden näher steht als der Kapitalismus der Gegenwart." Nun gibt es andere Beispiele für kirchliche Verdammungen des Kapitalismus und aller modernen Umwälzungen in der Gesellschaft aus dieser Zeit; vergleicht man das, was Uhlhorn zu bedenken gibt, aber z.B. mit Ratzingers Kapitalismuskritik, fällt ein erheblicher Unterschied auch der politischen Orientierungen zwischen dem katholischen und dem evangelischen Theologen in die Augen. Daß Uhlhorn nicht der alten Agrargesellschaft nachträumt, sondern sich in wohlwollende Diskussion mit Sozialisten einläßt, scheint mir auch mit seiner wissenschaftlichen Zuversicht zusammenzuhängen, daß auch die Entwicklungen der neuen Zeit theologisch-historisch schon durchschaut seien.

Daß Gerhard Uhlhorn seiner wissenschaftlichen Arbeit mindestens seit 1881 das Thema "Geschichte der christlichen Liebestätigkeit" stellte, kam also nicht zufällig; für einen Mann in seiner Position mußte es beinahe ein Schlüsselthema sein. Übrigens faßte ein HZ-Rezensent später Uhlhorns Abhandlung in der Tat als Schlüssel zum Verständnis "der gegenwärtigen Verhältnisse" auf. Genausowenig unerwartet aber kommt die Richtung, in die Uhlhorns Angriff gegen Ratzingers Vorgänger-Werk zielt: Wenn man damit rechnet, die gesellschaftlichen Verhältnisse durch Verkündigung, also Einwirkung auf die Haltung der Menschen, zu ändern, muß man bei einer historischen Untersuchung herauszustellen suchen, wie die sozialen Phänomene, zum Beispiel das Wohlfahrtswesen im Mittelalter, auf die Haltungen, die ethischen Einstellungen der Zeit zurückzuführen seien. Das macht Uhlhorn zu dem, perfekt befolgten, Prinzip seiner Darstellung. Er spezifiziert die ihm am wichtigsten scheinenden Faktoren folgendermaßen: wie "eine Zeit den Reichtum und die Armut ethisch beurteilt", wie sie "die Arbeit und den irdischen Beruf würdigt" und schließlich, wie sie "die Liebespflicht des Christen auffaßt".

Die Geschichte der christlichen Liebestätigkeit, auf diese Art bearbeitet und im Laufe von acht Jahren in drei Bänden vorgelegt, wurde Uhlhorns Hauptwerk:

Gerhard UHLHORN
Die christliche Liebesthätigkeit
(l:) in der alten Kirche (421 S.)
2: .Das Mittelalter (531 S.)
3: .Die Liebesthätigkeit seit der Reformation (520 S.)
Stuttgart: D. Gundert, 18822 bzw. 1884 bzw. 1890 .
(Dass. in l Bd., ohne Belegapparat, mit Vorwort, bearbeitet:)Die Christliche Liebesthätigkeit. Zweite verbesserte Auflage
Ebda. 1895 (815 S.)

Kaum eine andere der hier behandelten Darstellungen fügt die Masse der (jeweils genau belegten) Einzelbeobachtungen so ungezwungen zu so wohlkomponierten Linien zusammen. Die drei Bände beinhalten drei Epochen; jede Epoche hat drei Phasen: Vorbereitung, Blüte, Verfall (bei der letzten Epoche steht freilich die Blütezeit noch bevor). Jede Epoche leitet zwingend zur folgenden über: Das Christentum noch als "zauberartige Sühneanstalt" in der Antike, auf den Übergang der Kultur-Trägerschaft an die Germanen folgt dann die "Durchdringung des Volkslebens mit dem Sauerteige des Evangeliums" im Mittelalter, auf die Reformation folgt eine Kirche in Gemeinden, die das rechte Verhältnis zu Arbeit, Eigentum usw. kennen und daher mit der Zeit die Armut abschaffen werden. Bei allem Respekt vor der Quantität des mittelalterlichen Armenstiftungswesens, den er schon durch dessen ausführliche Beschreibung bekundet, sei dieses doch geiade mit seiner Konzentration aller Liebestätigkeit im Anstaltswesen der Hospitäler unvollkommen gewesen und nur für jene Epoche angemessen, in der das Volksleben erst von oben, von der Kirche her, zum Christentum herangebildet werden mußte; ideal sei die Gemeinde-Armenpflege, wo jeder für jeden Verantwortung trägt.

Indem er so konsequent nach seinem Prinzip verfährt, die sozialen Phänomene jeder Zeit aus ihren sozialethischen Ansichten heraus zu erklären, stellt Uhlhorn auch die Geschichte des Hospitalwesens in einen so weiträumigen Zusammenhang wie kaum ein anderer der hier zu erwähnenden Historiker. Allerdings ergibt sich eine Einschränkung dieser Weite wieder daraus, daß Uhlhorn sich eigentlich nur mit solchen sozialen Anschauungen beschäftigt, die ihm aus der Geschichte der Ausbreitung und Durchsetzung des Christentums hervorzugehen scheinen, und daraus, daß er, wie damals selbstverständlich, nur theoretische Literatur dafür als Quellen benutzt, deren Aussagekraft für die tatsächlichen Auffassungen der Mehrheit der Menschen freilich ziemlich begrenzt sein wird - hier geht erst Maurer 1953 einen Schritt weiter.

Seine Einzeldaten mit den genauen Nachweisen der Belegstellen bilden darüber hinaus neben der Materialsammlung von Virchow reichen Zugang zu der einschlägigen älteren Literatur. Er scheint die damals vorliegenden Spezialarbeiten, Lokalgeschichten u.dgl. recht vollständig ausgewertet zu haben, wenn er auch keine systematische Durchsicht z.B. allen gedruckten Urkundenmaterials vorgenommen zu haben scheint, wie später Reicke.

Ratzinger und Uhlhorn

Drei Jahre nach jenem Angriff von Uhlhorn in der Zeitschrift für Kirchengeschichte gab Ratzinger eine Neubearbeitung seiner "Geschichte der kirchlichen Armenpflege" heraus; ob als Antwort auf jene Vorwürfe oder einfach aus derselben Gewohnheit heraus, die ihn auch andere seiner Schriften nach einigen Jahren "mit vollem Rechte als 'vollständig umgearbeitet'" neu auflegen lassen ließ, ist nicht zu ersehen, doch kann es scheinen, als unterstreiche er in der Neuauflage die Erklärung der "Symptome" aus den allgemeinen Zuständen und Anschauungen ihrer jeweiligen Zeit noch besonders.

Freilich ist für ihn als Katholiken das Christentum selbst keiner Entwicklung der Auffassungen unterworfen, je nachdem etwa, mit was für einer Kultur es gerade zusammentrifft. Die"Lehre der Kirche über Reichthum und Armuth, Eigenthum und Almosen" ist für ihn eine "constante". "In Wechselwirkung" mit "der socialpolitischen Gestaltung" beschreibt er hingegen die "Gestaltung und Organisation des Armenwesens"; die Armut als "Resultat der socialen Ordnung", der Wirtschaftslage und des Grades von Einfluß, den die Kirche mit ihrer Soziallehre jeweils gehabt habe.

Für diese allgemeinen Bedingungen seines Gegenstandes i.e.S. hat er aber doch nur mehr oder weniger unverbunden bestimmte Kapitel zwischen die Deskription hineingestreut. Den großen Rest hat er bald nach Ländern, bald nach Ordens-gemeinschften, bald nach Arten von Anstalten gegliedert, nicht aber nach eben diesen generellen Zügen der Epochen, die in den eingestreuten Kapiteln behandelt werden.

Immerhin ist ja auch die "Ausgangslage" für Ratzinger einer durchgehend wohlkomponierten Linienführung nicht so günstig: die Reformation ergibt für ihn ja einen unüberwindlichen Bruch, keine Stufe, die weiter zum Fortschritt führt, Mit ihr seien "Habsucht", Zwang und Beanspruchung eigenen Rechts in die Armenpflege gekommen, die dann mit der Zeit zum bloßen "Armenwesen" des Staates heruntergekommen sei. Von da aus dürfte es für Ratzinger eigentlich keine Fortführung der Linie mehr geben, sondern nur den Weg zurück zum Mittelalter, oder, seiner Auffassung mehr gemäß gesagt, zu den konstanten Werten, wie sie "die" Kirche schon immer gelehrt habe. Es entstehen hier zwei einander scharf entgegengesetzte Darstellungsweisen für ein und denselben Gegenstand, deutlich getrennt je nach Konfession. Das unterscheidende Merkmal wird vor allem die Beurteilung, die Einordnung des mittelalterlichen Zeitabschnitts und der diesen abschließenden Reformation. Die sich selbst in ungebrochener Tradition mit dem Mittelalter verbunden fühlen, lassen ihre Darstellung der Geschichte der Caritas darin gipfeln; die sich dagegen nur über die Reformation in der Tradition aus dem Mittelalter fühlen, stellen immer wieder das Unvollkommene an der christlichen Liebestätigkeit im Mittelalter heraus.

Seinen Gegner "von protestantischer Seite" nennt Ratzinger an keiner Stelle mit Namen; selbst da nicht, wo er ihn direkt zitiert.

Die je nach theologischem Hintergrund verschiedenen Ansätze Ratzingers und Uhlhorns führen auch im Detail zu unterschiedlichen Präferenzen bei der Stoffauswahl. Da es für Ratzinger keine Entwicklung im Christentum selbst gibt, "die Lehre der Kirche" immer vollkommen war, kann es für die geschichtliche Beschreibung nur um den Einfluß gehen, den die Kirche mit ihrer Lehre auf die Gesellschaften der verschiedenen Zeiten gewinnen konnte; die Stärke dieses kirchlichen Einflusses auf die "Politik" bedingt das Aufblühen oder den Niedergang karitativer Unternehmungen; so führt Ratzingers Ansatz ihn zu einer Institutionengeschichte mit Zügen politischer und Rechtsgeschichte, ühlhorns Ansatz dagegen führt zu einer selbständigen Ideengeschichte im Rahmen der christlichen Religionsgeschichte, und er versucht, die Entwicklung diakonischer Unternehmungen kausal an diese Ideengeschichte anzuknüpfen. Das ist entschieden das riskantere Vorhaben, insofern es mit dem Problem, ob Ideen Geschichte bestimmen zu tun bekommt. Andererseits ist es ebenso entschieden der spannendere Ansatz, insofern er wirklich in einen Bereich vorstößt, der anderen Forschungszweigen, wie politische oder Rechtsgeschichte, nicht offensteht. Das Problem ist dann aber auch die Wahl der Quellen für die Geschichte der Ideen, wenn es denn wirklich eine Geschichte der allgemeinen Mentalität sein soll: damals konnten literarische Äußerungen, etwa von mittelalterlichen Theologen, noch als direkte Quellen für die Mentalität "ihrer Zeit" überhaupt genommen werden; seitdem man das als problematisch erkannt und bessere Methoden zu suchen begonnen hat, ist es noch nicht wieder zu einer Untersuchung des Gegenstandes in dem großen Rahmen, wie ihn Uhlhorn sich gesteckt hatte, gekommen.

Uhlhorn selbst hat bereits Essenzen seiner Gesamtdarstellung zu verschiedenen theologischen und sonstigen Lexika beigesteuert. Spätere Lexikonartikel über einschlägige Stichworte beziehen sich ebenfalls oft auf sein Hauptwerk.

Die Prägekraft seiner "Christlichen Liebesthätigkeit" für die folgenden Darstellungen der Diakoniegeschichte von evangelischer Seite zeigt sich erneut, wenn 1905 der Kieler Professor für Kirchengeschichte, Hans von SCHUBERT zwei vor dem "Kieler Vaterländischen Frauenverein" auf Wunsch der Vorsitzenden, der Prinzessin Heinrich von Preußen, gehaltene Vorträge im Druck herausgibt:

Hans von SCHUBERT
Kurze Geschichte der Christlichen Liebestätigkeit. Von D. -, Professor dar Kirchengeschichte und Konsistorialrat in Kiel
Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses, 1905. (40 S.)

Denn er bekundet nicht allein mit der Formulierung des Titels sondern auch noch ausdrücklich im Vorwort, er wolle kurz und gut "einen Wegweiser durch die drei Bände Uhlhorn" geben. Freilich diskutiert er doch einige Zentralthesen neu und gibt überdies "leisen lokalen Kolorit" aus Schleswig-Holstein bei, indem er auf dortige Beispiele besonders hinweist.

Caritasgeschichte zu Anfang des 20. Jahrhunderts

Wie UHLHORNS Werk auf evangelischer, so galt RATZINGERS Arbeit auf katholischer Seite in der folgenden Zeit als "l'histoire generale, la plus savante et la plus complete de la charite", der Verfasser als "l'historien le plus recent et le plus erudit de la bienfaisance". Mit diesen Worten charakterisierte jedenfalls der Pisaner Nationalökonom TONIOLO sein Vorbild für den Vortrag, den er 1894 bei einem katholischen Wissenschaftlerkongreß hielt:

Joseph TONIOLO
L'Histoire de la Charite en Italic. Par M. le Dr. -, Professeur d'economie politique ä l'Universite de Pise
in: Compte rendu du troisieme Congres scientifique international des Catholiques tenu ä Bruxelles du 3 au 8 septembre 1894 (Bruxelles: Soc. Beige de Librairie, 1895) S. 333-348

Sein im Umfang bescheidener, aber sorgfältig mit Belegen versehener Beitrag steht auch damit in der kirchenhistorischen Tradition, daß er von der "crise sociale, qui pese sur nous" seinen Ausgang nimmt: diese soziale Krise zeige ihm "une grande verite" an, nämlich, wie notwendig die Caritas für die Gesellschaft sei. Caritas aber ist für ihn per definitionem das Gleiche wie Entfaltung des katholischen Glaubens in der Welt. Von beidem aber hat er, ganz wie Ratzinger im Unterschied zu Uhlhorn, einen Begriff, in dem Macht und Einfluß der zuständigen Institutionen den Ausschlag geben. Kirchenvermögen und materielle Ressourcen für die kirchliche Caritas aber standen im Mittelalter stärker als nach der Reformation - so ergibt sich bei To-niolo das gleiche Muster für die Bewertung der Epochen, wie es bisher schon bei mehreren anderen katholischen Ca-ritas-Historikern zu beobachten gewesen ist. Das Mittelalter wird hauptsächlich aus dem Gegenüber zur Neuzeit betrachtet, für innere Konflikte im Mittelalter bleibt wenig Aufmerksamkeit übrig, so spricht Toniolo im selben Atemzuge von der Freiheit der Krankenpflegekommunen im 13. Jahrhundert und von der Freiheit und einflußreichen Stellung der Hierarchie zur selben Zeit, ungeachtet dessen daß viele Hospitalkonvente gerade gegen die Hierarchie ihre Freiheit verteidigen mußten.

Ratzingers Darstellung der Caritasgeschichte wurde schließlich doch relativ bald durch neue Arbeiten katholischer Historiker abgelöst - während ein neuer ühlhorn bisher nicht geschrieben ist. In Deutschland brachte das 1. Viertel des 20. Jahrhunderts Gesamtdarstellungen der Geschichte der Caritas aus der Feder von einigen wichtigen Persönlichkeiten der Zentralorganisation "Deutscher Caritasverband", die 1897 gegründet worden war.

Als eine sehr deutliche Darlegung der Intentionen und als Einführung in die spezielle Begrifflichkeit dieser Abhandlungen bietet sich ein kurz zuvor erschienenes apologetisches Werk über Caritas an:

Franz SCHAUB
Die katholische Caritas und ihre Gegner. Von Dr. -, Kgl. Gymnasialprofessor in Regensburg
M[önchen-]Gladbach: Volksvereins-Verlag, 1909.

Vor allem im ersten, dogmatischen Teil liefert Schaub solche Hintergrundinformationen, indem er Begriffe wie "Caritas", "Almosen", "Armenpflege (kirchliche vs. staatliche)", "Sozialpolitik" abhandelt. Im übrigen verteidigt er die katholische Caritas-Auffassung gegen solche, die ihr Werkheiligkeit, verdeckten Eudämonismus, Verantwortungslosigkeit gegen die Gesellschaft durch Förderung des Bettlertums vorgeworfen hätten; indem Schaub sich bemüht, diese Vorwürfe, aus Bibel und Patristik zitierend, zu entkräften, bietet er zugleich ein selten vollständiges Reperfcorium der einschlägigen Stellen, die ja auch für die Autoritäten gewesen sein dürften, die in unserem mittelalterlichen Hospitalwesen wirksam gewesen sind. Für gewöhnlich bleibt Schaub dabei stehen, daß er diese Sentenzen, mit Ausrufezeichen versehen, für sich selbst sprechen lassen will - was damit zusammenhängen kann, daß er seine "Schrift", wie er das Werk nennt, ursprünglich für mündliche Vorträge erarbeitet hat. Am Schluß, in einer umfassenden Apologie gegen alle Gegner "von der protestantischen Orthodoxie bis zu Nietzsche und Marx", zeigt Schaub noch ein Beispiel jenes Optimismus der kirchlichen Autoren zur Zeit des Kaiserreichs, kraft dessen sie wirklich erwarteten, kirchlich organisierte Privatwohltätigkeit werde in eine gerechtere Gesellschaft führen - so großen Wert Schaub auch traditionsgemäß auf die wörtliche Gültigkeit von Mt 26,11 a legt.

Auch wenn ich in meiner Übersicht aus praktischen Gründen fast nur von den größeren Gesamtdarstellungen sprechen kann, - in dieser Zeit zwischen der Jahrhundertwende und der Novemberevolution wurden wie in späteren Zeiten Einzelstudien und Dissertationen über die Hospitäler einzelner Städte u.dgl. aus kirchenhistorischer Perspektive vorgelegt. Es ist nur ein Manko, daß es noch keine andere Bibliographie über diese Einzelarbeiten gibt, als die Literaturverzeichnisse der hier vorgestellten Übersichtsdarstellungen, worunter dasjenige bei LIESE (1922) besonders reichhaltig ist, die aber doch an Details außerhalb der von ihnen ausgezogenen Entwicklungslinien wenig interessiert gewesen sind.

Mit einer Rezension über eine derartige Lokalstudie hat sich aber bereits 1912 in der Freiburger "Historischen Vierteljahresschrift" Georg SCHREIBER als Sachverständiger für Hospitalgeschichte eingeführt, der - nachdem er 1915 den Regensburger und 1917 den Münsteraner Lehrstuhl für Kirchengeschichte erhalten hatte, 1920 Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei geworden und 1936 von seinem üniversitätsamt ausgesperrt worden war - mit einer größeren Arbeit zum Thema "Mittelalterliches Hospitalwesen"hervorgetreten ist. Als Professor und als Politiker war er darüber hinaus an der Druckfinanzierung des folgenden Werkes durch seine Vermittlerdienste beteiligt:

Dies ist die offizielle Festschrift des "Deutschen Caritas-verbandes" zu seinem 25-jährigen Jubiläum 1922, verfaßt in den Jahren 1915-1922 von dem Schriftleiter der Zeitschriften dieses Verbandes:

Wilhelm LIESE
Geschichte der Caritas. Von Prof. Dr. -, Schriftleiter der Caritaszeitschriften
l: Allgemeine Geschichte der Caritas (394 S.)
2: Geschichte der Träger der Caritas. Die Caritas des Auslandes. [Bibliographie. Gesamtregister] (244 S.)
Freiburg i.Br.: Caritasverlag, 1922

Mit diesem Werk wurde das von Ratzinger, dem Schaub gewünscht hatte, daß es alle zehn Jahre in gründlicher Überarbeitung erscheinen müßte, durchaus überholt. Der Fortschritt liegt schon der dem zweiten Band angefügten Bibliographie mit über 1500 Titeln: praktisch alle die Buchtitel, die die ältere kirchengeschichtliche Forschung nur in heute oft nur schwer enträtselbaren Abkürzungen angefuhrt hatte, sind hier in brauchbarer Form bereitgestellt.

Außer in der damit angedeuteten Verbreiterung der Materi-algrundlage besteht der Unterschied gegenüber früheren Behandlungen des Stoffes hauptsächlich in einer durchgängigen Versachlichung. Viel weniger ist von Apologie zu finden, viel selbstverständlicher bleibt es bei der Dokumentation von Fakten aus einen gewissen Gebiet kirchlicher Tätigkeit. Der argumentierende, theoretisierende Elan scheint sich irgendwie verloren zu haben, ähnlich wie zur gleichen Zeit in der medizinhistorischen Forschungstradition, wenn riian etwa die unambitiöse, aufs Praktische gerichtete Arbeit von Baas mit den vor dem Ersten Weltkrieg erschienen Abhandlungen von Bloch und Jacobsohn vergleicht.

Zum Beispiel kann Liese auf die ehedem so wichtige Grenzziehung zwischen einem idealisierten Mittelalter und einer für alles kommende Übel verantwortlichen Reformation und Neuzeit verzichten. Er will "nach inneren, aus der Entwicklung der Caritasarbeit hervorgehenden Gesichtspunkten" gliedern. Da bleibt zwar gleichwohl die starke Stellung der Kirche das Hauptkriterium zur Unterscheidung der älteren von der neueren Epoche, aber diese letztere, in der neben der kirchlichen eine "weltliche Armenpflege" von selten der Kommunen und des Staates aufgebaut wurde, rechnet Liese schon seit dem 14. Jahrhundert, wodurch die Reformation nur noch ein Glied in einer Entwicklung ist, die schon im Mittelalter selbst wurzelt. Damit verarbeitet Liese Forschungen über die ältesten Armenordnungen, die kurz zuvor vorgenommen worden waren. Besonderes Gewicht legt er auf die Entwicklung dieser nichtkirchlichen Armen- pflege, im 19. Jahrhundert, zurück zu Prinzipien der kirchlichen (vgl., wie z.B. Mone die kirchliche Armenpflege als effektiv und billig im Vergleich mit der staatlichen empfahl. Innerhalb der älteren Epoche, als die Armenpflege noch allein in kirchlicher Verantwortung geschah, unterscheidet Liese die ersten acht Jahrhunderte nach Christus mit Bischöfen und Gemeinden als Trägern der Caritas von den folgenden fünf Jahrhunderten, wo alles sich im Hospitalwesen konzentriert habe - damit kommt er praktisch den Gesichtspunkten Uhlhorns von urchristlicher Gemeinde- versus mittelalterliche Anstaltsarmenpflege einigermaßen nahe.

Andererseits behält Liese das Schema Ratzingers durchaus bei, einer allgemeinen Geschichte der Caritas die speziellen Geschichten aller möglichen besonderen Vereinigungen anzuhängen, die auf diesem Gebiet tätig gewesen sind; eine Einteilung, die auch ein Medizinhistoriker wie Dietrich (1899) anwenden konnte. Bei diesen separaten Ordensgeschichten behandelt er auch mittelalterliche, sowohl untergegangene wie noch bestehende Hospitalkongregationen.

Die folgenden Angaben zu UHLHORNS Biographie und Standpunkt nach Hohlwein, Art. "Uhlhorn#7946#, Sp. 1197f; es wäre unbedingt noch zu vgl. gewesen: Cordes, Uhlhorn#7915#, S. 130-148, mit Lit. (zit.n. HOHLWEIN).[x]

Stoecker, Adolf (1835-1909), seit 1874 Hofprediger in Berlin, versuchte der Sozialdemokratie außer durch"Stadtmission" auch durch Gründung einer eigenen Partei, der "Christlich-sozialen Arbeiterpartei" entgegenzuwirken, was ihm aber mißlang, denn die Partei konnte nur unter Streichung des Namensbestandteils "Arbeiter-" und kräftig antisemitischen Tendenzen im Mittelstand Fuß fassen, und der Kaiser, dem er mit dieser ganzen politischen Aktivität zu dienen gemeint hatte, sandte zum Schluß das verächtliche Telegramm: "Christlich-sozial ist Unsinn!"; günstiger stellt Stoeckers Sozialpolitik dar: Schreiner, Wichern, Löhe, Stoecker#8019#[x]

Uhlhorn, Liebesthätigkeit#978# passim; vgl. dazu z.B. Geiger, 19. Jahrhundert#7934#, S. 445: "Beeindruckend, für uns fast nicht mehr faßbar ist vor allem eines: diese beinahe unerschöpflichen Kraftreserven, die man aus der überlieferten Substanz christlichen Glaubens und christlicher Frömmigkeit zu mobilisieren versteht. Eine Bewegung wie die Innere Mission oder . . . die Aufwendungen zu ''*. . christlicher Liebestätigkeit ... - das alles scheint gespeist von Strömen einer nie versiegenden Christlichkeit, die stark genug ist, den Geist der Glaubenslosigkeit der Moderne zu überwinden. Man lebt im 19. Jahrhundert in den Gemeinschaften und Kreisen der christlichen Kirche weithin noch in einem unerhörten Optimismus des Besitzes -..."[x]

Uhlhorn, Socialismus und Christenthum#8030#, S. 384.[x]

Uhlhorn, Socialismus und Christenthum#8030#, S. 357-364.[x]

Uhlhorn, Socialismus und Christenthum#8030#, S. 369, ähnliche Kritik am Kapitalismus auch ebda. S. 354.[x]

"Wir haben die Schlüssel, denn wir wissen, wo Gott hinauswollte", um es mit einer der bei Uhlhorn sonst seltenen Spitzformulierungen sagen (Liebesthätigkeit Uhlhorn, Liebesthätigkeit#978# l, S. 265).[x]

Der Anlaß sei indessen eine Aufforderung von Theodor Fliedner bei einem Besuch in Kaiserswerth 1863 gewesen: "Sie sollten eine Geschichte der Liebesthätigkeit schreiben. Ein solches Buch könnte dazu dienen, das Interesse für die Werke der christlichen Liebe in weiten Kreisen zu erwecken und zu mehren ", erzählt UHLHORN im Vorwort zur 2. Auflage (1895) S. 3.[x]

Karl MIRBT, Rez. über "Die christliche Liebesthätigkeit" Bd. 3, in: HZ 67 (1891) S. 494: "Je mehr die Gegenwart unter das Zeichen der socialen Frage rückt, ... in demselben Maße wird Uhlhorn's Geschichte der christlichen Liebesthätigkeit, und zumal dieser letzte Band, als sicherer Führer zu geschichtlichem Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse zu Rathe zu ziehen sein."[x]

Uhlhorn, Vorstudien, S. 45[x]

Ebda.[x]

Vgl. die Inhaltsübersicht der einzelnen Bände mit der Einteilung in "Bücher" (entsprechend der Dreiteilung jeder Epoche) und je Buch 4 bis 6, ausnahmsweise einmal 7 oder 8 Kapitel.[x]

UHLHORN, Liebesthätigkeit l, S. 279.[x]

UHLHORN, Liebesthätigkeit l, S. 225; daß die Germanen die alten Völker ablösten, hält UHLHORN direkt für eine Voraussetzung dafür, daß das Christentum das Volksleben durchdringen konnte, denn die Völker, die auf eine kulturelle Tradition im Heidentum zurückblikken konnten, seien zu so tiefer Verchristlichung nicht mehr fähig gewesen; Meinungen über die germanische Gesellschaftsstruktur und Denkweise stützt UHLHORN vielfach auf den französischen katholischen Literaten und Sozialreformer Antoine Frederic OZANAM (1813-1853, vgl. Art. über ihn in: RGG 43, 1960, Sp. 1755) und dessen "Etudes germaniques" (z.B. Liebesthätigkeit l, S. 217).[x]

UHLHORN, Liebesthätigkeit l, S. 216f.[x]

UHLHORN, Liebesthätigkeit l, S. 243; damals in der Antike sei die Gemeinde noch zu schwach gewesen, als das aufkommende Massenelend ihre Liebestätigkeit auf die Probe stellte; "während des ganzen Mittelalters hat das christliche Leben daran gekrankt, daß es wohl Parochien aber keine Gemeinden gab" (ebda. S. 245); über Gegenwarts- und Zukunftsaussichten bsd. ebda. Bd. 3, S. 414. 453-459.[x]

Bis hier eingeschoben, stimmt die Position?[x]

"Caritas" verwenden Schaub, Caritas und Gegner#846# (mit philologischer Worterklärung, Abweisung der früher auch nicht seltenen Schreibung "Charitas", S. 1-5); Liese, Caritas#2170; Meffert, Krankenwesen#1901#; - "Charite" ist dafür im Französischen üblich: Chastel, Charité#7914#; Toniolo, Charité Italie#3973#; Lallemand, Charité#7961#.[x]

"Christliche Liebest(h)ätigkeit" verwenden Uhlhorn, Liebesthätigkeit#978# (der den Begriff doch nirgends erst einführt, offenbar konnte er ihn aus der damaligen Debatte schon übernehmen); Schubert, Kirchengeschichte#3792#; Rink, Preußen#2189#; - "Wohltätigkeit" schreibt abweichend Stark, Ostschwäbische Reichsstädte#8309#; in Krimm, Diakonisches Amt#3621#, sowie in Krimm, Quellen#5850#, die nach 1945 erschienen sind, tritt "Diakonie" an die Stelle der "christlichen Liebestätigkeit".[x]

So übersetzte, wie oben S. 84 erwähnt, Johann Hinrich Wichern 1854 das "Charite" im Titel des Buches von Chastel.[x]

so nur Ratzinger, Armenpflege#1155#; MONE gebrauchte "Armenpflege" ohne ausdrücklichen Zusatz neben "Krankenpflege" i.S. v. "Sozial- (und Gesundheits)fürsorge[x]

Daß nur nach der Armenpflege der katholischen Kirche gefragt gewesen sei, interpretiert Ratzinger, Armenpflege, 2. Aufl.#766#, S. VII, selbst.[x]

Vgl. Ratzinger, Armenpflege, 2. Aufl.#766#, S. V.[x]

Die biographischen Daten nach Fränkel, Art. "Ratzinger"#7930#, S. 215-218; Koch, Katholisches Deutschland#7956#, Sp. 3802.[x]

Vgl. die Verlagsanzeige in: Ratzinger, Armenpflege, 2. Aufl.#766#, 4. Umschlagseite, für: "Die Erhaltung des Bauernstandes. Ein Reformprogramm des Hochseligen Grafen Ludwig zu Arco-Zinneberg".[x]

Z.B. Ratzinger, Armenpflege, 2. Aufl.#766#, S. VI, wo er für den Kampf der Kirche gegen diejenige Armut, die "das Resultat der socialen Ordnung" sei, nach dort verweist, während er hier nur die mehr individuelle Armenpflege behandeln wolle.[x]

Deren Fraktion er allerdings noch kurz vorher verlassen hatte, um als fraktionsloser Abgeordneter zum Centrum hin zu tendieren ( Fränkel, Art. "Ratzinger"#7930#).[x]

Außer den bereits genannten verzeichnet Fränkel, Art. "Ratzinger"#7930#, S. 217f.:
- Ratzinger, Wissenschaft#8003#
- Ratzinger, Bierbrauerei#8004#
- Ratzinger, Bauern einigt euch!#8005#, S.
- Ratzinger, Bairische Geschichte#8008#, rez. HZ 81, 1898, S. 319-328, von S. RIEZLER)

Ratzinger, Jüdisches Erwerbsleben#8002#, S. l; vgl. Ratzinger, Judentum#8001# (hier, im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek, Bavar. 2182 hd, die Randbemerkungen).[x]

Fränkel, Art. "Ratzinger"#7930#, S. 217, der allerdings damit vor allem die politischen Schlußfolgerungen kritisieren will, die RATZINGER aus seiner Gelehrsamkeit zog, besonders, was FRÄNKEL dessen "Wahn" nennt: daß das Bauerntum der "einzige Nährstand" sein müsse, nach RIEZLER (wie Anm. 48) S. 327 kommt RATZINGERS Qualität als Historiker davon, daß er "bei Giesebrecht im Seminar gesessen" habe.[x]

FRÄNKEL (wie Anm. 285) S. 215.[x]

RATZINGER2 S. VIII.[x]

RATZINGER2 S. VI.[x]

Vgl. z.B. seine praktischen Vorschläge für Gegenwart und Zukunft, 2. Auflage, S. 584f.[x]

RATZINGER2 S. 382, Anm. 2.[x]

Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (Art. "Armenpflege", Bd. 2, 1897; "Wohltätigkeitsanstalten", von UHLHORN und A. Hauck, Bd. 21, 1908 - von REICKE als der beste Überblick über die Hospitalgeschichte bezeichnet) Handwörterbuch der Staatswissenschaften (Art. "Geschichte der öffentlichen Armenpflege", von Münsterberg, UHLHORN, Laum, Bd. l, 1923)[x]

Z.B. Art. "Sozialhilfe", in: Brockhaus Enzyklopädie 1717 (1973) S. 626[x]

Z.B. Uhlhorns vielzitierte und -kritisierte Überschrift über der vorchristlichen Epoche: "Eine Welt ohne Liebe", wozu von SCHUBERT S. 5-6: "Ich würde also vorziehen zu sagen: Eine Welt ohne Barmherzigkeit, wenn auch nicht ohne Liebe", u.a.m.[x]

TONIOLO S. 334, Anm. l und Anm. 3.[x]

Ebda. S. 333.[x]

Vgl. dazu die Krankenpflege-Geschichtsschreibung, hier oben S. 10-13.[x]

Sitz: Freiburg (Brsg.).[x]

SCHAUB S. 37-184.[x]

SCHAUB S. 142, § 22, vor Nr. I. und öfter.[x]

"Ethischer und sozialer Wert des Almosens" und "Die Berechtigung der konfessionellen Wohlfahrtspflege, zuerst gedruckt in: Bayerische Caritasblätter, Jg. 1905, S. 233ff. bzw. Jg. 1907, S. 118ff., 129ff., hier überarbeitet und erweitert (vgl. Vorwort).[x]

SCHAUB S. 229[x]

Ebda.[x]

Z.B. wo er sich mit der sozialistischen Ablehnung von Caritas auseinandersetzt: S. 224-226 - doch ist von der Schärfe des oben S.88f. referierten Standpunkts BENSENS hier nur noch wenig übrig.[x]

Eine umfassende Bibliographie kündigte JETTER, Geschichte des Hospitals l, S. VI, an an, der Plan ist aber leider wieder aufgegeben.[x]

nämlich: Friedrich F. SCHÄFER, Das Hospital zum hl. Geist auf dem Domhofe zu Köln, Diss. phil. Münster, Kreuznach 1910; F.X. LEEB, Das Spital zum heiligen Geist in Neuötting. Ein Beitrag zur Neuöttinger Stadtgeschichte, Neuötting 1910.[x]

Historische Vierteljahresschrift 15 (1912) S. 136f.[x]

Siehe unten S.112.[x]

Geb. 1876, Dr.theol. Münster, Priesterweihe 1899, Akademieprofessor Paderborn, Schriftleiter "Caritas" 1920, Hg. "Caritas-Kalender" 1925-1926, gest. 19.. - schrieb: "Der heilsnotwendige Glaube, sein Begriff und Inhalt" 1902, "Handbuch des Mädchenschutzes" 1904.19082, "Das hauswirtschaftliche Bildungswesen in Deutschland" 1906.19102. Nachtr. 1914, "Die katholischen Wohlthätigkeits-Anstalten und Vereine in der Diözese Paderborn" 1906, "Wohlfahrtspflege und Caritas im Deutschen Reich, Deutsch-Österreich, der Schweiz und Luxemburg" 1913, "Die Kriegsbeschädigtenfürsorge" 1916. "Die große Sehnsucht" 1917, "Glaubensfroh" 19262, "Aus ganzem Herzen" 1928, "Lorenz Werthmann und der Deutsche Caritasverband" 1929, "Mathias Kinn" 1930 (nach KOSCH, Das katholische Deutschland 2, 1937, Sp. 2606).[x]

Da LIESE Bd. l, S. m, angibt, er habe seine Arbeit am Caritas-Institut Freiburg (Brsg.) abgeschlossen, könnte seine ausführliche Bibliographie die Bestände dieses Instituts widerspiegeln.[x]

Vgl. oben S. 45-47 und ff.[x]

LIESE l, S. IV.[x]

Vgl. oben S. 86.[x]

Ebenso der im Zusammenhang mit der französischen Porschungstradition ausführlich vorzustellende Historiker des Sozialwesens Leon LALLEMAND, Histoire de la Charite (Paris 1902-1912), der seinen 2. Band "Les neuf premiers siecles de l'ere chretienne" und den 3. Band "Le Moyen Age (Du Xe au XVIe siede)" überschreibt.[x]

Vgl. oben S. 31.[x]

In der Defensive (1925-) 

| Meffert | Schreiber |

Franz Meffert

Konnte die katholische Caritasorganisation nach dem Sieg der Republik 1918, vielleicht aus einem gewissen Gefühl gesicherter Stellung heraus, einigermaßen frei von Polemik und Apologie über die Geschichte ihres Arbeitsfeldes hinblicken, so fand man es schon nach wenigen Jahren erneut nötig, diese Geschichte kräftig in den Dienst "geistigen Kampfes" zu nehmen. Aber jetzt ging es nicht mehr so sehr gegen einen protestantischen Staat, auch nicht einmal so sehr gegen Bestrebungen, alles Sozialwesen in staatliche Regie zu übernehmen - da schien schon Liese ein Übereinkommen leicht erreichbar -, es war vielmehr bereits 1925 die prinzipielle Ablehnung sozialer Hilfe durch die Rassisten, was der Caritasverband durch historische Schriften bekämpfen wollte.

Er beauftragte damit den Redakteur Franz MEFFERT, der damals schon zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Apologetik gesammelt hatte. Von ihm wurde "ein Buch über Caritas und Weltanschauung" gewünscht. Auch wenn Meffert die beiden schließlich vorgelegten Bände:

Franz MEFFERT
Caritas und Volksepidemien. Von Dr. -, päpstlicher Hausprälat
(Schriften zur Caritaswissenschaft, i.A. des Deutschen Cari-tasverbandes hgv. D.Dr.H.Weber ..., Heinrich Auer, D.Dr.Franz Keller, l)
Freiburg i. Br.: Caritasverlag, 1925 (268 S.)

Caritas und Krankenwesen bis zum Ausgang des Mittelalters. Von Dr.theol. -, päpstlicher Hausprälat
(Schriften zur Caritaswissenschaft usw. wie l) , 2)
Ebda. 1927 (444 S.)

nur als Voruntersuchungen zur Beantwortung der ihm gestellten Aufgabe (dazu kam er nie mehr) angelegt hat, sind es auch so schon Texte mit ungehemmter Verwendung von Ausrufezeichen; der Verfasser bekennt auch gerade heraus, wenn man seine Propaganda mit Mt 6,3 habe angreifen wollen, so habe er stets mit Mt 5,16 geantwortet.

Den Standpunkt "der Anderen" stellt Meffert mit einem in der Tat ungeheuerlichen Zitat aus einem Buch von 1 895 mit dem Titel "Von Darwin bis Nietzsche" vor:

"Wir haben eigene Anstalten, in denen wir Krüppel, Lahme, Blinde, Irre, Schwindsüchtige, Syphilitiker aufpäppeln, um sie dann gelegentlich zu entlassen, damit sie sich fortpflanzen, und ihre Krankheiten und Fehler weiter vererben können." "Wie die therapeutische Medizin die Menge der Krankheiten dauernd vermehrt, wie die Armenpflege die Ausbreitung der Armut in hohem Maße fördert, Milde und Nachsicht zur Verschlimmerung von Faulheit und Dummheit dienen und das sorgsame Sichabsperren von jedem Luftzuge nur die Neigung zur Erkältung steigert, so vermehrt auch die Nächstenmoral durch grundsätzliche Fürsorge für die Kranken und Schwachen das Maß des Elends in der Welt ins Ungemessene ..."

Aber trotz des neuartigen Gegners hält sich auch Meffert an die Linie seiner Vorgänger und bemüht sich hauptsächlich, einen notwendigen Zusammenhang zwischen Armen-/Krankenpflege und christlicher Religion nachzuweisen, denn "einen gewissen - sagen wir - Philanthropismus" "ohne Gott und Christentum", wie ihn viele Zeitgenossen "trotz ihres fortschreitenden Abfalls" gern beibehalten möchten, kann er nicht anders verstehen denn als Maske, hinter welcher "rücksichtslosester Egoismus" sich verberge, gepredigt von Darwin und Nietzsche.

Seine Absicht ist daher, der von der christlichen Religion geprägten Armen- und Krankenpflege des Mittelalters "Anerkennung und Bewunderung" zu verschaffen, damit daraus "Tat" angeregt würde "in den Nöten der Gegenwart". Die These Uhlhorns, daß es vor dem Christentum keine Liebestätigkeit habe geben können, inzwischen von anderen eingeschränkt und angezweifelt, von Medizinhistorikern zurückgewiesen, steht darum bei Meffert wieder im Mittelpunkt, ebenso die These, daß keine andere Motivation die Krankenpfleger zu so gro- ßen Leistungen und so geringen Ansprüchen für ihre persönlichen Bedürfnisse führe wie die religiöse, die diese Arbeit als ein Aufopfern seiner selbst, eine Art Martyrium ansieht - etwas ähnliches hat ja auch Mone vertreten.

Zugleich mit der erneuten Hervorhebung dieser der medizinhistorischen Betrachtungsweise entgegenlaufenden Verknüpfung von Krankenhauswesen und Religion kann Mef-fert jedoch ungewöhnlichen Respekt für die Medizinhistorie zeigen. Er legt bei allen Epochen großen Wert darauf, daß die christliche Caritas auf der Höhe des jeweiligen medizinischen Wissens gearbeitet habe, scheint also die Medizingeschichte als Maßstab für die kirchliche Wohltätigkeit anzusetzen. Dabei ist er zum Beispiel dar einzige, der die Frage nach Ärzten in mittelalterlichen Hospitälern eingehend untersucht hat. Die Caritasgeschichte soll jetzt offenbar weniger Entwicklung und Bedrängnis rechter Ideen schildern sondern vielmehr faktische, auch heute jedem Vernünftigen imponierende Leistungen präsentieren. Und wenn man den von Meffert zitierten Angriff von Seiten der Rassisten für allgemein bekannt nehmen darf, dann waren durch ihn ja Medizin und kirchliche Wohltätigkeit in dieselbe Defensive gedrängt, so daß Meffert mit desto mehr Verständnis bei Medizinern rechnen konnte.

Noch ein anderes Merkmal der Darstellungsweise Mefferts scheint mir neu gegenüber Früherem und nicrit ganz ohne Bezug zur zeitgenössischen Mentalität. Er betont es im Vorwort zu "Caritas und Volks epidemien":

"Bei dieser Darstellung kommt auch jener Faktor zu seinem Rechte, der bei der sonst üblichen Behandlung ... gerne übersehen wird oder doch in den Hintergrund tritt: das christliche Volk, das schließlich die Mittel und Arbeitskräfte gestellt hat, ,.."

Auch die medizinhistorische Darstellungstradition schwenkt ja zu dieser Zeit mit Baas und Fischer von ihrer Orientierung an technischem und wissenschaftlichem Fortschritt vorübergehend zu einem sozialmedizinischen, die "Volksgesundheit" in den Vordergrund stellenden Maßstab ab. Und tatsächlich macht sich nun auch Meffert zum Kritiker des Wortes "Krankencomfort" und dem damit zusammenhängenden Perfektionismus; er macht den Glauben, die Medizin stehe unmittelbar vor ihrer höchsten Vollendung lächerlich, indem er die Lage der Masse der Kranken erwähnt, die immer noch in zugigen Dachkammern und feuchten Kellerwohnungen lägen. - Ein anderer Aspekt der Tendenz zur Volkstümlichkeit bei Meffert ist das Streben nach volkstümlicher Darstellung, das auch dem hinter seiner Arbeit stehenden Interesse an Breitenwirkung zustatten kommen mußte: besonders im zweiten Band geht Meffert bis weit über die Grenze hinaus, die eine eigentlich wissenschaftliche Arbeitsweise der Verwendung von Legenden und "Volkssagen" als direkte Geschichtsquellen zu setzen hätte.

Georg Schreiber

Genau in diesem Geleis fährt auch der bereits früher in die Hospitalgeschichtsforschung eingetretene Münsteraner Kirchenhistoriker Georg SCHREIBER (1892-1963) fort mit dem Werk, das er während seiner Suspendierung vom Universitätsamt 1936-1945 ausarbeitete, das aber nur zum Teil noch vor Kriegsende im Druck herauskommen konnte:

Georg SCHREIBER
Byzantinisches und abendländisches Hospital. Zur Spitalordnung des Pantokrator und zur byzantinischen Medizin
z.T. ersch. in: Byzantinische Zeitschrift 42,1 (1944) S. 116-149

Georg SCHREIBER
Byzantinisches und abendländisches Hospital. Zur Spitalordnung des Pantokrator und zur byzantinischen Medizin
in: Ders., Gesammelte Abhandlungen l: Gemeinschaften des Mittelalters. Recht und Verfassung. Kult und Frömmigkeit (Münster: Regensberg, 1948) S. 3-80

Die erste Hälfte der Arbeit besteht ungeachtet des Spezialthemas in einer generellen Gegenüberstellung des byzantinischen und des westeuropäischen Hospitalwesens im Mittelalter. Die andere Hälfte ist eine Interpretation der Stiftungsurkunde des Pantokrator-Klosters in Konstantinopel, soweit sie ausführlich den Betrieb des zu diesem Kloster gehörigen Hospitals regel.

War es Meffert mit seiner Betonung des Volkstümlichen darum gegangen zu zeigen, was für eine breite Verwurzelung im Volke die traditionelle katholische Caritas gehabt habe, so wählt Schreiber mit dem Hospitalwesen ein beinahe zufälliges Beispielfeld, auf dem er ein Bild der religiösen Volkskultur in alter Zeit überhaupt entwerfen will. Und wieder im Unterschied zu Meffert verfolgt Schreiber keinen ausdrücklichen Zweck mit dieser historischen Darstellung; es ist das erste Mal, daß eine kirchenhistorische Arbeit über das alte Hospitalwesen ganz ohne Ambitionen geschrieben wird, auf die Sozialpolitik oder auf die private Wohltätigkeit der Gegenwart einzuwirken, und im Jahre 1944 ist eine solche Zurückhaltung wohl leicht zu erklären - eine gesellschaftspolitische Debatte, in die Schreiber mit einer historischen Arbeit hätte eingreifen können, gab es nicht.

Die "Volksgemeinschaft", von der Propaganda der verflossenen Jahre maßlos hochstilisiert, versuchte von einein Tag zum ändern Hunger, Polizeiterror, Bombardierung zu überleben, während ein amtsenthobener Kirchenhistoriker eine intakte Volkskultur aus dem Mittelalter wieder vergegenwärtigen wollte. Möglichst viele Einzeltatsachen aus dem östlichen wie aus dem westlichen Hospitalwesen des Mittelalters versucht Schreiber auf ein allgemeines Kultur-Bild hin zu projizieren- eigentlich ein großartiger Fortschritt für ein Forschungsgebiet, das bisher fast immer an enggezogenen Horizonten zu leiden gehabt hatte. Aber die Gefahr, daß die farbigen, harmonischen Züge überzeichnet werden und die unansehnlichen, konfliktgefüllten Partien zu wenig herauskommen könnten, mußte auch schon in der Ausgangssituation liegen, aus der die Abhandlung entstand. Tatsächlich liegt etwas wie Nostalgie über der ganzen Darstellung; der Zeitabstand wird möglichst ignoriert; der Leser soll in der vergangenen Welt nur Vertrautes wiederfinden, zu den Personen damals soll er ohne weiteres persönlich Sympathie oder Antipathie empfinden können; nicht auf das Funktionieren einer Institution wird geachtet, auf Ursachen und Wirkungen und Zusammenhänge, sondern auf den "Reiz", den eine Quelle ausübt.

Inhaltlich liegt auch bei Schreiber viel Gewicht auf der Medizin, es ist akzeptiert und vorausgesetzt, daß Ärzte für die Qualität eines Krankenhauswesens ausschlaggebend seien. Daneben legt er immer wieder Wert auf Äußerungen von Volksfrömmigkeit, meist Heiligenverehrung, gerade darin soll die vergangene Epoche uns als vertraut erscheinen.

Dabei wäre es ganz verkehrt, in dieser Arbeit eine Art Erbauungsbuch zu vermuten; es ist einer der am sorgfältigsten mit Quellen- und Literaturnachweisen versehenen Beiträge zur Geschichte des Hospitalwesens überhaupt.

Geb. 1868, Studium Würzburg, Priesterweihe 1891, Dr.theol. 1901, Aufbau der apologetischen Abteilung auf Einladung des Volksvereins für das katholische Deutschland 1902, Hg. "Apologetische Korrespondenz (für die Presse) 1902-1916, "Apologetische Volksbibliothek" Nr. 1-60, 1906-1912, Kollektenreise für deutsche Caritasanstalten in USA 1921-1924, Päpstlicher Hausprälat und Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Caritasverbandes 1924 - schrieb: "Der hl. Alfons von Ligouri" 1901, "Arbeiterfrage und Sozialismus" 1901, "Die geschichtliche Existenz Christi" 1903.192l13, "Apologetische Vorträge" über "Israel und der Alte Orient", "Religion und Krieg", "Ernst Haeckel", "Der Kommunismus Jesu und die Kirchenväter" 1905-1922, 'Friedensschlagworte" 1909.1912, "Die Ferrerbewegung" 1909.1910, "Sozialdemokratie und Religion in Theorie und Praxis" 1912, "Englands Verbrechen am katholischen Irland" 1917,"Das zaristische Rußland und die katholische Kirche" 1918, "Das Urchristentum" 1920, "Sozialistische Ethik, Kommunismus, Christentum" 1920, "'Bibelforscher' und Bibelforschung über das Weltende" 1925 u.a. (nach KOSCH, Das katholische Deutschland 2 (1937) Sp. 2902).[x]

"Wenn aber du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut (3) damit dein Almosen im Verborgenen sei."[x]

"So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen."[x]

A. TILLE, Von Darwin bis Nietzsche. Ein Buch Entwicklungsethik.. (Leipzig 1895) S. 120. 112, zit.n. MEFFERT, Krankenwesen, S. 7f.[x]

MEFFERT, Volksepidemien, S. 3.[x]

MEFFERT, Krankenwesen, S. VI.; vgl. Vorbemerkung des Freiburger Generalvikars Sester ebda. S. IV: "Möge das treffliche Werk durch weite Verbreitung das Vertrauen zum katholischen Geisfce bestärken und entgegenstehende Irrtümer überwinden helfen."[x]

Vgl, oben S. 102, Anm. 315 (betr. Einschränkung durch von SCHUBERT); S. 44, Anm. 144 (betr. Zurückweisung durch MEYER-STEINEG) u.ö.[x]

MONE empfahl die christliche als die billigste Armenpflege, vgl. oben S. 86 bei Anm. 267; der Ausdruck "Martyrium" für die Krankenpflegearbeit bereits bei Dionys.Alexandr./Euseb.Hist.eccl.7,22 (vgl. MEFFERT, Volksepidemien, S. 256) und im Mittelalter z.B. bei Jacques du Vitry, seine mal. Bedeutung müßte im Zusammenhang untersucht werden.[x]

MEPFERT, Krankenwesen, S. 22-38. 370-418; vgl. oben S. 73.[x]

MEFPERT, Volksepidemien, S. 6.[x]

Vgl. oben S. 46-49.[x]

MEPPERT, Krankenwesen, S. 4f.; über den Begriff "Krankencomfort" vgl. oben S. 35f.[x]

Aus dem Namen des Verlags machton CRAEMER, Bautyp, S. 102, Anm. 71, PROBST, Hospitalwesen (wie Anm. 60) S. 258 und LEISTIKOW S. 86 einen zweiten Verlagsort "Regensburg"; JETTER, Grundzüge der Hospitalgeschichte, S. 123 sogar den einzigen Verlagsort "Regensburg" - ob das auf indirekte Benützung schließen lassen sollte? auch H. LIERMANN, Rez. über SCHREIBER, in: HZ 171 (1951) S. 118[x]

Vgl. zu diesem Quellentext oben S. 74, Anm. 234; bei einer Untersuchung der Hospitalregeln des Mittelalters, wozu ich im 2. Teil einen Ansatz versuchen will, wird dieser Text im Vordergrund stehen müssen und SCHREIBERS Abhandlung darüber ausgiebig zu benutzen sein.[x]

Mit Recht charakterisiert H. LIERMANN, in: HZ 171 (1951) S. 118,die Arbeit Schreibers dahingehend, daß sie "am Beispiel des Hospitals" gut die Verschiedenheit der mittelalterlichen Kultur in Byzanz und im Westen beschreibe; "am" Pantokrator-Hospital zeige sich das Moderne der byzantinischen Stadt-Kultur usw.[x]

Z.B. die Frau, die von Mitgefühl besonders beseelt sei (S. 26); den Kaufmann, der "berechnend" (S. 24); die Levante, die "weitherzig" sei (S, S. 28) usw.[x]

Bewunderung, Ehrfurcht wird meist einem Herrscher gezollt, der besonders schöpferisch gewesen sei (S. 78 u.ö.); eine Hospitalregel oder eine Gewohnheit wird gelobt, weil sie "modern", getadelt, wenn sie rückständig scheint usw.[x]

Z.B. könnte man gerade bei einem moderne und rückständige Kultur vergleichenden Ansatz die Frage stellen, wie die Zahl der Krankenhausbetten zur Zahl der Bevölkerung im Verhältnis stand; SCHREIBER spricht diese Frage charakteristischerweise folgendermaßen an: "Der Westen ... liebte ... mehr den Typ des Xenodochiums. Gewiß fehlten dort auch die Kranken nicht" (Xenodochium soll hier Fremdenherberge im Gegensatz zum hauptsächlich in Byzanz vorfindlichen Behandlungskrankenhaus, Nosokomium, bedeuten) (S. 37); die Auskunft, Hospitäler im Westen hätten meist nach der Zahl der Apostel 12 Insassen gehabt, ist für Schreiber nicht toposverdächtig sondern interessant, weil sie Verbindungen bis zur Bibel zu ziehen erlaubt ("Derart glitt die Zwölfzahl durch die Spitalkultur des Westens", S. 42f.)[x]

Vgl. SCHREIBER S. 54. 68. 77 u.ö.[x]

SCHREIBER S. 45-62.[x]

Vgl. z.B. S. 56-58 oder (zur "Kultur des Fisches" = Fischspeisen im Hospitalreglement) S. 64f. u.sw.[x]

Im Durchschnitt 5,5 Anmerkungen pro Seite; SCHREIBER kennt als einziger sogar ungarische Literatur zur Hospitalgeschichte (S. 13, Anm. 51).[x]

Nachkriegszeit 

| Diakoniegeschichte | Internationale Hospitalgeschichts-Kongresse |

Diakoniegeschichte

Noch viel weniger als bei den früheren Zeitabschnitten läßt es für die Zeit nach 1945 rechtfertigen, die Entwicklung der Forschung über das mittelalterliche Hospitalwesen nur anhand der Gesamtdarstellungen verfolgen zu wollen; deren Bedeutung sinkt gegenüber der der Spezialabhandlungen weit nach unten; je näher man der Gegenwart kommt, desto weniger kann auch damit gerechnet werden, die Ergebnisse der Einzelforschung in Gesamtdarstellungen aufgenommen zu finden. Trotzdem ist diese Einschränkung des Materials für die Forschungsgeschichte aus arbeitsökonomischen Gründen vorläufig notwendig.

Nach dem Krieg knüpften sowohl katholische wie auch evangelische Darsteller der Hospitalgeschichte wieder bewußt an aktuelle Bedürfnisse an und stellten ihre Caritas-bzw. Diakoniegeschichten in den Dienst einer Intensivierung der kirchlichen Aktivität auf diesen Feldern. Am deutlichsten wird das 1953 bei der Herausgabe des Sammelwerks

Herbert KRIMM (Hg.)
Das diakonische Amt der Kirche. Hg.v. -, Dr.theol., Dozent, Leiter des Zentralbüros des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland
Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1953 (546 S.)
(nicht zugänglich war mir:) 2., überarbeitete Auflage, Ebda. 1965 (606 S.)

als dessen "Ausgangspunkt" der Herausgeber bezeichnet:

"die nackte Menschheitsnot, wie sie sich nach dem Ausgang dieses letzten und größten Weltkrieges erhoben und alle Ufer überflutet hat."

Er stellt dann zwei Erfahrungen heraus, die die kirchliche Diakonie in dieser Zeit nach 1945 neu gemacht habe: Das Elend ließ sich nicht hinter Anstaltsmauern verstecken, sondern es lag überall unverhüllt auf der Straße; und es hatte Hilfeleistungen von anderen Kirchen der Ökumene ausgelöst, den ersten Anstoß zu einer ökumenischen Orientierung hatte also gerade die Diakoniearbeit gegeben. Damit seien "Gesichtspunkte" entstanden,die weiter überdacht wrden sollten, sobald es Muße gäbe, "sich einer systematischen Besinnung über den Hintergrund des diakonischen Handelns der Kirche hinzugeben." Einen ersten Wendepunkt hielt Krimm bereits 1953 für gekommen, da die "nackte Daseinsnot" bereits einer "täuschende[n] Decke eines hauchdünnen Scheinwohlstandes" weiche und die Aufmerksamkeit wieder von der "eigentlich[n] Aufgabe" zu Formalitäten und Kompetenzfragen hin abgezogen werde. Dem solle die Herausgabe eines über die Verpflichtung der Kirche zu Diakonie entgegenwirken, das also zunächst als systematische Besinnung gedacht war. Erst durch den Wunsch, einmal die Gedanken aller Epochen und irchlichen Konfessionen zu diesem Thema nebeneinander zu sehen, bekam dieses Sammelwerk einen historischen Inhalt. Der Herausgeber, Herbert Krimm (1905-), wechselte um die Zeit, als das Buch erschien, von der Arbeit im Hilfswerk zur wissenschaftlichen Arbeit über Diakonie und wurde 1961 in Heidelberg erster Inhaber eines Lehrstuhls für Diakoniewissenschaft.

Für das Gebiet der mittelalterlichen Hospitalgeschichte ist nur eine kleine Anzahl der zusammen zwölf Abhandlungen in Krimms Sammelband einschlägig, direkt abgedeckt wird es von dem Beitrag des Erlanger Kirchenhistorikers

Wilhelm MAURER
Die christliche Diakonie im Mittelalter
in: Herbert Krimm (Hg.), Das diakonische Amt der Kirche (Stuttgart 1953) S. 125-155.

Zu einer breiten Darlegung des Materials, wie sie Uhlhorn mit seiner Auszeichnung der großen Entwicklungslinien hatte verbinden können, fehlten den Autoren der Beiträge zu Krimms Sammelband Platz und Zeit. Auch Maurer gibt deswegen bloß eine dichte Zusammenstellung von Einzelforschungen anderer, die wiederum nur durch eine Literaturliste nachgewiesen werden. Der Nutzen und Wert dieses Beitrags liegt darum vor allem in der Anwendung neuer Fragestellungen, unter denen die gesammelten Einzeldaten zu einer Synthese zusammengefügt werden.

Kennzeichnend für Maurers Darstellung ist, daß er die Grenzen zu Forschungstraditionen in anderen Fächern übersteigt :

Zunächst fällt auf, daß über den ideengeschichtlichen Hintergrund, vor dem die Armenpflege und das Hospitalwesen im Mittelalter, wie Uhlhorn so stark betonte, habe werden müssen, was sie waren, nur mehr wenig gesagt wird. Bei diesem Wenigen aber baut Maurer auf der neuen Einsicht auf, daß die Meinungen der schreibenden Gelehrten des Mittelalters nicht für das stehen können, was die Frömmigkeit des "Volkes" in diesen Fragen meinte; auch als in der Zwischenkriegszeit die "Volksfrömmigkeit" eine größere Rolle in den katholischen Caritasgeschichten spielte, war das damit verbundene quellenkritische Problem nie zur Sprache gekommen. Aber auch Maurer geht in dieser Richtung nicht weiter als bis zum Auf werfen der Frage, die Konsequenzen muß die Forschung noch ziehen.

Wegen des weitgehenden Verzichts auf ein Verflechten der Geschichte der Armenpflege mit der Geschichte der sozialen Ideen und Mentalitäten handelt Maurers Geschichte hauptsächlich rein organisatorischen Fragen, wie (a) der nach der jeweiligen Zuständigkeit für Armenpflege, (b) der nach den sie ausführenden Institutionen, (c) der nach ihrer Leistungsbilanz.

(a-b) Wo es um die Zuständigkeiten und die institutionellen Formen geht, macht sich Maurer weitgehend die Darstellung von selten der Rechtsgeschichte zu eigen, deren wichtigste Forschungen zum mittelalterlichen Hospitalwesen, von S. Reicke und von W. Schönfeld, er wiedergibt. Wie um noch stärker seine Unabhängigkeit von der älteren kirchengeschichtlichen Darstellungstradition zu markieren, spricht er sogar ohne weiteres von außerchristlichen Wurzeln des mittelalterlichen Armenpflegewesens: etwa, mit den Rechtshistorikern, von der aus germanischem Rechtsempfinden stammenden Fürsorgepflicht der Reichen und Mächtigen gegenüber den Abhängigen in Notlagen. Diese Antriebskraft sieht er gegen das Ende des Mittelalters über diejenige aus dem christlichen Liebesgebot allmählich Übergewicht bekommen; im Unterschied zu früheren Kirchenhistorikern scheint er aber gar keinen dramatischen Widerspruch zwischen beiden Motivationen zu sehen, auch die Fürsorgepflicht und die obrigkeitliche oder staatliche Armenpflege können aus neutestamentlichen Ermahnungen an die Hausväter begründet werden, worauf Maurer als einziger hinweist. Ein weiteres außerchristliches Bewegungsmoment insbesondere spätmittelalterlicher Armenfürsorge sieht Maurer im Genossenschaftswesen mit seinen Vorkehrungen zu wechselseitiger Sicherung gegen Notlagen.

(c) Allgemeine Aufstellungen ohne konkrete Angaben in Zahlen i'iber die diakonische Arbeit früherer Zeiten genügten bei dem Krimmschen Sammelwerk vielleicht schon wegen dessen ganzer Veranlassung aus der eben erst erlebten Praxis nicht. Zwar hatten auch die früheren Kirchenhistoriker schon Wert auf die Effektivität der im Mittelalter tatsächlich geleisteten Hilfe gelegt, um etwa an mangelhafter Effektivität die ganze Grundlegung der Armenpflege im Mittelalter als unvollkommen zu erweisen oder an hoher Effektivität als vorbildlich, doch gibt Maurer einige Zahlen von nicht geringer Aussagekraft dazu an.

Eine Quellensammlung zur Geschichte der Diakonie, die Krimm 1960 bis 1966 in drei Bänden herausgab:

Herbert KRIMM (Hg.); Wend KRUMBHOLZ (Einltg.)
Quellen zur Geschichte der Diakonie
l: Einleitung. Altertum und Mittelalter. Zeittafel.Reg. (169 S.)
2: Reformation und Neuzeit (554 S.)
3: Gegenwart. Der Hg. zum Beschluß. Reg. (336 S.)
Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1960-1963-1966,

enthält nur zum geringsten Teil, nämlich im ersten Band von S. 117 bis S. 162, mittelalterliches Material. Es ist durchweg nach anderen Editionen, nicht nach der Originalüberlieferung abgedruckt und alle fremdsprachigen Texte sind nur in Übersetzungen wiedergegeben.

Ein brauchbares Hilfsmittel können die Zusammenstellungen der Texte nach inhaltlichen Gesichtspunkten sein, die den Bänden angefügt worden sind. Innerhalb von sachlichen Stichwörtern wie "Das Amt und die Person", "Die Aufgaben", "Die Pflegebefohlenen", "Die Einrichtungen", "Die Mittel und ihre Anwendung", "Die Gesinnung des Christen" findet man die Texte des jeweiligen Bandes chronologisch verzeichnet .

Internationale Hospitalgeschichts-Kongresse

Auf katholischer Seite blieb Schreibers Abhandlung von 1944/1948 bisher die letzte Gesamtdarstellung des mittelalterlichen Hospitalwesens - in deutscher Sprache. In Italien erreichte die Hospitalgeschichtsforschung erst noch ihren Höhepunkt bei den nationalen Kongressen und dem in Reggio Emilia veranstalteten Congresso Europeo di Storia Ospitaliera 1957 und 1961 bzw. 1960. Die italienischen Beiträge sind den in Deutschland entstandenen getrennten Forschungstraditionen schwer zuzuordnen, sie verstehen sich selbst als medizinhistorisch, wirken aber vor dem Hinter- grund der deutschen Forschung wie ausgesprochen kirchlich orientiert. Als Beispiel kann man die Beiträge des Vertreters der Medizinhistorik an der Universität Rom, Adalberto PAZZINI, nehmen: Er arbeitete zuerst über die Geschichte des neuzeitlichen Krankenpflegeordens Fatebenefratelli, präsidierte 1956 beim 1. italienischen Kongreß für Hospitalgeschichte, um 2 Jahre später die Monographie

Adalberto PAZZINI
L'Ospedale nei secoli. [Sotto gli auspizi del "Centro Italiano di Storia Ospitaliera" ...]
[Roma:] Edizione Orizzonte Medico, [1958] [322 S.]

zu veröffentlichen, in der er einen Geschichtsbegriff der Art, daß alle Einzeldinge sich unbedingt nach allgemeinen Gesetzen entwickelten, mit massiver Betonung des wesentlich christlichen Charakters des Hospitalwesens verbindet, also Elemente, die in Deutschland einesteils zur medizin-und ballgeschichtlichen, andernteils zur kirchengeschichtlichen Tradition gehören würden. Die Notwendigkeit christlichen Ursprungs des Hospitalwesens "bewies" Pazzini auch in seinem grundsätzlichen Beitrag beim Europäischen Kongreß 1960. Dieser Kongreß aber faßte einen regelrechten Beschluß, worin er die von Pazzini vertretene Meinung, etwas gemildert, zu seiner eigenen erklärte:

"La storia ospitaliera e la storia delle speranza nella scienza e nella carita, ehe, muovendo dalla ricchezza cristiana degli antichi ospedali, ha segnato nei tempo elementi essenziali di civilta, ri-spondendo alla renoventesi realta sociale"

KRIMM, Vorwort des Herausgebers, S. 7-11.[x]

Vgl. von HASE, Hans Christoph; HEUER, Ansgar; PHILIPPI , Paul (Hgg.), Solidarität + Spiritualität = Diakonie ...[Herbert KRIMM zum 65. Geburtstage] Stuttgart: Ev. Verlagswerk, 1971) bsd. S. 273-283: Bibliographie Herbert KRIMM [1933-1970], zusammengestellt von Wolfgang PAECHNATZ[x]

W. SCHNEEMELCHER, Der diakonische Dienst der Alten Kirche (S. 60-61); H. KRIMM, Das Diakonat in der frühkatholischen Kirche (S. 102-124) setzen sich mit Selbstverständlichkeiten seit UHLHORN auseinander, die z.T. auch die mittelalterliche Geschichte betreffen; R. STUPPERICH, Bruderdienst und Nächstenhilfe in der deutschen Reformation (S. 156-192)[x]

Vgl. KRIMM, Vorwort des Herausgebers, S. 9: "Unserer Zeit ist die Sammlung und Ruhe nicht gegeben, aus der heraus einst UHLHORNS 'Geschichte der christlichen Liebestätigkeit' als das reife Lebenswerk eines einzigen Mannes geboren werden konnte" (Hervorhebg.v.mir).[x]

MAURER S. 128f.[x]

Vgl. oben S. 99. 111-114.[x]

Auch SCHNEEMELCHER (wie oben Anm. 362) weist in seinem Beitrag über die Zeit der Alten Kirche im selben Sammelband die Ansicht, Liebestätigkeit sei etwas orignär Christliches zurück (S. 64-67 und ff.).[x]

Leider auch diese ohne Herkunftsnachweise (z.B. S. 131: Anfang 10.Jh, im Erzbistum Trier < 100 Plätze in Klosterhospitälern).[x]

Nicht immer ist deutlich gemacht, ob es sich um einen Originaltext oder eine Übersetzung handelt; gelegentlich ist der Editionsort "Monumenta Germaniae Historica" wie ein und anstelle eines Verfassernamens angegeben; für wissenschaftliche Zwecke ist diese Quellensammlung also nur eingeschränkt brauchbar.[x]

So schließt er an eine generelle Geschichte des Hospitalwesens und der allgemeinen Gesetze, welche sie bestimmten, die Geschichten einiger "ospedali quasi presi a caso" an, wobei es auf Vollständigkeit aber nicht ankomme, "perche negli altri, numerosissimi, ehe qui non trovano menzione, la storia si ripete identica" (S.253).[x]

Vgl. S. 41: "gli xenodochi sorsero dovunque la parabola del Vangelo giungeva"; S. 31: "Animate da una forza ehe non puo essere umana, una divina, le parole del Maestro si ripercuotono nei secoli come voce di tuono ehe si rimanda di baiza in baiza montana: "Vade, et tu fac similiter'"; von gesellschaftlichen Ursachen für die Entstehung von Hospitälern ist keine Rede.[x]

Adalberto PAZZINI, Saggio di esegesi storica sull'origine del con-cetto di ospedale (Discurso inaugurale), in: Atti del Primo Con-gresso Europeo (usw. wie oben S. 56) S. XLS - XLVIH,[x]

Mozione finale approva ta dal Congresso, in: Atti del Primo Congresso Europeo (usw. wie oben S. 56) S. XC - die gleiche Lehre war einem Telegramm des Papstes zur Kongreßeröffnung zu entnehmen, "in esso, SS. Giovanni XXIU., dopo avere sottolineato il carattere sostanzialmente cristiano del convegno di studi, ... (Giulio FORNACIARI, Cronaca di Congresso, ebda. S. XXV; vgl. J. IMBERT ebda. S. XXXIX) und einer Predigt, die der Bologneser Erzbischof Lercaro zum Abschluß des Kongresses hielt: "...rivolgendo ai congressisti un alto appello alla essenza cristiana di cui tutta l'attivita assistenziale si permea sulla base della eterna parola evangelica di carita e di fratellanza (FORNACIARI, wie vorstehend, S. XXXIX).[x]

[Erträge] 

Rechtsgeschichte Kurze Übersicht über die rechtsgeschichtlichen Forschungen über das Hospitalwesen im Mittelalter

Ursprünge 

Die rechtsgeschichtlichen Forschungen über das alte Hospitalwesen konnten ebenso wie die Medizin- und die kirchengeschichtlichen aus einem Zusammentreffen der Überreste mit aktuellen Interessen der Gegenwart erfolgen. Nicht nur die Gebäude vieler Hospitäler standen ja noch aufrecht, als Mediziner und Architekten ihre modernen Krankenhäuser einrichten wollten, nicht nur die christlichen Konzepte von Wohltätigkeit hatten ja noch ihre Verfechter, die sie zur Bewältigung der sozialen Probleme der Industrialisierung empfahlen: fast noch langlebiger erwiesen sich die alten Hospitäler als juristische Personen, wenn sie einmal nicht durch Krieg oder Inflation erloschen waren. Sie zwingen bis heute die Juristen, sich mit ihrer mittelalterlichen Geschichte befassen, wenn es zu einem Rechtsstreit kommt.

Ein solcher wurde in den 1920er Jahren über die "Vereinigten Wohltätigkeitsstiftungen" Memmingen geführt. Die katholische Kirchenverwaltung verlangte, daß das Anfang des 13. Jahrhunderts gegründete Hospital dort neben den evangelischen auch katholische Pfründbewerber aufnehmen müsse, weil es im späten Mittelalter "kommunalisiert" und seither keine konfessionelle Anstalt mehr sondern eine städtische sei.[1] Zur Abwehr dieses Anspruchs ließ die evangelische Gesamtkirchenverwaltung nun eine rechtsgeschichtliche Untersuchung in weit über das Lokale hinausgreifendem Rahmen anfertigen, die nach der Einreichung bei der Kreisregierung von Schwaben auch in Buchform dem wissenschaftlich interessierten Publikum zugänglich gemacht wurde:[2]

Heinrich GÜRSCHING
Evangelische Hospitäler. Studien zur Rechtsgeschichte der "Vereinigten Wohltätigkeitsstiftungen" Memmingen
Memmingen: Verlags- und Druckerei-Genossenschaft, 1930 (244 S.)

Gürsching argumentiert mit geradezu erschöpfender Gründlichkeit dafür, daß die Pflegschaftsbefugnisse, die ein Stadtrat über ein spätmittelalterliches Hospital erlangte, hauptsächlich dazu gedacht gewesen seien, den Kirchengutscharakter dieser Anstalt zu bewahren, nicht sie der Kirche zu entziehen.[3] Auch die Reformation habe diese Intention nur verfestigt, nicht aufgelöst;[4] schließlich habe auch der Westfälische Friede nichts am Bestehenden geändert.[5] So sei das, was im Mittelalter als frommes Werk gestiftet worden ist, jetzt als "evangelisches Hospital" zu betrachten.[6] Diese Betonung der Kontinuität im Rechtscharakter ist das Besondere an Gürschings Forschungsbeitrag, außer seinem uneingeschränkten zeitlichen Rahmen; und gegenüber der zur gleichen Zeit, aber offenbar ganz getrennt,[7] entstandenen Arbeit Siegfried Reickes, der statt der Kontinuität die schweren Brechungen in der spätmittelalterlichen Rechtsentwicklung der Hospitäler herausgearbeitet hat, ist Gürschungs Abhandlung zu unrecht ignoriert worden.

Dargelegt in: J. LINDER, Das Recht der Katholiken auf Mitgenuß der Vereinigten Wohltätigkeitsstiftungen zu Memmingen, Memmingen 1925.[x]

Die Vorgeschichte nach GÜRSCHING S. 5-9; den juristischen Teil bearbeitete anfänglich der Jurist W. Biebinger, der dann aber verhindert war und Dr.phil. H. GÜRSCHING auch seinen Anteil übertragen mußte.[x]

GÜRSCHING S. 11-34. 106-116 (über die kleineren Stiftungen), bsd.117-159,[x]

GÜRSCHING S. 34-70. 160ff.[x]

GÜRSCHING S. 82ff. 185-212[x]

GÜRSCHING zusammenfassend S. 212-224.[x]

REICKE bezieht sich zwar auf GÜRSCHING (Bd.l,S.170,Anm.4), aber nur als einen Memminger Lokalhistoriker, nicht auf dessen Theorie.[x]

Reicke und Schönfeld 

Siegfried REICKES und Walther SCHÖNFELDS Beiträge zur Geschichte der Hospitäler sind als erste ganz aus der und für die akademische Forschung entstanden. Sie stammen beide aus der Schule des Berliner Kirchenrechtshistorikers Ulrich STUTZ (1868-1938).

Walther SCHÖNFELD
Die Xenodochien in Italien und Frankreich im frühen Mittelalter. Von Herrn Privatdozenten Dr.jur. -, Gerichtsassessor a.D. in Breslau
in: ZRG (43 =) Kan. 12 (1922) S. 1-54

Siegfried REICKE
Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter
l: Das deutsche Spital. Geschichte und Gestalt
2: Das deutsche Spitalrecht
von Dr.jur. -, Bayer. Staatsanwalt a.D. und Privatdozenten für deutsches und Kirchenrecht an der F.-W.-Univ. zu Berlin
(Kirchenrechtliche Abhandlungen. Begr.u.hg.v. ... U.Stutz ..., 111-112.113-114
Stuttgart: Enke 1932. ND Amsterdam 1961

Schönfeld behandelt die Entwicklung der Hospitäler zu eigenen Rechtspersönlichkeiten im frühen Mittelalter, im Spannungsfeld zwischen römischem Recht und germanischen Vorstellungen. Formal ähnlich wie 1911 der Bauhistoriker Dunaj, spricht Schönfeld nicht von einer Geschichte der Hospitalstiftungen o.a., sondern von der Geschichte des Gedankens der Stiftung, der sich hier und da in der Hospitalgeschichte zeigen lasse.

Reicke gibt im ersten Band eine Übersicht über die mittelalterliche deutsche Hospitalgeschichte, aber nur in der Absicht, daraus im zweiten Band den "systematischen Aufbau des deutschen Spitalrechts" abzuleiten. Diese Spezialisierung, die Reicke selbst deutlich genug betont,[8] ist von späteren Darstellungen in anderen Forschungstraditionen oft übersehen und Reicke als "das" Handbuch der mittelalterlichen Hospitalgeschichte überhaupt mißdeutet worden. Als erster nahm Reicke eine systematische Materialauswertung für seine Abhandlung vor, er ging alle bis dahin gedruckten deutschen Urkundensammlungen durch. Bezüglich der Hospitalgeschichte besteht seine Leistung dann in einer Klassifizierung der mittelalterlichen Hospitäler nach ihren Gründern und denen, die über sie zu bestimmen hatten. Diese Einteilung dient vielfach als Rahmen, in den lokale Hospitalgeschichten eingepaßt werden.[9] Reickes besondere These ist, daß im 13.-14. Jahrhundert ein großer Kampf zwischen Kirche und Kommunen um die Befugnis über die Spitäler stattgefunden habe, in dem die Kommunen gewöhnlich gesiegt hätten: der Prozeß der "Kommunalisierung".

REICKE l, S. VII.[x]

Vgl. SYDOW (wie S. 125) S. 175.[x]

Neueres 

Dem gegenüber ist nach dem Zweiten Weltkrieg, als besonders in Südwestdeutschland zahlreiche stadtgeschichtliche Forschungen mit den örtlichen Spitalstiftungen zu tun bekamen,[10] auf die mittelalterliche Kanonistik und deren Sätze über die Hospitalstiftungen hingewiesen worden, die REICKE nicht berücksichtigt hatte. Jürgen SYDOW bezweifelt aufgrund dieses Materials in seiner Abhandlung

Jürgen SYDOW
Spital und Stadt in Kanonistik und Verfassungsgeschichte des 14. Jahrhunderts
in: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Vorträge und Forschungen, 13; Sigmaringen 1970) S. 175-195,

daß es eine Kommunalisierung gegen den Widerstand der Kirche gegeben habe; die Kirche habe gar keine so weit gehende Befugnis über Hospitäler verlangt.[11]

Die kirchenrechtlichen Aspekte des Hospitalwesens im Mittelalter sind aber am ausführlichsten in der französischen und italienischen Forschung behandelt worden, mit der ich mich bisher noch wenig beschäftigen konnte:

Jean IMBERT
Histoire des Hôpitaux Français. Contribution à l'Étude des rapports de l'Église et de l'État dans le domaine de l'Assistance Publique
l: Les Hôptaux en Droit Canonique (du decret de Gratien à la sécularisation de l'administration de l'Hôtel-Dieu de Paris en 1505 (mehr nicht ersch.) par -
(L'Église et l'État au Moyen Age, 8)
Paris 1947 (334 S.)

Emilio NASALLI ROCCA
II diritto ospedaliero nei suoi lineamenti storici
(Biblioteca della Rivista di storia del diritto Italiano, 20)
Milano 1956 (485 S.)

[2022-07-31:] Neben ihrer Habilitationsschrift am Sonderforschungsbereich 537 Institutionalität und Geschichtlichkeit in Dresden bei Gert MELVILLE

Gisela DROSSBACH
Christliche caritas als Rechtsinstitut: Hospital und Orden von Santo Spirito in Sassia (1198-1378)
(Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2); Paderborn 2005
Online-Version
Zugl.: Dresden, Techn. Univ., Habil.-Schr., 2002

hat Gisela DROSSBACH eine Vielzahl von Aufsätzen und Tagungsbeiträgen auch zu alltags- und kunstgeschichtlichen Aspekten der mittelalterlichen Hospitalgeschichte vorgelegt.

Vgl. unten S. 126f.[x]

Griet MARECHAL (wie oben S. 16, Anm. 43) greift die Kommunalisierungsthese nicht aus speziell rechtsgeschichtlichen Gründen sondern als allgemeine Theorie der Hospitalgeschichte noch radikaler als SYDOW an, den sie in ihre Kritik miteinbezieht: Die Hospitäler seien nie kirchlich gewesen, erst später habe die Kirche Einfluß zu gewinnen versucht.[x]

Städtegeschichte Zu den städtegeschichtlichen Forschungen über das Hospitalwesen im Mittelalter

Geschichten einzelner Hospitäler sind etwa seit den 50-er Jahren vielfach als sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Dissertationen erarbeitet worden. Indem solche Arbeiten gewöhnlich das überlieferte Akten- und Urkundenmaterial vollständig berücksichtigen, sind sie den hier bisher erwähnten Gesamtdarstellungen sämtlicher Forschungsrichtungen überlegen. Das sind sie auch, indem sie einen neuen Blickwinkel anlegen und die Institution Spital in ihrer Bedeutung für die Stadt, worin sie sich befand, betrachten.[1] Andererseits sind die Verhältnisse von Stadt zu Stadt immer wieder anders, so daß eine neue Schwierigkeit darin entsteht, wie man die Ergebnisse solcher stadtgeschichtlicher Forschungen zu einer Geschichte des Hospitalwesens im allgemeinen verallgemeinern könnte.

Besonders im Südwesten der Bundesrepublik, wo Stadtgeschichtsforscher seit längerem in einem Arbeitskreis zusammengeschlossen sind, werden jedoch von Zeit zu Zeit auch Versuche unternommen, deren Einzelforschungen zusammenzusetzen:

Arbeitskreis für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung
Protokoll über die 2. Arbeitstagung "Spital und Stadt". Tübingen 23./24. November 1963
masch. Tübingen 1964 (49 Bll.)

Bernhard KIRCHGÄSSNER; Jürgen SYDOW (Hgg.)
Stadt und Gesundheitspflege. 19. Arbeitstagung in Bad Mergentheim, 14.-16. November 1980
(Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, 9)
Sigmaringen: Thorbecke, 1982 (129 S.)

Der erste dieser beiden Bände enthält mehr mittelalterliche Hospitalgeschichte und eine einheitlichere Folge von Artikeln als der zweite.

Daß die Erfahrungen auf der stadtgeschichtlichen Ebene nun auch dazu anregen können, die Ergebnisse der unterschiedlichsten Forschungsrichtungen auf eine gewinnbringende Art zusammenzusetzen, zeigt

Kuno ULSHÖFER
Spital und Krankenpflege im späten Mittelalter
in: Württembergisch Franken. Jahrbuch des Historischen Vereins für Württembergisch Franken 62 (1978) S. 49-68

Auf so knappem Raum verbindet Ulshöfer die wichtigsten Erträge von Bau-, Medizin-, Kirchen und Stadtgeschichte zum mittelalterlichen Hospitalwesen und gibt wertvolle Anregungen für weitere Fragestellungen.

Die ablehnende Reaktion der medizinhistorischen Porschungstradition auf diese Geringachtung ihrer Interessenschwerpunkte siehe oben S. 59, in Anm. 183.

Armuts- und Fürsorge-Geschichte Zu den Darstellungen des mittelalterlichen Hospitalwesens in Geschichten der Sozialen Fürsorge und Geschichten der Armut

Die Geschichte des staatlichen und kommunalen Wohlfahrtswesens ist in Deutschland seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts behandelt worden, also ungefähr seit es staatliche Sozialpolitik gibt. Nach einigen Arbeiten um die Jahrhundertwende erschienen jedoch erst seit 1970 wieder weitere.

Willi VARGES
Die Wohlfahrtspflege in den deutschen Städten des Mittelalters
in: Preußische Jahrbücher 81 (1895) S. 250-318,

behandelt hauptsächlich Polizeiordnungen, so daß nur ein kleinerer Teil seines immensen Materials die Hospitalgeschichte betrifft.

L[udwig] FEUCHTWANGER
Geschichte der sozialen Politik und des Armenwesens im Zeitalter der Reformation 1-2
in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 32 (1908) S. 1423-1460 = 32,4, S. 167-204. 33 (1909) S. 191-228 = 33,1, S. 191-228,

setzt sich mit dem eigentlich von der kirchengeschichtlichen Forschungstradition aufgeworfenen Problem auseinander, ob sich das mittelalterliche Armenwesen unter der Einwirkung der Reformation zu mehr Bevormundung und weniger Hilfeleistung entwickelt habe. Er behandelt die spätmittelalterlichen Armenordnungen.

Jesko von STEYNITZ
Mittelalterliche Hospitäler der Orden und Städte als Einrichtungen der Sozialen SicherungDiss. im Fach Sozialpolitik Köln 1970(?)
(Sozialpolitische Schriften 26)
Berlin: Duncker & Humblot, 1970, (176 S.)

versucht am ausgeprägtesten, das mittelalterliche Hospitalwesen, das er exemplarisch anhand der Hospitäler der Johanniter und des Heilig-Geist-Ordens sowie des Heilig-Geist-Spitals Lübeck darstellen will, unter modernen Kategorien der Sozialpolitik zu begreifen. Seine Darstellung steht im übrigen ständig auf der Grenze zur reinen Ordensgeschichte; sie enthält wenig sozialgeschichtlichen Realismus.

Egon BOSHOF
Untersuchungen zur Armenfürsorge im fränkischen Reich des 9. Jahrhunderts
in: AKG 58 (1976) S. 265-339,

ist eine umfassende Untersuchung, die weder methodisch noch hinsichtlich der Weite der Perspektive Wunsche offen läßt.

Thomas FISCHER
Städtische Armut und Armenfürsorge im 15. und 16. Jahrhundert. Sozialgeschichtliche Untersuchungen am Beispiel der Städte Basel, Freiburg i.Br. und Straßburg
Diss. Freiburg (Brsg.) 1976
(Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte,4)
Göttingen: Otto Schwarz, 1979 (349 S.)

und:

Ingomar BOG
Über Arme und Armenfürsorge in Oberdeutschland und in der Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert
in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 34/35 (1974/1975) S. 983-1001

setzen jetzt endlich die Fürsorge, Caritas, Liebestätigkeit in ein Verhältnis zum "Bedarf", der vorhandenen Armut, die nicht mehr als etwas unabänderliches (Mt 26,11) sondern als Gegenstand geschichtlicher Forschung füngiert. (Fischer führt als einer von wenigen auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der älteren Literatur, die sich zum Teil mit dem vorliegenden Versuch deckt).

Sozialgeschichte 

[2022-07-31:] Hierzu neuerdings der Vorträge-und-Forschungen-Band Bulst, Sozialgeschichte mal. Hospitäler. Darin finde ich besonders den Ansatz von Kälble, Kommunale Bewegung vielversprechend.

[2022-09-27:] die den Forschungsstand skizzierende Einleitung zu Laqua, Bruderschaften und Hospitäler zeigt, wie erfreulich die Hospitalgeschichte in den Jahren, in denen ich anderweitig beschäftigt war, nicht nur zum Mainstream-Thema der Mediaevistik geworden ist, sondern auch die Zersplitterung in Einzeldisziplinen überwunden hat.

Resümmee 

[2022-08-04: Beim Überschauen meines 35 Jahre alten Textes finde ich viel seither neu Erschienenes, das ich noch berücksichtigen muß. Andererseits finde ich jetzt, in der durch Corona beleuchteten Krise des Gesundheitswesens erstaunlich viel Erhellendes in meinen damaligen Charakterisierungen der Denkweise verschiedener Berufsgruppen wieder: die Unselbständigkeit, Ausbeutung, Geringschätzung der Pflege im Gegenüber zur Medizin mit ihrem Eifer, die ganze Welt nach ihren Kriterien zu definieren und Recht behalten über mitmenschliches Helfen zu stellen — daran hat sich außer der Fassade kaum etwas geändert, vom Impuls der christlichen Nächstenliebe, insofern sie je ernst gemeint war, ist bloß übriggeblieben die Erwartung an Pflegende, es irgendwie für Gotteslohn zu tun und jedenfalls auf ordentliche Bezahlung und Arbeitsbedingungen keinen Wert zu legen. Aus solchen Gründen finde ich dieses umfangreiche Kapitel, obwohl es nicht auf dem neuesten Stand für die nachfolgenden ja auch nicht unbedingt als Voraussetzung nötig ist, schon noch immer ein bißchen lesenswert.]

Inhaltsverzeichnis [ausblenden]

Pflegegeschichte

Entwicklung

Das Mittelalter als Epoche der Pflegegeschichte

«Verklösterlichung» im 13. Jahrhundert

Zusammenfassung und Weiterführung

Medizin- und Architektur-Geschichte

Abgrenzung

Entwicklung

Vorläufer

Präzisierung und Einengung

Durchsetzung der Krankenhausbau-Perspektive

«Krankenhausgeschichte» als ausgeprägte Tradition

vor dem 2. Weltkrieg
seit dem 2. Weltkrieg

Erträge

Hospitalgbäude - Krankenhausgebäude

«medici» in Hospitälern - Krankenhäuser unter ärztlicher Leitung (Skizze)

Zusammenfassung

Kirchengeschichte

Eingrenzung

Entwicklung

Anfänge im 19. Jahrhundert

Die klassischen Gesamtdarstellungen (1868-1922)

In der Defensive (1925-)

Nachkriegszeit

[Erträge]

Rechtsgeschichte

Ursprünge

Reicke und Schönfeld

Neueres

Städtegeschichte

Armuts- und Fürsorge-Geschichte

Sozialgeschichte

Resümmee

Textverzeichnis

Personenverzeichnis

Handschriftenverzeichnis

Verzeichnis der gedruckten Quellen

Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

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© Bernhard Höpfner 2002-2022.